XXVI. Kapitel: Wie man jene ermahnen muß, denen alles nach Wunsch geht, und wie jene, die nirgends Glück haben
Anders muß man diejenigen ermahnen, die in ihren zeitlichen Unternehmungen Glück haben, anders jene, die nach dem Irdischen trachten, dabei aber von Ungemach und Widerwärtigkeit verfolgt werden. Die in ihren zeitlichen Unternehmungen glücklich sind, muß man nämlich ermahnen, sie sollen, wenn alles nach Wunsch geht, des Gebers nicht vergessen, sondern die Gaben wohl betrachten, damit sie nicht das Pilgern statt des Vaterlandes lieben, nicht die Verkehrsmittel zu Hindernissen für die Ankunft machen, nicht aus Lust am nächtlichen Mondenschein den Blick von der Sonnenhelle abwenden. Man muß sie also ermahnen, ihre Erfolge in dieser Welt als Tröstungen in der Trübsal, nicht aber als Lohn und Vergeltung zu betrachten; sie sollen ihr Gemüt gegen das Glück in dieser Welt stählen, um darin nicht aus lauter Herzensfreude zu unterliegen. Denn wenn man den Wohlstand, in dem man sich befindet, nicht aus Liebe zu einem besseren Leben in seinem Werte niedriger einschätzt, macht man sich aus dem Glück in diesem vergänglichen Leben eine Gelegenheit zu ewigem Tode. Darum werden unter dem Bilde der Idumäer, S. 218 die sich’s wohl sein ließen, obwohl ihre Besiegung bevorstand, diejenigen getadelt, die sich über ihre Erfolge in dieser Welt freuen: „Sie eigneten sich mein Land als Erbe zu in der Freude ihres Herzens und aus ganzer Seele.“1 Sie werden strenge gestraft, weil sie, wie man sieht, nicht bloß sich freuen, sondern weil sie sich aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele freuen. Darum sagt Salomon: „Der Abfall der Kleinen tötet sie, und das Glück der Toren richtet sie zugrunde.“2 Darum gibt Paulus die Mahnung: „Die kaufen, seien als ob sie nicht besäßen, und die diese Welt gebrauchen, als gebrauchten sie sie nicht.“3 Die äußeren Mittel sollen uns nämlich in einer Weise dienen, daß sie den Geist von dem Streben nach der himmlischen Freude nicht abziehen, und was uns in unserer Verbannung den Lebensunterhalt gewährt, soll uns auf unserer Seelenpilgerschaft nicht ein Anlaß zur Trauer werden; wenn wir auch vergängliches Glück genießen, haben wir doch keinen Grund zur Freude, solange wir des ewigen Glückes noch entbehren müssen. Darum sagt die Kirche im Namen der Auserwählten: „Seine Linke ist unter meinem Haupte, und seine Rechte umfasset mich.“4 Die Linke Gottes, das ist das Glück des gegenwärtigen Lebens, hat sie unter ihr Haupt gelegt und drückt sie mit innigster Liebe. Die Rechte Gottes aber umfaßt sie, weil sie mit aller Hingebung im Schatten seiner ewigen Glückseligkeit ruht. Darum heißt es wiederum bei Salomon: „Langes Leben ist in seiner Rechten, und in seiner Linken Reichtum und Ehre.“5 In welcher Weise man Reichtum und Ehre besitzen müsse, lehrt er durch den Ausdruck, sie seien in seiner Linken. Darum sagt der Psalmist: „Rette mich durch deine Rechte!“6 Er sagt nicht: durch deine Hand, sondern durch deine Rechte, um durch diesen Ausdruck anzudeuten, daß er das ewige Heil suche. Darum steht abermals geschrieben: S. 219 „Deine rechte Hand, o Herr, hat die Feinde zermalmt.“7 Denn wenn Gottes Feinde auch aus seiner Linken ihr Glück empfangen, so werden sie doch durch seine Rechte zermalmt; denn das gegenwärtige Leben sieht die Bösen in ihrem Stolz, das zukünftige aber in ihrem Verlust der ewigen Seligkeit.
Die Glücklichen dieser Welt sollen sorgfältig erwägen, daß das Glück in diesem Leben bisweilen deshalb verliehen wird, um zur Lebensbesserung zu veranlassen, manchmal aber auch, um die Verdammnis in der Ewigkeit noch schwerer zu machen. Darum wurde dem Volk Israel das Land Kanaan verheißen, um es zur Hoffnung auf ewige Güter zu vermögen. Denn das rohe Volk hätte den Verheißungen Gottes in bezug auf etwas Ferneliegendes nicht geglaubt, wenn es von dem Verheißenden nicht etwas Naheliegendes empfangen hätte. Damit also sein Glaube an das Ewige gefestigt werde, wird es nicht bloß von der Hoffnung auf Erfüllung, sondern auch von der Erfüllung auf Hoffnung hingewiesen. Dies bezeugt der Psalmist deutlich mit den Worten: „Er gab ihnen die Länder der Völker zum Besitz, und die Arbeiten der Nationen ererbten sie, auf daß sie seine Gebote bewahrten und seine Satzungen befolgten.“8 Wenn aber die menschliche Seele der Wohltat Gottes nicht durch gute Werke entspricht, so erscheint ihre Verdammung um so gerechter, als sie immer mit so viel Güte behandelt wurde. Darum heißt es beim Psalmisten an einer anderen Stelle: „Du stürzest sie, indes sie sich erheben.“9 Denn da die Bösen die göttlichen Wohltaten nicht mit guten Werken erwidern, sondern sich hier auf Erden ganz gehen lassen und nur ihren Glücksgütern leben, gereicht ihnen der äußere Wohlstand zum inneren Ruin. Darum wird dem Reichen in der Höllenqual gesagt: „Du hast das Gute in deinem Leben empfangen.“10 Denn darum hat er, obwohl böse, S. 220 hier Gutes empfangen, um dort um so mehr Übles zu erleiden, weil er hier auch durch das Gute sich nicht hatte bekehren lassen.
Diejenigen hingegen, welche zwar nach den Gütern dieser Welt Verlangen tragen, aber von Ungemach und Widerwärtigkeit dabei verfolgt werden, sollen in Erwägung ziehen, wie gnadenvoll der Herr und Lenker aller Dinge über sie wacht, wenn er ihren Wünschen nicht entgegenkommt. Hat der Arzt einmal einen Kranken aufgegeben, so erlaubt er ihm, alles zu essen, was er nur wünscht. Solange aber noch Hoffnung auf Heilung vorhanden ist, verweigert er ihm viele Wünsche; so gibt man auch den Kindern, denen doch einmal das ganze Erbe gehört, kein Geld in die Hände. Wenn ihnen also das gegenwärtige Leben manche Enttäuschung und manche Demütigung bringt, so sollen sie darin einen Grund erblicken, daß sie sich um so mehr auf das Erbe der ewigen Glückseligkeit freuen dürfen. Denn wenn die göttliche Vorsehung nicht ihre Rettung für die Ewigkeit im Auge hätte, würde sie sie jetzt nicht in so strenge Zucht nehmen. Wer also in seinen zeitlichen Wünschen von Ungemach und Widerwärtigkeit verfolgt wird, soll ernstlich erwägen, daß die Sünde wie ein Fallstrick auch über den Gerechten kommt, sobald ihn irdische Macht zum Stolze verleitet. Denn wie wir schon im ersten Teil dieses Büchleins gezeigt haben,11 war David, der Liebling Gottes, gerechter, solange er sich noch in abhängiger Stellung befand, als nachdem er zur Regierung gelangt war. Als Untertan fürchtete er sich aus Gerechtigkeitsliebe, den Gegner zu töten, der in seine Hände gefallen war; als König aber ließ er sich durch Wollust verleiten, einen ergebenen Kriegsmann sogar mit hinterlistiger Überlegung zu töten. Wer will also ohne Schaden Reichtum, Macht und Ehre suchen, wenn sie selbst dem zum Schaden gereichten, der sie ungesucht bekam? Wer wird im Besitz dieser Dinge ohne große S. 221 Gefahr und Mühe gerettet werden, wenn selbst derjenige, der durch Gottes Wahl hierfür vorbereitet war, ins Wanken kam und in Schuld geriet? Sie sollen wohl erwägen, daß Salomon, von dem berichtet wird, daß er trotz seiner großen Weisheit in Abgötterei verfiel, vor seinem Falle kein Leid in dieser Welt zu tragen hatte. Die ihm verliehene Weisheit verließ ihn gänzlich, weil er durch keine Mühsal je zur Selbstzucht angeleitet worden war.