Dritter Vortrag: Über die Stelle: "Als Jesus geboren war in Bethlehem Juda..." bis: "und kamen, ihn anzubeten." Mt 2,1-2
Die kluge, vorbeugende Kunst des Arztes verwendet jedesmal gegen die tödlichen Krankheiten ein Gegengift in heilsamen Säften. Doch wenn es der Kranke gegen die [Vorschriften der] Wissenschaft, gegen die Anordnungen des Arztes, zu unrechter Zeit einzunehmen wagt, kann es für ihn Ursache einer Lebensgefahr werden, so es doch hätte gesund machen sollen. So ist es auch mit dem Worte Gottes: Für denjenigen, der ohne die Weisungen des Lehrers, ohne die Zucht des gläubigen Gemütes, ohne die Beachtung der Grundsätze des Glaubens1 als ein verwegener Zuhörer das Wort S. 29Gottes zu verstehen sich anmaßt, wird es ein Anlaß zum Verderben, wo es doch ist eine Quelle des Lebens. Darum müssen wir, Brüder, darnach trachten, dass uns nicht durch unkluges Auffassen dessen, was uns Gott zu unserem Heile aufzeichnen läßt, Schaden für unsere Seele entstehe. Glaubt ihr etwa, dass der Evangelist durch unsere heutige Lesung uns hätte belehren wollen, dass sternkundige Chaldäer2 , Magier, die den Sternen nacheilen, die des Himmels Weisungen erforschen im Dunkel der Nacht, die die Ursache des Werdens und Sterbens zuschreiben dem Laufe der Gestirne, die Glück und Unglück der Menschen festgesetzt glauben durch den Einfluß der Himmelslichter glaubt ihr etwa, dass der Evangelist uns hätte belehren wollen, dass sie die Geburt Christi, die der Welt noch verborgen war, entdeckt hätten durch die Führung des Sternes? Das sei ferne! So meint es die Welt, so glauben es die Heiden, so scheint es zwar der Text anzudeuten. Aber die Erzählung des Evangeliums verkündet nichts Menschliches, sondern Göttliches; nichts Alltägliches, sondern etwas Neues; nichts, was trügt durch Zauberkünste, sondern was wirklich ist durch Wahrheit;nichts, was die Augen blendet, sondern das Herz ergreift; nichts, was unsicher ist durch Zweifel, sondern was feststeht durch die Tatsache3 ; was von Gott kommt, nicht bewirkt ist vom Schicksal; was nicht mit Zahlen berechnet ist, sondern erworben ist durch Tugenden.
"Als Jesus",heißt es, "geboren war in Bethlehem Juda, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenlande nach Jerusalem und sagten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Denn wir sahen seinen Stern im Morgenlande und kamen, ihn anzubeten."4 In der Geburt Christi wird geboren der Ursprung der Welt, wird erzeugt der Urheber des S. 30Menschengeschlechtes5 , wird geboren der Schöpfer der Natur, um die Natur wiederherzustellen, um die Menschheit zu erneuern, um den Ursprung wiederzubeleben. Adam, der erste Mensch, der Vater des Menschengeschlechtes, der Ursprung der Zeugung, hat durch seine Sünde das Glück der Natur, die Freiheit des Geschlechtes, das Leben der Nachkommen so verdorben, dass die beklagenswerte Nachkommenschaft an sich trug das Übel der Natur, die Knechtschaft des Geschlechtes, den Tod des Samens. Darum stellte Christus durch seine Geburt die Natur wieder her, überwand durch seinen Tod den Tod, belebte das Leben wieder durch seine Auferstehung. Und er, der dem Menschen die Seele gegeben hatte vom Himmel her6 , verlieh auch von dorther dem Menschen die Kraft, im Fleische zu bestehen, damit nicht irdische Makel wieder den himmlischen Sinn herabstürze in den Fall des Fleisches, wie der Apostel sagt: "Der erste Mensch von Erde ist irdisch, der zweite Mensch vom Himmel ist himmlisch, wie der Irdische, so auch die Irdischen, und wie der Himmlische, so auch die Himmlischen"7 , und der Evangelist Johannes: "Jeder, der aus Gott geboren ist, sündigt nicht, sondern die Geburt aus Gott bewahrt ihn"8 . Deshalb also wird Christus geboren, damit er die im Schoße der Erde Darniederliegenden erhebe zur [Teilnahme an der] himmlischen Natur. "Als Jesus geboren war in Bethlehem Juda."
Bethlehem, Brüder, heißt in der hebräischen Sprache "Haus des Brotes". Mit diesen Worten wird hingewiesen auf das Haus Juda, wird genannt sein Geschlecht, damit die Treue der Verheißung, die Wahrheit der Weissagung in Erfüllung gehe, die Jakob gegeben hat: "Juda! Dich werden deine Brüder preisen, deine Hände werden liegen auf dem Rücken deiner Feinde, und beugen werden sich vor dir die Söhne deines Vaters9 , und bald darauf: "Es wird nicht fehlen der Fürst aus Juda noch der Herrscher aus seinen Lenden, S. 31bis der kommt, dem das Erbe gehört10 , und der sein wird die Erwartung der Völker"11 und David ruft deshalb aus: "Juda, mein König!"12 . "Als Jesus geboren war in Bethlehem Juda in den Tagen des Herodes." Woher kommt es, dass zur Zeit des ruchlosen Königs Gott zur Erde herniedersteigt, dass sich die Gottheit mit dem Fleische vermischt13 , dass der Himmel eine Verbindung eingeht mit einem irdischen Leibe? Woher kommt das? Kam er denn damals nicht als ein wahrer König, um den Tyrannen zu vertreiben, das Vaterland zu rächen, den Erdkreis wiederherzustellen, die Freiheit wieder zurückzugeben? Herodes hatte ja als ein Abtrünniger des jüdischen Volkes das Reich an sich gerissen, die Freiheit aufgehoben, das Heiligtum geschändet, die Ordnung verwirrt und vertilgt, was an Zucht und was an Gottesverehrung noch geblieben war. Ganz mit Recht also kommt dem Menschengeschlechte göttliche Macht zu Hilfe, da ihm menschlicher Schutz fehlte; Gott selbst steht ihm bei, da kein Mensch da war, der ihm helfen konnte. So wird Christus dereinst wiederkommen, um den Antichrist zu vernichten14 , den Erdkreis zu befreien, die Heimat des Paradieses zurückzugeben, der Welt ewige Freiheit zu verleihen, die Knechtschaft der Welt zu zerstören. "Siehe, da kamen Weisen aus dem Morgenlande."
Vom Lande der aufgehenden Sonne kommen Weise zu dem aufgehenden Lichte15 , damit er selbst die Ankommenden aufnehme, denen er zu kommen befohlen S. 32hatte. Denn wann würde der Weise Gott suchen, wenn es ihm Gott nicht befehlen würde? Denn wann hätte wohl der Sterndeuter den König des Himmels gefunden, wenn Gott es ihm nicht offenbart hätte? Denn wann hätte wohl der Chaldäer den einen Gott ohne Gottes Hilfe angebetet auf Erden, wo er am Himmel so vielen Göttern diente, als er Gestirne erblickte? Ein größeres Zeichen vom Himmel aber sind die Weisen als die Sterne; denn der Weise kennt den König der Juden, den Urheber des Gesetzes, der Jude kennt ihn nicht! Der Chaldäer bringt ihm Gaben, der Jude verweigert sie ihm, Jerusalem wendet sich ab und flieht, Syrien folgt [dem Stern] und betet an! "Siehe, da kamen Weise aus dem Morgenlande und sagten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir sahen seinen Stern." Und was heißt das denn, dass er von ihnen gesehen wurde? Ganz recht hat der Apostel, wenn er sagt: "Da er [der Apostel redet von Christus] reich war, wurde er doch arm"16 . Obgleich er reich war in seiner Gottheit, wurde er doch arm in unserem Fleische und begnügte sich mit einem einzigen Stern, er, der das Weltall gemacht. hält und trägt. "Wir sahen seinen Stern." Nun sieht mit einem Male der Weise den, der den Stern hält, aber nicht gehalten wird von dem Stern; der nicht bestimmt wird durch den Lauf des Sterns, sondern selbst den Lauf des Sterns bestimmt; der den Lauf des Sterns am, Himmel so leitet, so sein Kommen und Gehen regelt, so seinen Weg ihm vorschreibt, dass dieser dem Magier als Diener erscheint und ihm gesandt als Wegweiser. Denn der Stern wandert mit dem wandernden Weisen17 ; als der Weise sich lagerte, stand auch der Stern stille: als der Weise sich zur Ruhe legte, hielt der Stern die Wache. So nun sieht der Weise, dass dem Stern auferlegt ist der Zwang des Gehorsams in gleicher Weise, wie ihnen auferlegt ist die Reise. Und darum hält er den Stern nicht S. 33für einen Gott, sondern erkennt ihn als seinen Diener an, da er ihn so mannigfach seinen Diensten unterworfen sah.
"Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir sahen seinen Stern und kamen, ihn anzubeten." Dadurch, dass sie sagten: Wo ist der neugeborene König der Juden? klingen ihre Worte nicht wie eine Frage, sondern wie Hohn18 . Wenn sie, die doch genaue Kunde hatten, diejenigen fragten, die nichts wußten. so tun sie das nicht, weil sie nichts wüßten, sondern sie beschuldigen jene der Nachlässigkeit, sie schelten sie als träge, sie verraten ihre Schlechtigkeit, sie geißeln ihre Hartnäckigkeit, sie klagen sie an, dass sie als Knechte nicht dem Herrn entgegengekommen seien. Denn was sollten sie bei Menschen suchen, wo sie doch von Gott das erfahren hatten, was sie suchten? Was sollte ihnen in dieser Sache die Erklärung durch einen Menschen nützen, wo ihnen doch des Himmels Gestirne diesen Dienst geleistet hatten? Was sollte ihnen die Leuchte des Tempels, wo ihnen doch leuchtete das Wundergestirn des Himmels? "Wo ist der neugeborene König der Juden?" Damit wollten sie sagen: Warum liegt der König der Juden in einer Krippe, und warum ruht er nicht im Tempel? Warum strahlt er nicht in Purpur, sondern liegt hart in den rauhen Windeln? Warum ist er verborgen in der Höhle, und warum liegt er nicht öffentlich im Heiligtum? Die Tiere haben den in ihre Krippe aufgenommen, den ihr in euer Haus aufzunehmen verschmäht habt. Denn es steht geschrieben: "Der Ochs kennt seinen Eigentümer, und der Esel seinen Herrn; du aber, Israel, hast deinen Herrn nicht gesucht!"19 . "Wir sahen seinen Stern."
Nicht freiwillig erschien der Stern, sondern auf Befehl, nicht auf einen Wink des Himmels,20 , sondern auf Geheiß Gottes; nicht nach dem regelmäßigen Lauf der S. 34Gestirne, sondern als ein neues Wunderzeichen; nicht [glänzt er] durch die Reinheit des Himmels21 , sondern durch die Kraft des Geborenen; nicht künstlich berechnet, sondern von Gott gesandt; nicht durch die Wissenschaft der Astrologen, sondern wegen des Vorherwissens des Schöpfers, nicht nach arithmetischen Berechnungen, sondern nach göttlichen Bestimmung; durch übernatürliche Sorge, nicht durch des Chaldäers Wißbegier; nicht durch Zauberkunst, sondern nach jüdischer Prophezeiung. Sobald aber der Weise sah, dass menschliche Beobachtungen vergeblich seien, dass seine Künste ihn verlassen hätten, dass eitel seien die Bemühungen menschlicher Wissenschaft, dass die Anstrengungen aller Schulen22 zunichte geworden seien, dass die Schätze der Philosophie selbst ganz erschöpft seien, dass die Nächte des Heidentums gewichen, die Nebel der Tagesmeinungen verschwunden, dass selbst die Schattenbilder der Dämonen verscheucht seien, dass selbst der Stern nicht wie ein Komet mit wirrem Schweife, nicht verbergen könne das, was er verkünden sollte, und selbst sein Licht verhülle, sprach er also zu sich selbst: "Es ist recht, dass ich dich mit neuem Glanze, mit hellem Feuer und mit untrüglichem Lichte nach Judäa hin einen sehe, und dass du mir dort die Geburt des Königs zeigst, die wider das Gesetz dieser Welt, wider die Ordnung des Fleisches, wider die menschliche Natur geschene ist." Und so legte er den Irrtum ab, folgt [dem Stern], eilt ihm nach, kommt zu ihm und findet ihn, freut sich, fällt nieder und betet an23 . Denn nicht durch den Stern, nicht durch seine Kunst, sondern durch Gott hat er zu seiner Freude gefunden den Gott in dem Fleische eines Menschen. So ist, Brüder, durch die heutige Lesung der Trug der Zauberer nicht bestätigt, sondern aufgelöst worden. Doch möge dies für heute genügen, damit das, was noch folgt, unter dem Beistande Gottes noch klarer werde.
Praeter magisterium, praeter doctrinam, praeter dogma fidei ↩
auch Chrysostomus hält die Weisen für Chaldäer [6. Homilie in Mt] ↩
Auctoritate ↩
Mt 2,1f. ↩
Largitor generis ↩
Gen 2,7 ↩
1 Kor 15,47f. ↩
1 Joh 5,18 ↩
Gen 49,8 [LXX] ↩
Chrysiologus liest: cui reposita sunt:o apokeitai, wie die Übersetzung des Aquila u. Symmachus haben ↩
Gen 49,10 ↩
Ps 59,9 und 107,9 ↩
nicht im Sinne der Monophysiten zu verstehen, die unter Preisgabe der Unversehrtheit der beiden Naturen in Christus an eine völlige Vermischung derselben glaubten. Vgl. den 2. Teil des Satzes und unten S. 77. Vortrag. Chrysologus lebte bzw. predigte vor dem Konzil von Chalcedon 451 ↩
ich lese subruatur statt subruat ↩
gemeint ist Christus: ab oriente ad orientem magi veniunt. Vgl. Joh 1,9 u. 3,19 ↩
2 Kor 8,9 ↩
nach dem Wortlaut des biblischen Textes ist eine solche Annahme nicht nötig ↩
non inter rogant, sed insultant; der Hohn geht gegen Herodes und die Schriftgelehrten ↩
vgl. Is 1,3 ↩
non coeli nutu: zu verstehen von der regelmäßigen Wiederkehr der Sterne am Himmel wie das folgende lege siderum. ↩
non coeli climate ↩
Sectarum ↩
sequitur, currit, pervenit, invenit, gaudet, procidit, adorat ↩
