XXIII. Kapitel: Wie man Händelstifter und wie man Friedenstifter zu ermahnen hat
Anders muß man Händelstifter, anders Friedenstiftende ermahnen. Die Händelstifter sollen daran denken, wem sie es nachmachen. Denn als sich Unkraut unter dem guten Samen fand, heißt es in der Schrift vom S. 205 gefallenen Engel: „Ein feindlicher Mensch hat dies getan.“1 Von den Gliedern an ihm aber sagt Salomon: „Ein abtrünniger Mensch, ein heilloser Mann ist, wer wandelt mit trügerischem Munde, wer mit den Augen blinzelt, mit dem Fuße tritt, mit dem Finger redet, mit boshaftem Herzen auf Böses sinnt und allezeit Händel stiftet.“2 Siehe, den er als Händelstifter bezeichnen will, nennt er zuerst einen Abtrünnigen; denn wäre er nicht zuvor durch Abkehr seines Herzens von Gott innerlich abgefallen wie der stolze Engel von der Anschauung Gottes, so hätte er sich später nicht auch äußerlich zum Händelstiften herbeigelassen. Mit Recht wird er geschildert als ein Mann, der mit den Augen blinzelt, mit dem Finger redet und mit dem Fuße tritt. Denn herrscht im Innern Wachsamkeit, dann ist auch nach außen alles wohlgeordnet. Wer aber die rechte Geistesverfassung verloren hat, der nimmt auch äußerlich etwas Unbeständiges in seinen Bewegungen an und zeigt schon durch diese äußerliche Unruhe, daß er innerlich keinen Halt besitzt. Die Händelstifter sollen vernehmen, was geschrieben steht: „Selig die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden!“3 Wenn die, die Frieden stiften, Kinder Gottes genannt werden, so ist aus dem Gegenteil zu schließen, daß die, welche den Frieden zerstören, Kinder Satans sind. Alle aber, die sich durch Zwietracht von dem grünenden Baum der Liebe trennen, welken dahin. Wenn sich in ihren Taten Früchte guter Werke zeigen, so sind sie doch taub und nichtig, weil sie nicht aus der einigenden Liebe hervorwachsen. Darum sollen die Händelstifter bedenken, wie vielfach sie sich versündigen; indem sie eine einzige Bosheit begehen, entwurzeln sie alle Tugenden in den Herzen der Menschen. In einer Sünde begehen sie unzählige; Zwietracht säend ertöten sie die Liebe, die Mutter aller Tugenden. Da aber vor Gott nichts kostbarer ist als die Tugend der Liebe, so ist auch dem S. 206 Teufel nichts erwünschter als das Erlöschen der Liebe. Wer also durch sein Händelstiften die Nächstenliebe ertötet, der leistet dem Feinde Gottes vertraute Freundesdienste; er raubt den verwundeten Herzen jene Tugend, durch deren Verlust Satan fiel, und schneidet ihnen damit den Weg zur Höhe ab.
Die Friedensstifter hingegen sind zu ermahnen, sie sollen nicht die Tragweite einer solchen Handlung unterschätzen und wohl zusehen, zwischen welchen Menschen sie Frieden stiften müssen. Denn wie die Zwietracht der Guten ein Übel ist, so ist auch ein Übel die Eintracht der Bösen. Wenn sich also die Bosheit der Gottlosen verbündet, so wächst die Kraft ihrer bösen Anschläge; denn je mehr sie in der Bosheit übereinstimmen, um so nachdrücklicher verfolgen sie die Guten. Daher sagt Job im Namen Gottes von den Verkündigern jenes verdammten Gefäßes, nämlich des Antichrists: „Die Glieder seines Fleisches sind eng aneinandergefügt.“4 So vergleicht er seine Vasallen mit Schuppen und sagt: „Eine schließt sich an die andere, und kein Lüftchen dringt durch sie hindurch.“5 Wenn nämlich seine Anhänger nicht untereinander uneins sind, so ballen sie sich um so ärger zusammen, um die Guten zu vernichten. Wer also bei den Bösen Eintracht herstellen wollte, der würde der Bosheit neue Kraft verleihen, weil sie die Guten durch ihr einheitliches Zusammenwirken nur noch mehr verfolgen könnten. Als darum der erlauchte Prediger von den Pharisäern und Sadduzäern heftig verfolgt und ergriffen wurde, suchte er die, die geschlossen gegen ihn auftraten, miteinander in Streit zu verwickeln und rief: „Ihr Männer und Brüder! Ich bin ein Pharisäer, ein Sohn der Pharisäer; wegen der Hoffnung und Auferstehung der Toten werde ich gerichtet.“6 Da nun die Sadduzäer die Hoffnung auf eine Auferstehung leugneten, während die Pharisäer nach der Lehre der Schrift daran glaubten, ging das S. 207 Einverständnis unter den Verfolgern in die Brüche, und unversehrt ging Paulus aus der uneins gewordenen Versammlung hinweg, die vorher, solange sie einig war, ihn allen Ernstes bedrängte. Man muß also diejenigen, die gerne Frieden stiften, anweisen, den Bösen zuerst die Liebe zum innern Frieden einzuflößen, damit ihnen nachher der äußere Friede nützen kann. Denn nur wenn ihr Herz sich bemüht, den innern Frieden kennen zu lernen, wird es durch den Genuß des äußeren Friedens sich nicht zur Bosheit verleiten lassen; und nur der Hinblick auf den himmlischen Frieden wird sie davon abhalten, den irdischen zu tieferem Fall zu mißbrauchen. Da es aber nicht in der Macht der Bösen liegt, den Guten zu schaden, obschon sie dies wollen, so müssen sie zuerst unter sich friedsam sein, ehe sie den himmlischen Frieden kennen zu lernen vermögen. Da sie ihre lieblose Bosheit für die Liebe Gottes unempfänglich macht, sollen sie wenigstens aus Nächstenliebe sanftmütig werden und so vom Niedern zum Höheren fortschreitend auch zum Frieden mit dem Schöpfer gelangen, von dem sie noch weit entfernt sind.