58.
Inzwischen bekam sie Botschaft, die Kaiserin befinde sich auf dem Wege nach Jerusalem und sei S. 487 schon in Antiochien eingetroffen. Nun überlegte sie, womit sie Gott am meisten ehren und den Menschen am meisten nützen könne. „Wenn ich ihr entgegengehe“, sagte sie, „muss ich Tadel erwarten, dass ich in so wertlosem Gewand in den Städten erscheine; bleib' ich aber, so bin ich in Angst, es möchte mein Verhalten als Hochmut gedeutet werden.“ Nachdem sie die Sache fromm erwogen hatte, reiste sie fort, indem sie sprach: „Da wir Christi Joch auf uns genommen haben, sollten wir eine Kaiserin, die so festen Glauben hat, sogar auf den Schultern tragen, wenn wir es würdig wären; zum mindesten obliegt uns, die Macht des Herrn zu preisen, der in diesen Tagen eine Kaiserin von so tiefer Frömmigkeit erweckte.“ Sie zog ihr entgegen bis nach Sidon zum Ausdrucke des Dankes für das Übermass von Liebe, das ihr jene zu Konstantinopel erwies, und blieb in der Kirche des heiligen Märtyrers Phokas,1 wo das Haus der gläubigen Kananäerin sein soll, die zum Herrn im Evangelium gesprochen hat: „Ja, Herr, auch die Hündlein fressen von den Brosamen die vom Herrentische fallen“.2 Mit solchem Eifer suchte die Selige Gott zugefallen sogar in der Wahl der Wohnung, durch ihren Umgang und ihren ganzen Wandel. Sobald die gottgeliebte Kaiserin sie sah, bot sie der Seligen voll Ehrfurcht ihren Gruss, wie das vor einer wahrhaft geistlichen Mutter passend ist, denn ihr selber gereichte zum Ruhme, dass sie jene so verherrlichte, die den himmlischen König vor den Augen der ganzen Welt verherrlicht hatte. Die Heilige lobte sie wegen ihres Glaubens und der Geduld, womit sie der mühsamen Reise sich unterzog und ermahnte sie, wacker voranzuschreiten in guten Werken. Die fromme Kaiserin aber sagte die denkwürdigen Worte: „Zwei Dinge dank' ich dem Herrn: dass ich die S. 488 heiligen Orte verehren darf und dass ich meine Mutter sehe; denn ich sehnte mich, solange du noch dem Herrn im Fleische dienest, deiner heiligen Nähe gewürdigt zu werden.“ Vom Übermasse geistlicher Liebe geleitet, besuchte die christliche Kaiserin das Kloster der Heiligen, verkehrte mit den Jungfrauen, als wären es ihre leiblichen Schwestern, erbaute sich sehr und äusserte die Absicht, auch die Mönche zu besuchen in ihrem Kloster und ihren Segen zu empfangen. Es stand der Tag bevor, an dem man die heiligen Reliquien in das neugebaute Kirchlein übertragen wollte. Nun bat die Kaiserin, es möchte dieses Fest in ihrer Gegenwart begangen werden.
Phokas, ein Gärtner zu Sinope am schwarzen Meer, bewirtete die Schergen, die ihn suchen und noch nicht kennen, gastfreundlich in seinem Haus und gräbt sich unterdessen selber sein Grab. So berichtet Bischof Asterius von Amasis (+ um 430) in einer Rede auf ihn (Ruinart, Acta Martyrum [Regensburg 1859] S. 578 ff.). Der Schwede Hallström hat den Stoff zur Novelle gestaltet (Uebersetzt im Hochland, Jhg. III, Bd. 2 S. 137 ff.). ↩
Mt 15,27; Mk 7,28. ↩
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