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Über die Aufforderung zur Keuschheit (BKV)
1. Kap. Veranlassung. Die drei verschiedenen Arten der geschlechtlichen Enthaltsamkeit im allgemeinen.
S. 326 Nachdem dir deine Frau vorangegangen und im Frieden entschlafen ist, wirst du, lieber Mitbruder, ohne Zweifel bemüht sein, deine geistige Fassung wieder zu erlangen, über das Schicksal deiner Vereinsamung nachsinnen und jedenfalls auch des Rates1 bedürftig sein. Wenngleich bei solchen Ereignissen ein jeglicher für sich mit seinem Glauben zu Rate gehen und dessen Stärke befragen muß, so wird doch gerade in diesem Falle das Nachdenken durch das niedere Bedürfnis beeinflußt, dieses aber widerstrebt in der Regel in einem und demselben Herzen dem Glauben, und daher bedarf letzterer des Rates von außen, gleichsam wie eines Sachwalters, gegenüber den niederen Bedürfnissen. Das vermeintliche Bedürfnis kann mit der größten Leichtigkeit eingeschränkt werden, wenn man mehr den Willen Gottes im Auge haben will als seine bloße Zulassung. Niemand erwirbt sich ein Verdienst, wenn er von der bloßen Nachsicht Gottes Gebrauch macht, sondern nur durch Befolgung seines Willens. „Das ist der Wille Gottes, unsere Heiligung“2. Er will nämlich, daß wir, sein Ebenbild, ihm auch ähnlich werden, so daß „wir heilig sind, wie er heilig ist“.
Dieses Gut, die Heiligung, teile ich in mehrere Arten ein, damit wenigstens eine derselben bei uns angetroffen werde. Die erste Art ist die Jungfrauschaft von der Stunde der Geburt an; die zweite ist die Jungfrauschaft von der Wiedergeburt, d. i. von der Taufe an, welche entweder in der Ehe Reinigkeit herbeiführt infolge einer Übereinkunft oder im Witwenstande verharren S. 327macht aus freiem Willen. Als dritte Art bleibt dann noch übrig die einmalige Ehe, wenn man nämlich nach Zerreißung der einen Ehe von da an dem anderen Geschlechte entsagt.
Die erste Art der Jungfrauschaft, dasjenige gar nicht kennen zu lernen, wovon man später Befreiung wünscht, ist ein seliger Zustand; die zweite Art, das zu verachten, dessen Macht man sehr gut kennt, ist Sache der Tugendstärke; die letzte aber, nach Zerreißung der Ehe durch einen Todesfall nicht mehr zu heiraten, ist Sache der Tugend und zugleich ein Verdienst der Resignation. Resignation nämlich ist es, das, was einem weggenommen wurde, nicht mehr zurückverlangen. Und zwar ist es weggenommen durch Gott den Herrn, ohne dessen Willen weder ein Blatt vom Baume, noch ein Sperling, der nur einen Pfennig wert ist, zur Erde fällt.
Edition
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De Exhortatione Castitatis
I.
[1] Non dubito, frater, te post uxorem in pace praemissam ad compositionem animi conuersum de exitu singularitatis cogitare et utique consilii indigere. Quamquam in huiusmodi cum fide sua conloqui debet unusquisque eiusque uires consulere, tamen quoniam in ista specie carnis necessitas cogitatum mouet, quae fere apud eandem conscientiam fidei resistit, opus est fidei extrinsecus consilio tamquam aduocato aduersus carnis necessitatem. [2] Quae quidem necessitas facillime circumscribi potest, si uoluntas potius dei quam indulgentia consideretur. Nemo indulgentia utendo promeretur, sed uoluntati obsequendo. [3] Voluntas dei est sanctificatio nostra. Vult enim imaginem suam nos etiam similitudinem fieri, ut simus sancti, sicuti et ipse sanctus est. Id bonum, sanctificationem dico, in species distribuit complures, ut in aliqua earum deprehendamur. [4] Prima species est uirginitas a natiuitate: secunda, uirginitas a secunda natiuitate, id est a lauacro, quae aut in matrimonio purificat ex compacto, aut in uiduitate perseuerat ex arbitrio: tertius gradus superest monogamia, cum post matrimonium unum interceptum exinde sexui renuntiatur. [5] Prima uirginitas felicitatis est, non nosse in totum a quo postea optabis liberari: secunda uirtutis est, contemnere cuius uim optime noris: reliqua species, hactenus nubendi post matrimonium morte disiunctum, praeter uirtutis etiam modestiae laus est. Modestia est enim ablatum non desiderare, et ablatum a domino deo, sine cuius uoluntate nec folium de arbore delabitur nec passer assis unius ad terram cadit.