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Werke Gregor der Grosse (540-604) Regula pastoralis Buch der Pastoralregel (BKV)
Dritter Teil: Wie der Seelsorger, der ein gutes Leben führt, seine Untergebenen lehren und ermahnen muß

XXXIV. Kapitel: Wie man diejenigen ermahnen muß, welche das Gute nicht einmal in Angriff nehmen, und wie diejenigen, welche es zwar anfangen, aber nicht vollenden

Anders muß man diejenigen ermahnen, welche das Gute nicht einmal in Angriff nehmen, und anders diejenigen, welche das Begonnene nicht vollenden. Bei denen, die das Gute nicht anfangen, kann man noch nicht zu bauen anfangen, indem man ihnen vorstellt, was sie lieben sollen; da muß man vielmehr zuerst das Böse niederreißen, in dem sie weilen. Denn sie folgen nicht, wenn man ihnen etwas Unbekanntes sagt; darum müssen sie vorher begreifen, wie gefährlich die Dinge sind, die sie an sich schon erfahren haben. Wer nicht weiß, daß er gefallen ist, will ja auch nicht aufgehoben sein; und wer den Schmerz einer Wunde nicht fühlt, sucht keine Heilmittel. Man muß ihnen also zuerst zeigen, wie eitel das S. 250 ist, was sie lieben, und erst dann ihnen ernstlich einprägen, wie nützlich ihnen das wäre, um was sie sich nicht kümmern. Zuerst sollen sie einsehen, daß sie das, was sie lieben, fliehen müssen; dann werden sie später ohne Schwierigkeit erkennen, daß der Liebe wert sei, wovor sie jetzt fliehen. Lieber nehmen sie nämlich Unbekanntes hin, wenn sie als wahr erkennen müssen, was man über Bekanntes sagt. Dann lernen sie mit vollem Herzen die wahren Güter suchen, wenn sie sicher und deutlich erkannt haben, daß sie nutzlos sich mit falschen Gütern beschäftigt haben. Sie sollen also hören, daß die Freude an den gegenwärtigen Gütern schnell vergeht und doch als Ursache der Strafe ewig bleibt; was sie lieben, wird ihnen in diesem Leben gegen ihren Willen entzogen; was ihnen Schmerz bereitet, wird ihnen im andern Leben gegen ihren Willen zur Qual gelassen. Darum sollen gerade jene Dinge ihnen heilsamen Schrecken einjagen, an denen sie sich sündhaft ergötzen. Mit Zerknirschung soll die Seele die ganze Größe ihres Verlustes erschauen und erkennen, daß sie an den Rand des Verderbens geraten ist. Darum soll sie umkehren, fürchten, was sie geliebt, lieben, was sie verachtet.

Darum sagt der Herr zu Jeremias, als er ihn zum Predigen sandte: „Siehe, ich bestelle dich heute über die Völker und über die Reiche, um auszureißen und zu zerstören, zu verderben und niederzureißen, aufzubauen und zu pflanzen.“1 Er könnte den Bau der Gerechtigkeit nicht aufführen, wenn er nicht vorher das Sündhafte einreißen würde; er würde in die Herzen der Zuhörer umsonst das Wort heiliger Lehre pflanzen, wenn er nicht vorher das Dorngestrüpp nichtiger Liebe ausrotten würde. Darum hat auch Petrus zuerst niedergerissen, um nachher bauen zu können, indem er die Juden nicht zu dem ermahnte, was sie jetzt tun sollten, sondern ihnen vorhielt, was sie getan hatten, indem er sprach: „Jesus von Nazareth, einen Mann, dem Gott S. 251 unter euch Zeugnis gab durch Machterweise, Wunder und Zeichen, welche Gott durch ihn in eurer Mitte wirkte, wie ihr auch selbst wisset, diesen, der nach dem festgesetzten Ratschlusse und dem Vorherwissen Gottes überliefert ward, habt ihr durch die Hände der Gottlosen ans Kreuz geschlagen und getötet. Gott aber hat ihn auferweckt, von dem Schmerze des Totenreichs ihn befreiend.“2 Sie sollten, durch Erkenntnis ihrer Grausamkeit gleichsam zu Boden geschmettert, nach Wiederaufrichtung durch heilige Predigt angstvoll verlangen und sie mit Nutzen vernehmen. Darum antworteten sie sogleich: „Ihr Männer, Brüder! was sollen wir nun tun?“3 Worauf ihnen der Auftrag zuteil wurde: „Tuet Buße, und ein jeder von euch lasse sich taufen.“4 Sie hätten diese Worte der Erbauung ohne Zweifel verachtet, wenn sie nicht zuerst in heilsamer Weise ihr Elend eingesehen hätten. Darum mußte auch Saulus, als das Licht vom Himmel über ihm erglänzte, zuerst hören, was er Böses getan, ehe er vernahm, was er Gutes tun solle. Denn als er niederstürzte und fragte: „Wer bist du, Herr?“, ward ihm sogleich die Antwort gegeben: „Ich bin Jesus von Nazareth, den du verfolgst.“ Erst auf seine weitere Frage: „Herr, was willst du, daß ich tun soll?“ wird ihm gesagt: „Stehe auf und gehe in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst.“5 Siehe, vom Himmel herab tadelt der Herr die Werke seines Verfolgers, zeigt ihm aber nicht sogleich, was er tun solle. Siehe, das ganze Gebäude seines Stolzes stürzte zusammen, und demütig verlangte er nach dem Zusammensturz wieder aufgerichtet zu werden, und doch werden die Worte der Auferbauung zurückgehalten, bis der Hochmut gänzlich gebeugt ist; denn der unmenschliche Verfolger sollte lange niedergeschmettert daliegen und dann um so befestigter in allem Guten sich erheben, je gründlicher zuvor der eingerostete Irrtum in ihm zer- S. 252 stört war. Bei denen also, welche mit der Übung der Tugenden noch nicht begonnen haben, muß man zuerst mit strafender Hand ihre verstockte Verkehrtheit zerstören, um sie nachher zu einem tugendhaften Wandel zu erheben. So fällen wir ja auch deswegen die hohen Bäume im Wald, um sie bei einem Bau wieder auf das Dach hinauf zu heben; doch werden sie nicht gleich im Bau verwendet, sondern sie müssen zuerst gründlich austrocknen; je mehr hierbei der Saft verdunstet, solange das Holz am Boden liegt, um so sicherer kann man es nachher in der Höhe verwenden.

Diejenigen hingegen, welche das begonnene Gute nicht vollenden, muß man zur Erwägung ermahnen, daß sie auch das schon Begonnene wieder niederreißen, wofern sie ihren Vorsatz nicht ausführen. Denn wenn man das, was man ausführen zu müssen glaubt, nicht mit ernster Bemühung weiter fördert, so nimmt auch ab, was man schon errungen hatte. Die menschliche Seele gleicht in dieser Welt einem Schiff, das stromaufwärts fahren muß: sie darf nirgends stille stehen; wenn sie nicht aufwärts strebt, treibt sie nach unten. Wenn also der Mensch nicht mit kräftiger Hand seine angefangenen Tugenden zur Vollendung führt, so kämpft gerade sein Nachlassen in guten Werken gegen seine bisherigen Werke. Darum heißt es bei Salomon: „Wer verweichlicht und lässig ist in seiner Arbeit, ist ein Bruder dessen, der, was er erarbeitet, verschwendet.“6 Denn wer seine angefangenen guten Werke nicht entschieden durchführt, dessen Nachlässigkeit kommt dem Werk des Zerstörers gleich. Darum wird dem Engel der Kirche von Sardes gesagt: „Werde wach und stärke das übrige, das im Begriffe war zu sterben. Denn ich finde deine Werke nicht vollkommen vor meinem Gott.“7 Weil also seine Werke nicht vollkommen vor Gott erfunden wurden, so wird vorausgesagt, daß auch das Übrige, was schon geschehen war, dahinsterben werde. Denn wenn das Tote in uns S. 253 nicht zum Leben erweckt wird, so stirbt auch das Lebendige in uns dahin. Sie sollen also bedenken, daß es am Ende noch erträglicher gewesen wäre, den guten Weg gar nicht einzuschlagen als später wieder umzukehren. Würden sie nicht rückwärts schauen, so würden sie in dem begonnenen Streben nicht so lau werden. Darum sollen sie hören, was geschrieben steht: „Es wäre ihnen besser, den Weg der Gerechtigkeit nicht kennen gelernt zu haben, als daß sie, nachdem sie ihn erkannt, sich wieder abwenden.“8 Sie sollen das Wort der Schrift vernehmen: „O daß du kalt oder warm wärest! So aber, weil du lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.“9 Warm ist, wer gute Vorsätze faßt und sie zu Ende führt, kalt, wer gar nicht anfängt, was er vollenden sollte. Und wie die Lauheit den Übergang von der Wärme zur Kälte bildet, so kehrt auch die Wärme durch Lauheit zur Kälte zurück. Wer also in seinem Leben die Kälte des Unglaubens aufgegeben hat, die Lauheit aber nicht überwindet, im Guten nicht zunimmt und keinen Eifer annimmt, wer also die Wärme nicht will, der bringt es durch seine schädliche Lauheit bald wieder zur völligen Kälte. Aber wie die Kälte vor der Lauheit noch der Hoffnung Raum läßt, so bietet Lauheit nach der Kälte keine Hoffnung mehr. Denn wer noch in Sünden ist, hat die Hoffnung auf seine Bekehrung noch nicht aufgegeben; wer aber nach der Bekehrung lau wird, der raubt sich die Hoffnung, die er als Sünder noch haben konnte. Darum wird verlangt daß man entweder warm sei oder kalt, damit man nicht als Lauer ausgespieen werde, d. h. man soll entweder vor der Bekehrung die Bekehrung von sich hoffen lassen oder nach der Bekehrung Tugendeifer besitzen, sonst wird man als Lauer ausgespieen, der von der Wärme seines guten Vorsatzes infolge seiner Lauheit zur sündhaften Kälte zurückgekehrt ist. S. 254


  1. Jer. 1, 10. ↩

  2. Apg. 2, 22—24. ↩

  3. Ebd. 2, 37. ↩

  4. Ebd. 2, 38. ↩

  5. Ebd. 9, 5 f. ↩

  6. Sprichw. 18, 9. ↩

  7. Offenb. 3, 2. ↩

  8. 2 Petr. 2, 21. ↩

  9. Offenb. 3, 15 f. ↩

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