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Über die Seele. (BKV)
56. Cap. Über die Ansicht der Alten, die Seelen könnten nicht in die Unterwelt eingehen, bevor die Leiche beerdigt ist.
Es drängt sich uns nun die Untersuchung darüber auf, ob dies unmittelbar nach dem Hinscheiden geschieht oder ob einzelne Seelen durch irgend welche Umstände einstweilen noch hier zurückgehalten werden, so wie auch, ob sie, dorthin aufgenommen, nach ihrem Gutdünken oder infolge eines besonderen Befehles nachher noch bei uns erscheinen dürfen. Denn auch hierfür fehlt es nicht an Wahrscheinlichkeitsgründen. Man hat geglaubt, die Unbeerdigten könnten nicht eher in die Unterwelt gelangen, als bis sie ihr Recht bekommen haben, nach Art des Patroklus bei Homer, der in Traumgesichten von Achilles sein Begräbnis verlangte, weil er sich S. 371 sonst den Thüren der Unterwelt nicht nahen dürfe und die Seelen der Begrabenen ihn davon fern hielten. Wir kennen aber ausser den poetischen Licenzen auch die fromme Sorgfalt des Homer. Denn er hat eine um so grössere Sorgfalt auf das Begräbnis verwendet, je mehr er den Aufschub desselben getadelt hat als eine Beleidigung für die Seelen. Auch solle niemand einen Verstorbenen im Hause behalten und sich dadurch selbst mit ihm noch mehr abhärmen durch einen so ungewöhnlichen Trost, der im Schmerze seine Nahrung findet. Daher hat er die Klagen der unbegrabenen Seele auf beides gerichtet sein lassen, dass durch das sofortige Begräbnis einerseits die der Leiche gebührende Ehre gewahrt, andererseits der Gedanke an die frühere Liebe gemässigt werde.
Wie sinnlos aber ist es, die Seele auf das warten zu lassen, was dem Körper gebührt, gerade als ob sie etwas davon in die Unterwelt mit sich fortnehme! Noch viel thörichter ist es, die Verzögerung des Begräbnisses als ein Unrecht gegen die Seele anzusehen. Dieselbe müsste das eher als eine Gunst begrüssen. Denn da sie nicht sterben wollte, so wird sie in jedem Falle vorziehen, lieber recht spät zur Unterwelt hinweggeführt zu werden. Sie wird den lieblosen Erben gern haben, durch dessen Schuld sie sich des Lichtes noch erfreut. Oder aber wenn es wirklich ein Unrecht ist, spät unter die Erde hinabgestossen zu werden, und der Titel dieses Unrechtes in der Verzögerung des Begräbnisses besteht, so wäre es ja höchst unbillig, dieses Unrecht der Seele zuzufügen, der die Verzögerung des Begräbnisses gar nicht zugerechnet werden kann; denn dasselbe ist ja Pflicht ihrer Nebenmenschen!
Auch die von einem vorzeitigen Tode getroffenen Seelen, sagt man, schweifen hier so lange umher, bis der Rest ihrer Lebenszeit erfüllt sei, so lange als sie gelebt haben würden, wenn sie nicht vorzeitig gestorben wären. –— Entweder ist jedem seine Zeit bestimmt, und dann glaube ich nicht, dass ihm von der festgesetzten Zeit etwas entrissen werden kann, oder wenn sie zwar festgesetzt, aber durch den Willen Gottes oder eine andere Macht verkürzt worden ist, so würde ja diese Verkürzung illusorisch gemacht, wenn sie doch noch ihre Erfüllung zu erwarten hätte. Ist ihre Zeit dagegen nicht festgesetzt, so gibt es auch keinen Rückstand von Zeiten, die ja nicht festgesetzt sind. Ich sage noch mehr: Siehe, es ist beispielsweise ein Säugling an der Mutterbrust verschieden, meinetwegen auch ein Knabe, der noch keine Kleider trägt, oder auch einer, der welche trägt, der aber achtzig Jahre gelebt haben würde. Was soll es nun wohl heissen, seine Seele verlebe diese ihr entrissenen Jahre nach dem Tode noch? Er kann ja kein höheres Lebensalter erreichen ohne den Körper, weil sich die Lebensstufen nur mittels des Körpers vollziehen.
Die Unsrigen mögen ferner noch bedenken, dass die Seele denselben Leib wieder bekommen wird, in welchem sie verstorben ist. Man wird S. 372 also auch dieselbe Beschaffenheit des Körpers und dieselbe Altersstufe zu hoffen haben, welche eine Folge der dermaligen Beschaffenheit des Körpers ist. Wie ginge es also an, dass die Seele eines Kindleins hier die ihr geraubten Jahre zubrächte, um sodann als eine Achtzigerin in einem Leibe von einem Monat aufzuerstehen? Oder, wenn es durchaus nötig ist, die Zeiträume, welche für eine Seele festgesetzt waren, hier zu durchlaufen, so frage ich, wird sie dann die Lebensthätigkeiten, welche den betreffenden Zeiträumen entsprechen und ihr mit letzteren hienieden bestimmt waren, auch der Reihe nach hienieden ebenso durchmachen, also studieren, wenn sie aus dem Kindes- ins Knabenalter tritt, Kriegsdienste leisten, sobald das Jünglingsalter vom Mannesalter abgelöst wird, die Staatslasten tragen, wenn das Mannesalter das Ansehen des Greisenalters erhält, Zinsen herausschlagen, das Land bebauen, Schifffahrt treiben, Prozesse führen, heiraten, arbeiten, Krankheiten durchmachen und alles andere, was Trauriges und Freudiges ihrer mit jenen Zeiträumen gewartet hätte? Wie soll man dieses durchmachen ohne Körper? wie leben, ohne zu leben? Zeiträume aber, die in blossem Abwarten zu durchlaufen wären, würden zwecklos sein. Was steht folglich im Wege, dass man sie nicht auch in der Unterwelt abwarten könne, wo doch ebensowenig ein Gebrauch davon gemacht wird? Daher behaupten wir, jede Seele, in welchem Lebensalter sie auch das Leben verlassen haben sollte, bleibe in demselben stehen bis zu dem Tage, auf welchen der nach dem Maasse der Vollkommenheit der Engel gebildete vollkommene Zustand verheissen ist.
Mithin sind auch die Seelen derer, welche gewaltsamer Weise dem Leben entrissen wurden, vorzüglich durch grausige Leibesstrafen, als da sind Kreuz, Beil, Schwert, wilde Tiere nicht als von der Unterwelt ausgeschlossen zu betrachten,1 auch darf man die Todesarten, welche die Gerechtigkeit, die Rächerin von Gewaltthaten beschliesst, gar nicht als Gewaltthaten ansehen. Eben darum wird man nun wohl einwenden, sind es die verbrecherischen Seelen, welche aus der Unterwelt ausgeschlossen bleiben. Mithin nötige ich, festzustellen, ob die Unterwelt gut oder böse sei. Wenn man sich für das letztere entscheidest, dann müssten die allerschlechtesten Seelen hineingestürzt werden; wenn sie aber gut ist, warum will man denn die Seelen der vor der Zeit und ehelos Verstorbenen gerade die nach Maassgabe ihrer Lebenszeit reinen und unschuldigen Seelen, jetzt noch derselben für unwürdig halten?
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Nach Ursinus, der ein nec einschiebt. ↩
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De Anima
LVI. AN COMMORENTVR HIC ANIMAE POST MORTEM.
[1] Occurrit disceptatio, an hoc ab excessu statim fiat, an quasdam animas aliqua ratio detineat hic interim, an etiam receptas liceat postea ab inferis ex arbitrio uel ex imperio interuenire. [2] Nec harum enim opinionum suasoriae desunt. Creditum est insepultos non ad inferos redigi quam iusta perceperint, secundum Homericum Patroclum funus in somniis de Achille flagitantem, quod non alias adire portas inferum posset arcentibus eum longe animabus sepultorum. Nouimus autem praeter poeticae iura pietatis quoque Homericae industriam. Tanto magis enim curam sepulturae collocauit, quanto etiam moram eius iniuriosam animabus incusauit, simul et ne quis defunctum domi detinens ipse amplius cum illo maceretur enormitate solacii dolore nutriti. Ita querellas animae insepultae ad utrumque confinxit, ut instantia funeris et honor corporum seruetur et memoria affectuum temperetur. [3] Ceterum quam uanum, ut anima corporis iusta sustineat, quasi aliquid ex illis ad inferos auehat? Multo uanius, si iniuria deputabitur animae cessatio sepulturae, quam pro gratia deberet amplecti. Vtique enim tardius ad inferos abstrahi malet, quae nec mori uoluit: amabit impium heredem, per quem adhuc pascitur luce. Aut si qua pro certo iniuria est tardius sub terram detrudi, titulus autem iniuriae cessatio est sepulturae, perquam iniquum eam iniuria affici, cui non imputabitur cessatio sepulturae ad proximos scilicet pertinens. [4] Aiunt et immatura morte praeuentas eo usque uagari istic, donec reliquatio compleatur aetatum, quacum peruixissent, si non intempestiue obissent. Porro aut constituta sunt tempora unicuique, et constituta praeripi posse non credam, aut si constituta sunt quidem, dei tamen uoluntate uel aliqua potestate mutilantur, frustra mutilantur, si iam impleri sustinentur, aut si non sunt constituta, nulla erit reliquatio temporum non constitutorum. [5] Adhuc addam: ecce obiit uerbi gratia infans sub uberum fontibus, puta nunc puer inuestis, puta uesticeps, qui tamen octoginta annos uicturus fuisset. Hos praereptos ut anima eius hic post mortem transigat, quale est? Aetatem enim non potest capere sine corpore, quia per corpora operantur aetates. Nostri autem illud quoque recogitent, corpora eadem recepturas in resurrectione animas in quibus discesserunt. [6] Idem ergo sperabuntur et corporum modi et eaedem aetates, quae corporum modos faciunt. Quo ergo pacto potest infantis anima hic transigere praerepta tempora, ut octogenaria resurgat in corpore mensis unius? Aut si hic necesse erit ea tempora impleri quae fuerant destinata, num et ordinem uitae, quem sortita sunt tempora pariter cum illis hic destinatum, pariter hic anima decurret, ut et studeat ab infantia pueritiae delegata et militet ab adulescentia iuuentae excitata et censeat a iuuenta senectae ponderata, et fenus exprimat et agrum urgeat, nauiget litiget nubat laboret aegritudines obeat et quaecumque illam cum temporibus manebant tristia ac laeta? [7] Sed haec sine corpore quomodo transigentur? Vita sine uita? Sed uacua erunt tempora solo decursu adimplenda. Quid ergo prohibet apud inferos ea impleri, ubi perinde nullus est usus illorum? Ita dicimus omnem animam quaqua aetate decesserit, in ea stare ad eum diem usque, quo perfectum illud repromittitur ad angelicae plenitudinis mensuram temperatum. [8] Proinde extorres inferum habebuntur quas ui ereptas arbitrantur, praecipue per atrocitates suppliciorum, crucis dico et securis et gladii et ferae; nec isti porro exitus uiolenti quos iustitia decernit, uiolentiae uindex. Et ideo, inquies, scelestae quaeque animae inferis exulant. Alteram ergo constituas, compello, aut bonos aut malos inferos: si malos placet, etiam praecipitari illuc animae pessimae debent; si bonos, cur idem animas immaturas et innuptas et pro condicione aetatis puras et innocuas interim indignas inferis iudicas?