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Buch der Pastoralregel (BKV)
IV. Kapitel: Wie Untergebene und wie Vorgesetzte zu ermahnen sind
Anders sind Untergebene, anders Vorgesetzte zu ermahnen. Jene darf ihre untergebene Stellung nicht mutlos, diese ihr Vorrang nicht übermütig machen. Jene sollen alle Befehle ausführen, diese sollen nicht über Gebühr viel befehlen. Jene sollen sich demütig unterwerfen, diese Maß halten im Herrschen. Jenen ist gesagt, was auch bildlich genommen werden kann: „Ihr Kinder, gehorchet euren Eltern im Herrn!“,1 diesen aber wird befohlen: „Und ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorne!“2 Jene sollen lernen, wie sie vor den Augen des verborgenen Richters sich innerlich wohlverhalten sollen, diese, wie sie auch äußerlich den ihnen Anvertrauten das Beispiel eines guten Lebens geben sollen.
Die Vorgesetzten müssen also wissen, daß sie, wofern sie je etwas Böses tun, sich so oft des Todes schuldig machen, als sie ihren Untergebenen ein böses Beispiel geben. Um so sorgfältiger müssen sie sich daher vor jeder Schuld hüten, da sie durch das Böse, das sie tun, nicht nur sich selbst den Tod zuziehen, sondern auch die Schuld für andere Seelen auf sich laden, die sie durch ihr böses Beispiel ins Verderben stürzen. Darum sind die Untergebenen zu ermahnen, damit sie nicht strenge Strafe treffe, wenn sie nicht einmal für ihre eigene Person als schuldlos erkannt werden können, die Vorgesetzten aber, auf daß sie nicht wegen der Fehler ihrer Untergebenen gerichtet werden, selbst wenn sie über sich selbst ruhig sein könnten; jene, damit sie um so größere Sorgfalt auf ihr eigenes Leben verwenden, als sie mit Sorgen für andere nicht belastet sind, diese aber, damit sie sich zwar der anderen annehmen, aber ihr eigenes Heil nicht vernachlässigen und damit sie in glühendem Eifer für ihr eigenes Seelenheil sorgen, ohne in der S. 138 Wachsamkeit über die ihnen Anvertrauten nachzulassen. Jenem, der für sich selbst allein sorgen kann, ist gesagt: „Gehe zur Ameise hin, Fauler, und siehe ihre Wege an und lerne Weisheit!“3 An diesen aber ist das furchtbar ernste Wort gerichtet: „Mein Sohn, hast du dich für deinen Freund verbürgt, hast du einem Fremden deinen Handschlag gegeben, so bist du durch die Worte deines eigenen Mundes gebunden und gehalten durch dein eigenes Versprechen.“4 Bürgschaft leisten für einen Freund heißt die Gefahr für das Verhalten einer fremden Seele auf sich nehmen. Einem Fremden hat man daher die Hand gegeben, weil der Geist sich in der Übernahme einer Sorge, die vorher nicht da war, bindet. Durch seine eigenen Worte ist er jetzt gebunden und in seiner eigenen Rede festgelegt, weil er durch die Pflicht, den ihm Anvertrauten Gutes zu sagen, gehalten ist, das Gesagte selbst erst zu beobachten. Gebunden ist er durch sein eigenes Wort, weil er nun selbstverständlich gezwungen ist, sich in seinem Leben keine größere Freiheit zu gestatten, als mit seinen Ermahnungen vereinbar ist. Deshalb ist er vor dem strengen Richter genötigt, so viel auch selbst zu leisten, als er nach seinen Worten andern aufgetragen hat. Darum folgt an jener Stelle gleich die Mahnung: „Tue denn, was ich dir sage, mein Sohn, und mache dich frei; denn du bist in die Gewalt deines Nächsten geraten; eile, wecke deinen Freund auf! Gönne deinen Augen keinen Schlaf, noch laß deine Augenlider schlummern!“5 Denn wer andern als ein Muster und Vorbild für ihr Leben aufgestellt wird, dem gilt die Mahnung, nicht nur selbst zu wachen, sondern auch den Freund aufzuwecken. Denn es genügt für ihn nicht, selbst durch ein gutes Leben zu wachen, wenn er nicht auch den, dessen Vorgesetzter er ist, aus dem Sündenschlaf aufrüttelt. Mit Recht heißt es deshalb: „Gönne deinen Augen keinen Schlaf, noch laß deine Augenlider schlummern!“ Schlaf gönnt man den Augen, wenn man S. 139 in der Aufmerksamkeit nachläßt und in der Sorge für die Untergebenen gänzlich erlahmt. Die Augenlider schlummern, wenn unsere Gedanken unter dem Druck der Trägheit das nicht weiter beachten, was sie doch als tadelnswert an den Untergebenen erkennen. Vollends schlafen aber heißt die Fehler der Untergebenen weder sehen noch sie verbessern. Zwar noch nicht schlafen, aber schläfrig sein muß man es nennen, wenn man zwar sieht, was zu tadeln wäre, aber aus geistigem Überdruß es doch nicht entsprechend tadelt. Das schläfrige Auge aber verfällt in vollen Schlaf, das heißt, der Vorgesetzte kommt, wenn er die erkannten Fehler nicht beseitigt, zuletzt mit Recht noch so weit in seiner Nachlässigkeit, daß er die Fehler seiner Untergebenen überhaupt nicht mehr sieht.
Deshalb sind die Vorgesetzten zu ermahnen, sich umzusehen und sowohl nach innen als nach außen ringsum wachsame Augen zu haben und wie die himmlischen Tiergestalten zu werden. Es wird uns nämlich geschildert, daß sie innen und außen ringsum mit Augen bedeckt sind.6 Denn es geziemt sich, daß alle Vorgesetzten innen und außen Augen haben, weil sie sowohl in ihrer eigenen Seele dem inneren Richter gefallen, als auch nach außen ein gutes Beispiel geben und beachten sollen, was an andern zu tadeln ist.
Die Untergebenen aber sind anzuweisen, über das Leben ihrer Vorgesetzten nicht freventlich zu urteilen, wenn sie vielleicht etwas Tadelnswertes an ihnen sehen, weil sie sonst in dem berechtigten Tadel dem Bösen gegenüber vom Stolz in noch schlimmere Dinge gestürzt werden. Sie sind anzuweisen, wenn sie Fehler an ihren Vorgesetzten sehen, nicht unbescheiden gegen sie aufzutreten; sie sollen vielmehr, wenn die Fehler an den Vorgesetzten arg groß wären, so in ihrem Innern darüber denken, daß sie aus Furcht vor Gott sich nicht weigern, das Joch der Ehrfurcht solchen Vorgesetzten gegenüber S. 140 weiter zu tragen. Wir werden dies besser zeigen können, wenn wir das Beispiel Davids anführen. Der Verfolger Saul trat zur Leibesentleerung in eine Höhle, in welcher sich David mit seinen Leuten befand, der schon seit langem schwere Verfolgung von ihm zu ertragen hatte. Als ihm seine Leute zusetzten, den Saul zu erschlagen, wies er sie mit den Worten zurück, er dürfe nicht Hand anlegen an den Gesalbten des Herrn. Doch erhob er sich unbemerkt und schnitt ihm ein Stück von seinem Mantel ab. Was bedeutet nun Saul? Nicht die schlechten Vorsteher? Was David? Nicht die guten Untergebenen? Saul pflegt der Leibesnotdurft, wenn schlimme Vorgesetzte die in ihrem Herzen vorhandene Bosheit zu übelriechenden Werken kommen lassen und ihre bösen Gedanken durch Verübung äußerer Taten offenkundig machen. Doch scheut sich David, ihn zu erschlagen, wenn die Seelen gottesfürchtiger Untergebener sich von der Pest der üblen Nachrede freihalten und nicht mit dem Schwert der Zunge die Vorgesetzten tödlich verwunden, auch dann nicht, wenn sie diese wegen ihrer Unvollkommenheit bei sich tadeln müssen. Und wenn sie je einmal aus Schwachheit sich nicht ganz enthalten können, gewisse Fehler der Vorgesetzten, die besonders weit gehen und nach außen hervortreten, mit aller Bescheidenheit zu besprechen, so schneiden sie gleichsam stille ein Stück vom Mantel ab, das heißt nämlich, sie verunstalten das Gewand des über sie gesetzten Königs, wenn sie das Ansehen der Vorgesetzten, obgleich ohne zu schaden und nur im geheimen, beeinträchtigen. Sie gehen jedoch wieder in sich und machen sich über das leiseste Tadelswort die bittersten Vorwürfe. Deshalb steht dort treffend geschrieben: „Darnach aber schlug David das Herz darüber, daß er den Zipfel von dem Mantel Sauls abgeschnitten hatte.“7 Denn die Handlungen der Vorgesetzten darf man nicht mit dem Schwerte der Zunge treffen, auch wenn sie mit Recht für tadelns- S. 141 wert erachtet werden. Hat man sich aber gegen sie auch nur im mindesten durch eine Rede verfehlt, so muß das Herz von Reueschmerz ergriffen werden, damit es wieder in sich gehe und wegen des Vergehens gegen die vorgesetzte Obrigkeit das strafende Urteil dessen fürchte, der ihm die Vorgesetzten gegeben hat. Denn wenn wir uns gegen die Oberen verfehlen, widersetzen wir uns der Anordnung dessen, der sie uns vorgesetzt hat. Darum sprach auch Moses, als er von den Klagen des Volkes gegen ihn und Aaron Kunde bekam: „Denn was sind wir? Nicht gegen uns richtet sich euer Murren, sondern gegen den Herrn.“8
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Regulae pastoralis liber
Caput IV.
Quomodo admonendi
subdili et praelati.
Aliter admonendi sunt subditi, atque aliter praelati. Illos ne subjectio conterat, istos ne locus superior extollat. Illi ne minus quae jubentur impleant, isti ne plus justo jubeant quae compleantur. Illi ut humiliter subjaceant, isti ut temperanter praesint. Nam quod intelligi et figuraliter potest, illis dicitur: Filii, obedite parentibus vestris in Domino; istis vero praecipitur: Et patres, nolite ad iracundiam provocare filios vestros (Coloss. III, 20, 21). Illi discant quomodo ante occulti arbitri oculos sua interiora componant, isti quomodo etiam commissis sibi exempla bene vivendi exterius praebeant. Scire etenim praelati debent quia si perversa unquam perpetrant, tot mortibus digni sunt, quot ad subditos suos perditionis exempla transmittunt. Unde necesse est ut tanto se cautius a culpa custodiant, quanto per prava quae faciunt, non soli moriuntur sed aliorum animarum, quas pravis exemplis destruxerunt, rei sunt. Unde admonendi sunt illi; ne districtius puniantur si absoluti reperiri nequiverint saltem de se; isti ne de subditorum erratibus judicentur, etiamsi se jam de se securos inveniunt. Illi ut tanto circa se sollicitius vivant, quanto eos aliena cura non implicat; isti vero ut sic aliorum curas expleant, quatenus et suas agere non desistant, et sic in propria sollicitudine ferveant, ut a commissorum custodia minime torpescant. Illi enim sibimet vacanti dicitur: Vade ad formicam, o piger, et considera vias ejus, et disce sapientiam (Proverb. VI, 6). Iste autem terribiliter admonetur, cum dicitur: Fili mi, si spoponderis pro amico tuo, defixisti apud extraneum manum tuam, et illaqueatus es verbis oris tui, et captus propriis sermonibus (Ibid., 1). Spondere namque pro amico, est alienam animam in periculo suae conversationis accipere. Unde et apud extraneum manus defigitur, quia apud curam sollicitudinis quae ante deerat, mens ligatur. Verbis vero oris sui illaqueatus est, ac propriis sermonibus captus; quia dum commissis sibi cogitur bona dicere, ipsum prius necesse est quae dixerit custodire. Illaqueatur igitur verbis oris sui, dum ratione exigente constringitur, ne ejus vita ad aliud quam admonet relaxetur. Unde apud districtum judicem cogitur tanta in opere exsolvere, quanta eum constat aliis voce praecepisse. Ubi et bene mox exhortatio subditur, ut dicatur: Fac ergo quod dico, fili mi, et temetipsum libera, quia incidisti in manus proximi tui: discurre, festina, suscita amicum tuum; ne dederis somnum oculis tuis, nec dormitent palpebrae tuae (Prov. VI, 3). Quisquis enim ad vivendum aliis in exemplo praeponitur, non solum ut ipse vigilet, sed etiam ut amicum suscitet admonetur. Ei namque vigilare bene vivendo non sufficit, si non et illum cui praeest, a peccati torpore disjungit. Bene autem dicitur: Ne dederis somnum oculis tuis, nec dormitent palpebrae tuae (Ibid., 4). Somnum quippe oculis dare, est intentione cessante, subditorum curam omnino negligere. Palpebrae vero dormitant, cum cogitationes nostrae ea quae in subditis arguenda cognoscunt, pigredine deprimente dissimulant. Plene enim dormire est commissorum acta nec scire, nec corrigere. Non autem dormire, sed dormitare est, quae quidem reprehendenda sunt cognoscere, sed tamen propter mentis taedium dignis ea increpationibus non emendare. Dormitando vero oculus ad plenissimum somnum ducitur, quia dum plerumque qui praeest malum quod cognoscit non resecat, ad hoc quandoque negligentiae suae merito pervenit, ut quod a subjectis delinquitur, nec agnoscat. Admonendi sunt itaque qui praesunt, ut per circumspectionis studium oculos pervigiles intus et in circuitu habeant, et coeli animalia fieri contendant. (Ezech. I, 18). Ostensa quippe coeli animalia in circuitu et intus oculis plena describuntur (Apoc. IV, 6). Dignum quippe est ut cuncti qui praesunt intus atque in circuitu oculos habeant, quatenus et interno judici in semetipsis placere studeant, et exempla vitae exterius praebentes, ea etiam quae in aliis sunt corrigenda deprehendant. Admonendi sunt subditi, ne praepositorum suorum vitam temere judicent, si quid eos fortasse agere reprehensibiliter vident; ne unde mala recte redarguunt, inde per elationis impulsum in profundiora mergantur. Admonendi sunt, ne cum culpas praepositorum considerant, contra eos audaciores fiant, sed sic si qua valde sunt eorum prava, apud semetipsos dijudicent, ut tamen divino timore constricti ferre sub eis jugum reverentiae non recusent. Quod melius ostendimus, si David factum ad medium deducamus (I Reg. XXIV, 4, seq.). Saul quippe persecutor, cum ad purgandum ventrem speluncam fuisset ingressus, illic cum viris suis David inerat, qui jam tam longo tempore persecutionis ejus mala tolerabat. Cumque eum viri sui ad feriendum Saul accenderent, fregit eos responsionibus, quia manum mittere in christum Domini non deberet. Qui tamen occulte surrexit, et oram chlamydis ejus abscidit. Quid enim per Saul, nisi mali rectores; quid per David, nisi boni subditi designantur? Saul igitur ventrem purgare, est pravos praepositos conceptam in corde malitiam usque ad opera miseri odoris extendere, et cogitata apud se noxia factis exterioribus exsequendo monstrare. Quem tamen David ferire metuit, quia piae subditorum mentes ab omni se peste obtrectationis abstinentes, praepositorum vitam nullo linguae gladio percutiunt, etiam cum de imperfectione reprehendunt. Qui etsi quando pro infirmitate sese abstinere vix possunt, ut extrema quaedam atque exteriora praepositorum mala, sed tamen humiliter loquantur, quasi oram chlamidis silenter incidunt; quia videlicet dum praelatae dignitati saltem innoxie et latenter derogant, quasi regis superpositi vestem foedant, sed tamen ad semetipsos redeunt seque vehementissime vel de tenuissima verbi laceratione reprehendunt. Unde bene et illic scriptum est: Post haec David percussit cor suum, eo quod abscidisset oram chlamidis Saul (Ibid., 6). Facta quippe praepositorum oris gladio ferienda non sunt, etiam cum recte reprehendenda judicantur. Si quando vero contra eos vel in minimis lingua labitur, necesse est ut per afflictionem poenitentiae cor prematur; quatenus ad semetipsum redeat, et cum praepositae potestati deliquerit, ejus contra se judicium a quo sibi praelata est perhorrescat. Nam cum praepositis delinquimus, ejus ordinationi qui eos nobis praetulit obviamus. Unde Moyses quoque cum contra se et Aaron conqueri populum cognovisset, ait: Nos enim quid sumus? Nec contra nos est murmur vestrum, sed contra Dominum (Exod. XVI, 8).