Einleitung des Verfassers
S. 445 Gelobt sei Gott, der Dich bewogen hat, ehrwürdiger und heiliger Priester, mich Armseligen anzutreiben zur Darstellung des Lebens unserer heiligen Mutter, der Römerin Melania, die jetzo bei den Engeln wohnt! Ich war ja lange Zeit mit ihr zusammen und weiss auch einigen Bescheid, wie sie, einem Senatorengeschlecht entsprossen, alle Pracht und allen Prunk der Welt mit Füssen trat und ihren engelgleichen Wandel anfing. Aber im klaren Bewusstsein, dass ich nur ein Stümper, schien ich mir selber nicht geschaffen, so herrliche Kämpfe zu schildern, glaubte vielmehr besser zu tun, wenn ich nein sagte; denn es dünkte mir passender, durch mein Stillschweigen Gottes edle Magd zu preisen, als durch mein mattes Geschwätz ihr leuchtendes Tugendleben zu misshandeln. Doch weil Du das Versprechen gabest, heiliger Priester, durch Dein frommes Gebet mir beizustehen, will ich im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes zu erzählen mich anschicken, wie man sich auf das endlose Meer hinauswagt, und den Blick hinlenken auf den himmlischen Lohn, der dem Gehorsam verheissen ist. Und es ist in der Tat nicht zu verwundern, dass ich unerfahrener Mensch mit ungelenker Zunge nur zögernd diese Arbeit unternehme; scheint mir doch, es wären nicht einmal die gelehrtesten Männer einem Auftrag von solcher Grösse gewachsen. Denn wer soll imstande sein, das männlich starke Tugendleben dieser Heiligen anschaulich zu schildern? Ich meine den vollen Verzicht auf alle Güter dieser Welt; den flammenden Eifer um den wahren Glauben und dies Wohltun ohnegleichen; die strengen Nachtwachen und das regelmässige Schlafen auf blossem Boden; die unerbittliche Härte, wenn es irgendwie der Abtötung der Seele und des Leibes galt; ihre Sanftmut und ihre Keuschheit, die mit den körperlosen Kräften im Wettstreite zu liegen schien; die S. 446 Dürftigkeit der Kleidung und den hohen Grad der Demut, der Mutter alles Guten. Denn jede von ihren Tugenden bietet unerschöpflichen Stoff und über jede könnte man ein ganzes Buch schreiben, was meine Kraft um vieles übersteigt. Weil ich also der Riesenaufgabe nicht gewachsen bin, will ich es machen wie die Fischer, die ja genau so wissen, dass sie nicht alle Fische fangen können, aber trotzdem das Geschäft nicht aufgeben, sondern männiglich soviel fangen, als ihnen just gelingt oder auch wie jene Leute, die auf eine Wiese gehen, wo Blumen jeder Art blühen und duften; auch diese können nicht die ganze Wiese pflücken, gehen aber doch nicht heim, bevor sie genug zusammenlasen. Deren Beispiel nachahmend und fest vertrauend auf das Gebet Deiner Heiligkeit will ich hinausgehen auf die geistige Wiese der Werke unserer seligen Mutter Melania und pflücken, was mir möglich ist, und es denen, die gerne zuhören, darbieten zur Belebung ihres Tugendeifers und zu reichstem Nutzen für jene, die gesonnen sind, dem Heiland aller, ihrem Gotte, die Seelen zu weihen. Womit soll ich aber den Anfang machen, die Kämpfe der Heiligen zu berichten? Wie soll ich jene loben, deren Lob im Himmel erschallt? Ich bin ja, wie gesagt, ohne Wissenschaft, und schwerfällig ist meine Zunge. Was soll ich jener anbieten, die so treubeflissen war um Sicherstellung meines Heiles? Ich kann nur ihre heiligen hilfreichen Fürbitten herabrufen auf mich, denn diese haben schon, da sie noch lebte, mein Heil gefördert. Diese will ich anrufen auch nach ihrem Entschlafen, damit ich, eingedenk ihrer heiligen Aufträge, jede Saumseligkeit, Vergesslichkeit und Schläfrigkeit, allen Wankelmut und alle Glaubensschwäche abschüttelnd, imstande sei, doch teilweise die grossen und herrlichen Tugendwerke darzustellen, die sie gemäss der Mahnung des Evangeliums zu verbergen strebte. Doch weil es ein Wort des Herrn gibt, das da lautet: „Was man euch in das Ohr geflüstert hat, wird von den Dächern ausgerufen werden“,1 deshalb können die Tugenden der Heiligen nicht verborgen bleiben; denn sie mögen sich alle S. 447 Mühe geben, im Verborgenen all' ihre guten Werke zu vollbringen, dennoch offenbart Gott, der auf Heil und Erbauung aller bedacht ist, ihr herrliches Tugendleben nicht allein zum Nutzen jener, die davon hören, sondern auch zum Ruhme jener, die um seinetwillen kämpften bis zum Tode. So will ich denn einiges aufzeichnen von dem vielen, das ich selber sah mit eignen Augen und was ich aus fremdem Munde zuverlässig erfuhr; doch dem übrigen nachzuforschen muss ich Deinem eignen Eifer überlassen, wie geschrieben steht: „Gib dem Weisen Gelegenheit, so wird er noch weiser werden“.2