I. Kapitel: Von der Mannigfaltigkeit in der Kunst des Predigens
Anders sind zu ermahnen die Männer und anders die Frauen; anders die Jünglinge, anders die Greise; anders die Armen, anders die Reichen; anders die Fröhlichen, anders die Trauernden; anders Untergebene, anders Vorgesetzte; anders Diener, anders Herren; anders die Weisen dieser Welt, anders die Einfältigen; anders die Dreisten, anders die Schüchternen; anders die Hochmütigen, anders die Kleinmütigen; anders Ungeduldige, anders Geduldige; anders die Wohlwollenden, anders die Neidischen; anders die Aufrichtigen, anders die Unaufrichtigen; anders Gesunde, anders Kranke; anders diejenigen, die sich vor Gottes Strafen fürchten und deshalb unschuldig leben, anders, die so in der Bosheit verhärtet sind, daß sie auch durch Strafgerichte sich nicht bessern lassen; anders die zu Schweigsamen, anders die Geschwätzigen; anders die Trägen, anders die Raschen; anders die Sanftmütigen, anders die Zornigen; anders die Demütigen, anders die Stolzen; anders Eigensinnige, anders Wankelmütige; anders die Schwelger, anders die Mäßigen; anders, die das Ihrige barmherzig mitteilen, anders, die fremdes Gut an sich zu reißen suchen; anders, die weder fremdes Gut an sich reißen noch das Ihrige hergeben, anders, die zwar von ihrem Eigentum S. 132 mitteilen, aber dabei doch nicht aufhören, fremdes Gut sich anzueignen; anders die Unverträglichen, anders die Friedfertigen; anders die Händelstifter, anders die Friedensstifter; anders die, welche die Worte des göttlichen Gesetzes nicht recht verstehen, anders die, welche sie zwar recht verstehen, aber nicht demütig davon reden; anders die, welche zwar würdig predigen könnten, aus zu großer Demut aber sich davor fürchten; anders diejenigen, welche ihre Unvollkommenheit und ihre Jugend vom Predigen abhalten sollte, die aber doch ihr voreiliger Eifer dazu antreibt; anders diejenigen, die in ihren zeitlichen Bestrebungen Glück haben, anders jene, die zwar nach dem Irdischen Verlangen haben, dabei aber von Ungemach und Widerwärtigkeiten verfolgt werden; anders die Verehelichten, anders die Ledigen; anders, die in fleischliche Dinge eingeweiht sind, anders jene, welche davon nichts wissen; anders, die Tatsünden, anders, die Gedankensünden zu bereuen haben; anders, die ihre Vergehen zwar beklagen, aber sie doch nicht aufgeben, anders, die sie zwar aufgeben, aber nicht beklagen; anders, die sich ihrer bösen Werke rühmen, anders, die sich zwar darüber anklagen, sie aber doch nicht meiden; anders, die von einer plötzlichen Begierde überwältigt werden, anders, die mit Überlegung sich in die Fesseln der Sünde begeben; anders, die sehr oft, wenn auch nur geringe Sünden begehen, anders, die sich vor kleinen Fehlern in acht nehmen, aber bisweilen in große fallen; anders, die das Gute nicht einmal in Angriff nehmen, anders, die das Begonnene nicht vollenden; anders, die das Böse heimlich tun, das Gute aber öffentlich, anders, die ihre guten Werke geheim halten, aber S. 133 doch durch gewisse Handlungen eine schlimme Meinung von sich zulassen. Doch was nützt es, alles das zusammen aufzuzählen, wenn wir nicht auch im einzelnen in aller Kürze zeigen, wie die Ermahnung zu geschehen hat? Anders also sind Männer, anders Frauen zu ermahnen; denn jenen ist Schwereres, diesen Leichteres aufzuerlegen; jenen sollen große Dinge Übung verschaffen, diese sollen leichte Dinge auf anziehende Art zur Bekehrung führen. Anders sind Jünglinge, anders Greise zu ermahnen; denn jene bringt häufig eine strenge Ermahnung auf den rechten Weg, diese aber macht eine freundliche Bitte zur Besserung geneigt. Denn es steht geschrieben: „Einen Älteren fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn wie einen Vater.“1
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1 Tim. 5, 1. ↩