9. Kap. Auch für die christliche Wahrheit kann unmöglich etwas anderes zu erwarten sein. Die Aussprüche des Herrn, worin er das Bekenntnis seines Namens fordert, gelten nicht bloß für die Apostel, wie die Gnostiker meinen, sondern für alle. Bekämpfung der gnostischen Mißdeutung von Matth. 10, 23, wonach man zwischen Verleugnung des Christentums und Verleugnung Christi unterscheiden sollte.
Damit es nicht etwa scheine, als besäße der Alte Bund dieses sein Geheimnis als ausschließliches Eigentum, so erübrigt uns noch, auch den christlichen Neuen Bund durchzugehen, ob er etwa von Gott eine andere und demnach in Bezug auf die Disziplin eine entgegengesetzte Lehre verkünde, deren Weisheit (sophia) ihre Söhne zu erwürgen nicht versteht. Fürwahr, die Gottheit, ihr Wille und ihre Schule ist ganz anders bei Christus, Martyrien befiehlt er entweder überhaupt gar nicht oder sie sind anders zu verstehen, zu einem solchen Kampfe ermahnt er niemand, und denen, die für ihn gelitten haben, verspricht er nichts, weil er ihre Leiden nicht wollte, und deshalb spricht er, wenn er seine Hauptgebote als Leitsterne verkündet1, die Worte: „Selig sind die, welche Verfolgung leiden um der Gerechtigkeit willen; denn ihrer ist das Himmelreich“?!2 Diese Worte gelten allgemein für alle; sodann speziell für die Apostel: „Selig seid ihr, wenn sie euch beschimpfen und verfolgen, und alles Schlechte gegen euch reden um meinetwillen. Freuet euch und frohlocket; denn sehr groß ist euer Lohn im Himmel, denn so haben es ihre Väter den Propheten auch gemacht“3. Damit verkündete er ihnen vorher, daß auch ihnen nach dem Vorgang der Propheten der Tod bevorstehe. Indes gesetzt, er hätte alle diese Verfolgungen, als bloß bedingte, damals nur für die Apostel bestimmt, so würde durch diese mit der gesamten Heilslehre, mit der Erbschaft des christlichen Namens, mit der Übertragung des Hl. Geistes auch die Lehre und Anleitung, sich Verfolgungen zu unterziehen, sich auf uns mitbeziehen, da wir ihre Erben und Schüler, die Schößlinge aus dem apostolischen S. 208Samen sind. Denn wenn er auch folgenden Ausspruch wiederum an die Apostel richtet: „Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter Wölfe“, und „hütet euch vor den Menschen; denn sie werden euch den Ratsversammlungen überliefern, in ihren Synagogen euch geißeln, und ihr werdet vor die Könige und Statthalter geführt um meinetwillen, zum Zeugnis für sie und die Heiden“ usw., dann aber hinzufügt: „Es wird der Bruder den Bruder zum Tode ausliefern, und es werden sich Kinder gegen ihre Eltern erheben und sie töten“4, so hat er doch diese letztere Bosheit offenbar als eine anderen Personen bevorstehende verkündigt. Denn bei den Aposteln finden wir davon nichts. An keinem von ihnen ist der Vater oder Bruder zum Verräter geworden, wie es jetzt sehr vielen von uns ergangen ist. Sodann kommt er auf die Apostel zurück mit den Worten: „Ihr werdet allen verhaßt sein um meines Namens willen.“ Um wieviel mehr noch wir, die wir sogar von unsern Eltern ausgeliefert werden sollen!
So hat er denn, indem er diese Auslieferung5 bald den Aposteln, bald allen in Aussicht stellt, über alle, welche den Namen Christen und den damit verknüpften Haß tragen, dasselbe Los verhängt. „Wer aber ausharret bis ans Ende, der wird gerettet werden“6. Worin denn ausharret? Doch nur in der Verfolgung, bei der Auslieferung und Hinrichtung. Denn ausharren bis ans Ende heißt nichts anderes als das Ende erleiden. Daher folgt auch sogleich die Lehre: „Der Schüler ist nicht über den Lehrer, noch der Knecht über den Herrn.“ Da der Herr und Meister Verfolgung, Auslieferung und den Tod ertragen hat, so werden die Schüler und Knechte noch um so mehr denselben Preis zahlen müssen, damit es nicht scheine, als seien sie gleichsam als Höherstehende S. 209vor Ungerechtigkeit geschützt, während ihnen doch gerade der Umstand zur Erlangung der Herrlichkeit genügen soll, daß sie im Leiden ihrem Herrn und Meister gleich geworden sind. Sie zur Erduldung desselben aufrichtend ermahnt er, „nicht diejenigen zu fürchten, welche bloß den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern Furcht lieber vor dem zu hegen, welcher imstande ist, Leib und Seele zu töten und in die Hölle zu stürzen“7. Wer sind nun diejenigen, die bloß den Leib töten, anders als die vorhergenannten8 Präsidenten und Könige, bloße Menschen, wie mich dünkt? Wer aber herrscht zugleich über die Seelen, wenn nicht Gott allein? Wer anders ist der mit dem Feuer drohende, als der, ohne dessen Willen kein Sperling, d. h. keine der beiden Substanzen des Menschen, weder Leib noch Seele, zur Erde fällt? Sogar die Zahl der Haare ist bei ihm aufgezeichnet. Wenn er außerdem noch sagt: „Fürchtet euch also nicht! Ihr seid besser als viele Sperlinge“9, so verspricht er damit, daß wir nicht vergebens, d. h. nicht ohne Nutzen zur Erde fallen sollen, im Fall wir es vorziehen, uns lieber von den Menschen als von Gott töten zu lassen.
„Jeder also, der in mir10 Bekenntnis ablegen wird vor den Menschen, in dem werde auch ich ein Bekenntnis ablegen vor meinem Vater, der im Himmel ist.“ „Und jeder, der mich vor den Menschen verleugnen wird, den werde auch ich vor meinem Vater verleugnen, der im Himmel ist.“ Klar und deutlich, sollte ich meinen, sind Begriff und Wesen, sowohl des Bekennens als des Leugnens, ausgesprochen, wenn auch die Wahl der Worte11 eine verschiedene ist. Wer sich als Christen S. 210bekennt, der bezeugt, Christo anzugehören; wer Christo angehört, der muß notwendig in Christo sein. Wer in Christo ist, der bekennt fürwahr in Christo, wenn er sich als Christen bekennt. Denn er kann dies nicht sein, wenn er nicht in Christo ist. Indem er ferner in Christo bekennt, bekennt er auch Christum, der da in ihm ist, solange er selbst, nämlich als Christ, in jenem (in Christo) ist. Spricht man z. B. das Wort Tag aus, so bezeichnet man damit, auch ohne das Wort Licht auszusprechen, die Wirkung des Lichtes, welches den Tag bewirkt. So ist auch, wenn er sich auch nicht direkt ausgedrückt hat: „Wer mich bekennt“, der Akt des täglich vorkommenden Bekennens nicht verschieden von dem, was der Ausspruch des Herrn besagt. Denn wer bekennt, was er ist, d. h. sich als Christen, der bekennt auch das, wodurch er dies ist, d. h. Christum. Mithin, wer ableugnet, ein Christ zu sein, der hat „in Christo“ verleugnet; denn er leugnet, in Christo zu sein, da er leugnet, ein Christ zu sein; indem er aber dadurch, daß er leugnet, in Christo zu sein, auch leugnet, daß Christus in ihm ist, so wird man damit auch Christus selbst verleugnen. Somit wird also der, welcher in Christo geleugnet hat, Christum selbst verleugnen, und der, welcher in Christo bekannt hat, Christum selbst bekennen.
Es hätte also genügt, wenn der Herr bloß in Betreff des Bekennens einen Ausspruch getan hätte. Denn aus der Form des Bekennens hätte man sich auch von vornherein über das Gegenteil davon, d. i. über die Verleugnung, das Urteil bilden können, daß die Verleugnung ebenso mit Verleugnung von seiten des Herrn vergolten werde, wie das Bekennen mit Bekennen. Wenn daher aus der Form des Bekennens auch das Schicksal der Verleugner erkannt wird, so ist es klar, daß die Verleugnung sich nicht deshalb auf eine andere Weise vollzieht12, weil der Ausspruch des Herrn über sie anders S. 211lautet, als der über das Bekennen, wenn er nämlich sagt: „Wer mich“, nicht „wer in mir“ verleugnen wird. Er hatte nämlich voraus erkannt, daß bei der Bekämpfung des Christentums sehr oft auch die Gewalttat erfolgen würde, daß man einen, der geleugnet hat, ein Christ zu sein, auch noch zwingen werde, sogar Christum selbst zu lästern und zu verleugnen. In solcher Weise ist vor nicht langer Zeit13, wie wir zu unserem Schrecken gesehen haben, bei einigen ihr Glaube bis auf seine letzten Fasern befehdet worden.
Daher wird es vergeblich sein, sich zu sagen, wenn ich auch geleugnet habe, ein Christ zu sein, so werde ich doch nicht von Christus verleugnet werden; denn ich habe ihn selbst nicht abgeleugnet. Kraft jener Verleugnung wird er in gleich großer Schuld verstrickt erfunden werden, weil er durch Verleugnung seiner Christenwürde leugnend, daß Christus in ihm sei, auch Christum selbst verleugnet hat. Als weiteres Moment kommt noch hinzu, daß er denen, die sich seiner schämen, auch mit Beschämung droht: „Wer sich meiner vor den Menschen geschämt hat, den werde auch ich vor meinem Vater beschämen, der im Himmel ist“; denn er wußte recht gut, daß durch Scham die Ableugnung gerade am meisten vorbereitet wird, daß der Seelenzustand sich auf der Stirn kundgibt und die Wunde des Sichschämens der Verwundung des Körpers vorausgeht.
Praeceptorum principia deducens. „Deducens“ ist das griechische ὁδηγεῖν, vgl. Apol. 21 „deductor generis humani“; der Paraklet ist der „deductor omnis veritatis“ adv. Prax. 2. ↩
Matth. 5, 10. – Der Satz ist ironisch gemeint. ↩
Luk. 6, 23. ↩
Matth. 10, 16 ff. ↩
Nach der Lesart des Agob. „ipsam hanc traditionem“. T. denkt an die genannten Stellen, wo „tradent“ „tradet“ vom Heiland gebraucht wird, einmal an alle, einmal speziell an die Apostel sich richtend. Die Ausgabe des Gangneius, der die Wiener sich anschließt, liest: „ipsa hac permixtione“ = durch diesen Wechsel, indem er sich bald an die Apostel, bald an alle wandte. ↩
Matth. 10, 22. ↩
Matth. 10, 28. ↩
in der zitierten Stelle Matth. 10, 16. ↩
Ebd. 10, 31. ↩
In me confessus fuerit, entsprechend dem Urtext Matth. 10,32 ὁμολογήσει ἐν ἐμοὶ, wo die Vulgata einfach me confessus fuerit hat. Die ursprüngliche Übersetzung mußte beibehalten werden, da Tertullian eine etwas gesuchte Unterscheidung dabei macht, um das unten deutlicher ausgesprochene Sophisma der Gnostiker zu widerlegen. ↩
Etsi dispositio diversa est. T. denkt, wie sich auch aus dem Folgenden ergibt, an die verschiedene Ausdrucksweise, einmal „in me“, das anderemal „me“. ↩
Nach der Lesart „non ad alium modum negationis pertinere“; „non“ fehlt bei Gagneius und Oehler, es darf aber nicht wegbleiben. ↩
Nach olim sind im Agob. einige Buchstaben ausgeblieben, und dann folgt pro auspice. Hartel vermutet „improbo auspice“, Wissowa einen Gedanken wie folgenden: non olim praesidem aliquem diabolo auspice. ↩
