Einleitung.
S. 7 Sahen wir in den Dialogen Gregor in abgeschiedener Einsamkeit wehmüthig und zugleich freudig seiner frühern klösterlichen Bestrebungen gedenken, so hat uns die Pastoral-Siegel gezeigt, wie der große Papst das eine Nothwendige nie vergaß, es sich und Andern vor die Seele führte, selbst während er von den aufregendsten Geschäften bestürmt war. Hat Bernhard seinem Schüler Eugen IIL eingeschärft, der Betrachtung auch auf Petri Stuhle nicht zu vergessen, so war sich Gregor sein eigener Mahner. Die Briefe aber, von denen wir hier eine Auswahl vorlegen, führen uns in das thätige Lehen Gregors hinein; sie lassen uns den ganzen Geschäftskreis des größten Mannes einer stürmischen Zeit überblicken.
Was die Auswahl selbst betrifft, so erklärt sich die Nothwendigkeit derselben durch die große Zahl der Briefe (14 Bücher, nach Gregor's Regierungsiahren1 geordnet), welche zwei dicke Bände der Mauriner-Ausgabe füllen. Für den eigentlichen Geschichtsforscher ist freilich jeder einzelne Brief von höchstem Interesse, und er wird sich wohl schwerlich mit einer Auswahl begnügen können. Wer aber nur ein lebhaftes Bild der großen Persönlichkeit Gregor's gewinnen, sowie die damalige Zeit in ihren Hauptzügen erkennen will, dem S. 8 dürfte, so hoffen wir wenigstens, diese Auswahl einige Befriedigung geben. Sollte die Auswahl Verlangen nach dem Ganzen hervorrufen, so wäre ihr Zweck noch mehr als erfüllt.
Maßgebend für die Auswahl, die von dem verdienstvollen Leiter dieses Unternehmens (mit Berücksichtigung unsrer Vorschläge) getroffen wurde, war also vor Allem die Rücksicht auf Gregor selbst und sein Verhalten in den großen Fragen, welche die damalige Zeit bewegten.Wir sehen, mit wie tief betrübter und geängstigter Seele er den höchsten Thron der Christenheit besteigt, wie er seinen Freunden ein treuer Ratbgeber für ihre Seele bleibt, bald aber auch kräftig in die Zeitereignisse eingreift. Er ordnet das Patrimonium Petri durch Anwendung gesunder ökonomischer Grundsätze, überwacht die Bischöfe bis in die entlegensten Theile der Erde, nimmt sich mit aller Kraft der Unterdrückten an, die Juden nicht ausgenommen: bald läßt er auch den Kaiser sein kräftiges und freimüthiges Wort ver nehmen unb bändigt die Anmaßung des byzantinischen Patriarchen. Die Beilegung des illyrischen Schismas, die Belehrung der Donatisten, die Christianisirung Englands, die Regelung der kirchlichen Verhältnisse an allen Orten, — Dieß alles wollte auch die Auswahl ohne Abschwächung zur Darstellung bringen. Deßhalb wurden auch alle aus gewählten Briefe vollständig übersetzt und keine bloßen Fragmente geliefert.
Da mußte aber die Frage entstehen, was zweckentsprechender sei, die Briefe in historischer Reihenfolge zu liefern oder sie sachlichen Rubriken unterzuordnen. Wir haben uns nach reiflicher Überlegung, und nicht ohne vorher die Durchführbarleit der von anderer hochverehrter Seite projektirten sachlichen Einteilung versucht m haben, zu Ersterem entschlossen. Vorab schien schon der so gemischte Inhalt vieler Briefe, in welchen oft zwei oder mehrere Punkte nothwendig zu verschiedenen Rubriken ressortirten, einer sachlichen Eintheilung ohne Zerreissung der Briefe wenig günstig zu sein. Sodann erscheint keine Streitfrage als unabhängig von S. 9 der andern, jede wirft Licht und Schatten auf die andere, Gregor's eigene Erfahrungen sind nicht der mindeste Faktor. Dieß alles würde bei einer sachlichen Einbettung verschwinden und jedenfalls zahllose Hinweisungen unentbehrlich machen. — Dazu kommt noch als äusserer Grund die Schwierigkeit, einen nach der allgemein recipirten Weise citirten Brief in dieser Auswahl zu finden, falls nämlich die fachliche Anordnung beliebt worden wäre.
Hingegen scheint uns die historische Ordnung wesentliche Vortheile zu bieten. Die Abwechslung der Materien kann die Theilnahme des Lesers nur erhöhen, während derselbe zugleich vor Ermüdung bewahrt wird. Sowohl das Personen- als das Zeitenbild tritt in lebhaften Umrissen hervor. Wir sehen, wie fast in jedem Jahre eine andere Haupt-Sorge die Seele Gregor's bewegt. Ein eingehendes Personen- und Sachregister scheint hingegen alle Vortheile der fachlichen Eintheilung bieten zu können, obgleich es durch letztere nicht ersetzt werden könnte.
So viel zur Rechtfertigung der formellen Gestaltung. In Bezug auf die Übersetzung haben wir unsre bisherigen Grundsätze festgehalten, Gregor sollte reden, in seinem eigenthümlichen Ton und Stjl, aber deutsch sollte er reden. Die Briefe sind bereits übersetzt von Maurus Feyerabend, Benediktiner-Prior von Ottobeuren. (Kempten, Kösel, 1807. 6. Bb.) Diese Übersetzung ist allerdings mit Verständniß und Geschick gefertigt, doch vermißt man bisweilen die „Treue im Kleinen„, und es macht sich auch, der Zeit entsprechend, einige Steifheit in der Ausdrucksweise geltend. Ausserdem scheint das Werk ziemlich selten geworden zu sein. Während z. B. Feyerabend die in den Briefen vorkommenden Titulaturen vielfach modernisirt und sogar das „Sie“ als gewöhnliche Anrede gebraucht, haben wir Gregor in dieser Beziehung gegeben, wie er ist und schreibt, und bemerken nur noch, daß Gregor sich an kein Surrogat des Gothaer Almanach, sondern lediglich an sein Herz gehalten hat.
Die Ächtheit der Briefsammtung konnte nie bezweifelt S. 10 wirden, nur einzelne wenige Stellen scheinen den Maurinern verdächtig. Die Briefe Gregot's wirden immer eine reichlich fließende Geschichtsquelle ersten Ranges bleiben. Berg am Laim am Feste der unbefleckten Empfängniß 1873.
Der Übersetzer.
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Die Briefe sind nach römischen Indiktionen d. h. Steuerjahren geordnet. Dieselben beginnen im September. ↩