21. Cap. Die Seele ist einfach und eingestaltig, hat aber Selbstbestimmung und ist veränderlich, weil geworden. Mit der Dreiteilung der Seelen, die Valentinian behauptet, ist es nichts.
Wenn die Natur der Seele nun in Adam vor dem Auftreten so vielfacher Geistesanlagen von Anbeginn eine einheitliche war, so ist sie trotz dieser zahlreichen Geistesanlagen nicht vielgestaltig und auch nicht viergestaltig, so dass auch noch die Dreiheit Valentinians hinfällig wird, welche sich nicht einmal in Adam findet. Denn was gab es denn Pneumatisches an ihm? Etwa dass er jenes grosse Geheimnis in Christo und in der Kirche vorher verkündet hat: „Dieses Bein von meinem Gebein S. 321 und Fleisch von meinem Fleisch wird Weib genannt werden. Deswegen wird der Mensch Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhängen, und sie werden zwei sein zu einem Fleische.”1 Dies trug sich erst später zu, als Gott die Bewusstlosigkeit, jene pneumatische Gewalt, worauf die Prophezie beruht, hatte über ihn kommen lassen. Wenn Böses in ihm zutage trat, nämlich das Ereignis der Übertretung, so ist es nicht für eine Natureigenschaft zu halten, weil er es auf Antrieb der Schlange beging. Es ist so wenig eine Natureigenschaft als etwas Materielles, weil wir auch den Gedanken an die Materie bereits abgewiesen haben.2 Wenn sich nun weder etwas Pneumatisches noch etwas Hylisches — gesetzt, der Keim des Bösen wäre aus der Materie gekommen — in ihm als seine Eigentümlichkeit fand, so bleibt nichts übrig, als dass sich in ihm als einzige Natureigenschaft das fand, was als das Lebensprinzip gilt und was wir seinem Wesen nach als einfach und einheitlich hingestellt haben.
Darüber allerdings bleibt noch eine Untersuchung anzustellen, ob das, was wir Natureigenschaft genannt haben, für veränderlich zu halten sei. Denn die Genannten erklären die Natur für unveränderlich, um den einzelnen Eigentümlichkeiten ihre Dreiheit aufzudrücken, weil ein guter Baum nicht schlechte Früchte und ein schlechter Baum nicht gute Früchte bringen und niemand von Dornen Feigen und von Disteln Trauben ernten kann. Also wenn dem so ist, dann wird Gott nicht aus Steinen Söhne Abrahams erwecken können, das Natterngezücht keine Früchte der Busse bringen und der Apostel hat sich geirrt, wenn er schreibt: „Ihr waret einst Finsternis” und: „Wir sind einst von Natur Kinder des Zornes gewesen” und: „Unter ihnen waret auch Ihr, aber Ihr seid abgewaschen.”3 Die heiligen Lehren werden sich niemals widersprechen. Kein schlechter Baum wird je gute Früchte bringen, — wenn er nicht okuliert wird, und der gute wird schlechte bringen, — wenn man ihn vernachlässigt. Die Steine werden Söhne Abrahams, wenn sie zu Abrahams Glauben angeleitet werden. Das Natterngezücht wird Früchte der Busse bringen, wenn es das Gift der Bosheit ausgespieen haben wird.
Das wird die Macht der göttlichen Gnade vermögen, die ja mächtiger ist als die Natur; denn sie findet in uns das ihr unterstehende freie Wahlvermögen, welches man αὐτεξούσιον [autexousion] — Selbstbestimmung — nennt. Da es ebenfalls naturgemäss und veränderlich ist, so richtet es sich, wohin es sich immer auch richten mag, gemäss seiner Natur.4 Dass die Selbstbestimmung uns von Natur aus eigen sei, haben wir bereits gezeigt, sowohl dem Marcion als dem Hermogenes.5
S. 322 Wie nun, wenn Natur so zu definieren wäre, dass eine zweifache angenommen wird, die der gewordenen und die der ungewordenen, die der geschaffenen und die der ungeschaffenen Dinge? Dann wird sich auch das, was, wie ausgemacht, geworden und geschaffen ist, kraft seiner Natur einen Wechsel gefallen lassen. Denn es wird wieder geboren und wieder hergestellt werden können. Das Ungeborne und Ungewordene aber wird unbeweglich dastehen. Da letztere Eigenschaft Gott allein zukommt, als welcher allein unentstanden und ungeworden und darum unvergänglich und unwandelbar ist, so ist ausgemacht, dass die Natur aller übrigen gewordenen und entstandenen Wesen veränderlich und wandelbar sei, und selbst wenn der Seele dreierlei Beschaffenheit beizulegen wäre, so würde dies aus Veränderung der Eigenschaften, nicht aus der Natur herzuleiten sein.
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I. Mos. 2, 23. ↩
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Adv. Hermog. c. 13. ↩
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Eph. 5, 8; 2, 3. I. Kor. 6, 11. ↩
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Tertullian lehrt hier also, dass die Gnade, als die höhere Potenz, den freien Willen, als die niedere (subjacens), in einer seiner Natur angemessenen Weise bewege. De pat. c. 1. ↩
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Adv. Marc. II, 5 ff. In adv. Hermog. findet sich eine derartige Erörterung nicht; es ist also die verlorene Schrift de censu animae hier gemeint. ↩