Dreiundzwanzigster Vortrag: Über die Stelle: „Spät am Sabbat aber, in der Frühe des ersten Wochentages, kam Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu sehen...“ bis: „die Wächter aber er schraken und waren wie tot.“ Mt 28,1-4
Eine Zeitlang, geliebteste Brüder, hat uns die Anstrengung der Nachtwachen schweigen gemacht; die Ermattung, die das Fasten mit sich bringt, hat und dazu gezwungen.1 . Und deshalb beginnen wir unsere S. 131Predigttätigkeit heute2 wieder mit einer Rede über die Auferstehung des Herrn. Wenn es ein göttliches Werk war, dass Christus aus der Jungfrau geboren wird, wieviel mehr ist es Gottes Werk, dass Christus von den Toten aufersteht! Wenn es also Gottes Werk ist, darf es nicht mit menschlichem Sinne aufgefaßt werden. „Spät am Sabbat aber“, heißt es, „in der Frühe des ersten Wochentages“.3 „Am Abend des Sabbats, der leuchtete.“ Das kennt nicht der weltliche Tag, das ist nicht nach dem Brauch dieser Welt! Der Abend beendet den Tag, er beginnt ihn nicht! Der Abend dunkelt, aber leuchtet nicht! Er wandelt sich nicht in Morgenrot; da er den Aufgang des Lichtes nicht kennt. [Hier] gebiert der Abend, der Vater der Nacht, den Tag! Die Ordnung wird durch ihn erkehrt, indem er seinen Schöpfer erkennt. Ein Geheimnis leuchtet auf ob der ungewohnten Erscheinung: [der Abend] eilt dem Schöpfer zu dienen, nicht aber der Zeit. Spät am Sabbat„, heißt es, “ in der Frühe des ersten Wochentages, kam Maria Magdalena und die andere Maria, das Grab zu sehen„4 . Spät eilte das Weib zur Verzeihung, das so schnell eilte zur Schuld. Am Abend sucht sie Christus, sie, die am, frühen Morgen den Adam, wie sie erkannte, für sich verloren hatte.5 “Es kam Marie und die andere Maria, das Grab zu sehen.„ Sie, die sich von dem [Baume des] Paradieses den Unglauben geholt hatte, eilt nun, sich den Glauben zu holen von dem Grabe; sie, die vom Leben[sbaume] den Tod sich geraubt hatte, eilt nun, dem Tode das Leben zu entreißen.
“Es kam Maria.„ Das ist der Name der Mutter Christi. Es kam also die Mutter, wenn wir auf den Namen sehen; es kam das Weib, damit sie würde die S. 132Mutter der Lebendigen, sie, die geworden war die Mutter der Sterbenden, damit erfüllt würde, was geschrieben steht: “Das ist: Mutter aller Lebendigen„6 . “Es kam Maria und die andere Maria.„ Es heißt nicht: “Sie kamen„, sondern: “Es kam„. Unter dem einen Namen kamen zwei, nicht aus Zufall, sondern wegen des Geheimnisses. “Es kam Maria und die andere Maria.„ Sie selbst kam, und doch eine andere; es kam eine andere, und doch sie selbst.7 . Das Weib sollte sich ändern im Leben, nicht aber im Namen; durch ihre Tugend, nicht aber in ihrem Geschlechte. Sie sollte werden die Botin der Auferstehung in dem einen Falle, die in dem anderen Falle war die Unglücksbotin des Sturzes und des Verderbens. “Es kam Maria, das Grab zu sehen„, damit sie, die der Anblick des Baumes getäuscht hatte, nun erneuert werde durch den Anblick des Grabes, damit, wie der Blick des Verführers sie zu Boden geworfen hatte, der An blick des Heilandes sie wieder aufrichte. “Siehe, es entstand ein starkes Erdbeben; denn ein Engel stieg vom Himmel„8 . Es zittert die Erde, nicht weil der Engel vom Himmel stieg, sondern weil aus der Unterwelt der Herr emporstieg. “Siehe, es entstand ein starkes Erdbeben.„ Erschüttert wird das Chaos, die Abgründe der Erde öffnen sich, das Innerste der Erde zerreißt, die Erde erbebt, die gewaltigen Berge zittern, die Grundfestes des Erdkreises werden erschüttert, die Unterwelt wird gefangen, die Hölle [vor Gericht?] gestellt9 , der Tod wird verurteilt, weil er sich, fangend nach dem Schuldigen, auf den Herrn selbst stürzte, herrschend über die Knechte, nun auch gegen den Herrn entbrennt, gegen die Menschen wütend, nun sich anstürmt gegen Gott. Mit Recht also geht zugrunde das Gesetz der Unterwelt, sind gelöst die Gesetze der Hölle, ist vernichtet die Macht des Todes, und mit Recht hat S. 133die dem Richter zugedachte Schmach zur Strafe der Vermessenheit auferweckt die Toten. Und sofort werden erneuert, das Leben wiederhergestellt, und alles genießt nun Gnade, weil das Strafgericht [wieder] übergegangen ist in die Hand des Urhebers des Lebens selbst.
“Siehe, es entstand ein starkes Erdbeben.„ [Warum] gerade jetzt ein starkes Erdbeben? O, wenn doch damals [d. i. bei der Versuchung der Stammeltern] ein leichter Wirbelwind den todbringenden Baum entwurzelt hätte! O, wenn doch der Rauch eines Nebels den Blick jenes Weibes verdunkelt hätte! O, wenn doch eine schwarze Wolke den Glanz des todbringenden Apfels verdüstert hätte! O, wenn doch die Hand, die nach der verbotenen Frucht langte, gezittert hätte! O, wenn doch nur eine unheilvolle10 Nacht den Tag der Sünde verdunkelt und den Jammer der Welt und die vielen Todesfälle und die Schmach des Schöpfers damals weggenommen hätte! Aber dem Laster dient immer die Liebkosung; gar süß schmeicheln die Sünden: die Tugend aber hat als Freundin nur die Strenge und die Kraft! “Denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel.„ Als Christus auferstand, als der Tod unterlag, wurde der Erde wiedergegeben die Verbindung mit dem Himmel, und dem Weibe, das mit dem Teufel den tödlichen Plan eingegangen war, wird eine lebenbringende Unterredung mit dem Enghel zuteil. “Denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel und wälzte den Stein weg.„ Nicht heißt es: “er wälzte„, sondern: “er wälzte den Stein weg„11 . Der aufgewälzte Stein bezeugte den Tod; weggewälzt verkündigte er die Auferstehung. O seliger Stein, der Christum sowohl verhüllen als enthüllen durfte!12 . Ja selig, der nicht minder die Herzen öffnet als das Grab; selig, der S. 134den Glauben an die Auferstehung gibt wie auch die Auferstehung des Glaubens13 , der bezeugt die Auferstehung des göttlichen Fleisches! Verändert ist hier die Ordnung der Dinge: den Tod, nicht den Toten verschlingt hier das Grab.
Das Haus des Todes wird zur Wohnstätte des Lebens; unerhört die Eigenart dieses Mutterschoßes: er empfängt einen Toten und gebiert einen Lebenden. “Denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf„14 . Welche Veranlassung hatte den der Engel, sich zu setzen, er, der doch keine Ermattung kennt? Aber er sitzt hier als Glaubensbote, als Lehrer der Auferstehung. Er setzte sich auf einen Felsen, damit die Festigkeit dieses Sitzes den Gläubigen verleihe die Festigkeit des Glaubens. Der Engel legte die Grundlage des Glaubens auf den Fels, auf den Christus die Kirche gründen wollte, da er sagt: “Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen„15 . “Sein Anblick„, heißt es, “war wie der Blitz, und seine Kleider waren wie Schnee„16 . Genügt denn zur Herrlichkeit des Engels nicht der Blitz? Was tut denn das Kleid noch zu der Natur eines himmlischen Wesens? Aber durch solchen Glanz enthüllt er Gestalt und Weise der Auferstehung; denn die durch Christus auferstehen, werden umgewandelt in die Herrlichkeit Christi. “Aus Furcht vor ihm aber erschraken die Wächter und waren wie tot"17 . Die Elenden, die damals erschütterte die Furcht vor dem Tode, als dem Leben die Sicherheit wiedergegeben wurde! Aber wie konnten auch sie, die Diener der Grausamkeit, die Vollstrecker fremder Treulosigkeit, Glauben fassen von oben? Sie belagerten das Grab, sie richten die Pforten der Macht18 auf gegen die Auferstehung und machten, dass kein S. 135Leben eintreten könne, dass der Tod nicht vernichtet würde. Ganz mit Recht also erschüttert und wirft sie zu Boden die Ankunft des Herrn! O, diese elenden und nie auf ihr eigenes Wohl bedachten sterblichen Menschen: sie beklagen ihren Tod, aber sie widersetzen sich der Möglichkeit der Auferstehung! Man hätte das Grab öffnen sollen; es hätte sich geziemt herbeizuschaffen, was immer die Auferstehung erleichtern konnte, damit an dem Ereignis das Wunder, an dem Vorbild die Hoffnung, an dem Zurückgekehrten die Erfüllung sich zeige, an dem Lebenden sich entzünde die Glaubensüberzeugung. Groß aber ist dieser Wahnsinn, dass der Mensch nicht glauben will, wovon er wünscht, dass es ihm dereinst beschieden sein möge. So viel genügt heute über die Wächter gesagt zu haben. Was aber unser Glaube daran hat, wollen wir später, weil es heute zu lang sein würde, besprechen unter dem Beistande unseres Herrn Jesus Christus, der lebt und regiert mit dem Vater als Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Ich beziehe diese Worte nicht, wie Stablewski tut, auf den Redner, der durch strenges Fasten am Predigen gehindert worden sei, sondern auf die Ermattung der Gläubigen, denen durch das Fasten die Geneigtheit fehlte, dem Redner zuzuhören ↩
wahrscheinlich am 1. Ostertage ↩
Wörtlich heißt es: Vespere autem sabbati, quae lucescit...„. Die wörtliche Auffassung und Übersetzung im Sinne des Redners ist oben wiedergegeben. ↩
Mt 28,1 ↩
Wie Chrysologus zu dieser allegorischen Deutung kommt, habe ich nicht finden können, es sei denn, dass er den Sündenfall der Stammeltern gleich nach der Erschaffung ansetzt. ↩
vgl. Gen 3,20 ↩
Venit ipsa sed altera, altera sed ipsa ↩
Mt 28,2 ↩
sistuntur inferna ↩
nox iniusta; ich möchte lieber iniustam lesen und dies auf diem peccati beziehen ↩
non dixit volvit, sed revolvit ↩
Revelare meruit et velare ↩
Verstehe: Der Gläubigen, der geistigen Auferstehung von der Sünde oder der Auferstehung des Fleisches ↩
Mt 28,2 ↩
Mt 16,18 ↩
Mt 28,3 ↩
Mt 28,4 ↩
vgl. “Die Pforten der Hölle":Mt 16,18 ↩
