VIII. Kapitel: Von denen, die ein Vorsteheramt anstreben und sich zur Beschönigung ihres Begehrens auf ein Apostelwort berufen
Häufig aber berufen sich jene, die ein Vorsteheramt anstreben, zur Beschönigung ihres Begehrens auf ein Apostelwort, das lautet: „Wenn jemand ein Bischofsamt verlangt, so verlangt er ein gutes Werk.“1 Dieser Ausspruch lobt zwar das Verlangen, macht aber sogleich das, was er lobt, zum Gegenstand der Furcht, indem es weiter heißt: „Es muß aber der Bischof untadelhaft sein.“ Durch die darauffolgende Aufzählung der erforderlichen Tugenden wird dann näher erläutert, was unter Untadeligkeit zu verstehen sei. Der Ausspruch lautet allerdings günstig in Bezug auf das Verlangen, aber abschreckend in Bezug auf die Anforderungen; es ist soviel, als wenn es hieße: Ich lobe euer Verlangen, aber lernet zuerst kennen, wonach ihr verlangt, damit ihr nicht vergeßt, euch selbst zu prüfen und so nicht schließlich euer tadelhaftes Wesen um so häßlicher erscheint, je mehr ihr euch beeilt, dasselbe in einer hohen Stellung vor aller Welt zur Schau zu tragen. Denn Paulus, der große Meister in der Seelenleitung, will durch Lob anspornen, durch Furcht aber abhalten, indem er seine Zuhörer durch Schilderung der hohen Forderung eines untadeligen Wandels vor Stolz sicherstellen, anderseits aber auch durch das Lob des gesuchten Amtes zu einem solchen Leben anspornen will. Man muß indes auch beachten, daß dies zu einer Zeit gesagt wurde, wo gerade der Vorsteher der Gläubigen als erster zum Martertod geschleppt wurde. Darum war es damals etwas Lobenswertes, nach dem bischöflichen Amte Verlangen zu tragen, weil dadurch zweifellos jeder ein schwereres Martyrium erlangte. Aus diesem Grunde wird das Bischofsamt als ein gutes Werk S. 78 bezeichnet, wenn es heißt: „Wenn jemand ein Bischofsamt verlangt, so verlangt er ein gutes Werk.“ Wer also hierbei nicht die Ausübung eines guten Werkes, sondern nur Ehre und Ruhm sucht, der stellt sich selbst das Zeugnis aus, daß es ihm nicht um das Bischofsamt als solches zu tun ist. Denn der hat durchaus keine Liebe zu dem heiligen Amt und kein Verständnis dafür, der in seinem Verlangen nach dem Hirtenamt in heimlichen Gedanken sich darüber freut, daß andere ihm untergeben sein sollen, der sich in seinem Eigenlob gefällt, der an der Ehre sein Herz sich sonnen läßt und über das reiche Einkommen jubelt. Die Güter der Welt sind es also, die man unter dem Schein jener Würde sucht, durch welche eben diese Güter überwunden werden sollen. Und während der Geist den Ehrenrang der Demut zu seiner Selbstverherrlichung anstrebt, raubt er der Stellung, nach der er trachtet, ihren inneren Gehalt.
1 Tim. 3, 1. ↩
