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Werke Petrus Chrysologus (380-450) Ausgewählte Predigten Ausgewählte Predigten (BKV)
VIII. Thematische Homilien ohne Anlehnung an einen Schrifttext

Einundsechzigster Vortrag: Predigt über das Geheimnis der Menschwerdung Christi.

Früher schon, Brüder, haben wir den Anfang darüber gehört, was Christum, den Herrn, veranlaßte, eine Verbindung mit einem irdischen Leibe einzugehen, einzutreten in die Schranken des menschlichen Fleisches, Wohnung zu nehmnen in dem Schoße einer Jungfrau. Heute wollen wir mehr darüber hören. Ihr seid mein Leben, ihr mein Heil, ihr mein Ruhm! Darum leide ich es nicht, dass ihr in Unwissenheit darüber seid, was mir zu wissen der Herr verliehen hat. Der Evangelist kennt Gott, wenn er sagt: „Gott sieht niemand“1 . Weil diesen Gott also, den jener kannte, erfaßte und [im Geiste] empfand, das Geschöpf S. 336nicht sehen konnte,2 so wurde es in harter Knechtschaft [des Irrtums] gehalten; einen traurigen Dienst leistete es der unsichtbaren Majestät. Furcht hatte alle befallen, Schrecken alle Glieder gelöst, Entsetzen alles erschüttert. Im Himmel hatte der Glanz der Gottheit die Engel zu Boden geworfen, auf Erden erschütterten Donner und Blitz das Herz der sterblichen Menschen3 . So hatte die Furcht die Liebe zum Herrscher ganz verdrängt; die Engel trieb sie zur Flucht auf die Erde, die Menschen zog sie hin zu den Götzenbildern; die Welt überzog sie mit eitlem Irrtum, alles ließ sie vor dem Schöpfer fliehen, die Geschöpfe verehren. Lieben kann nicht, wer übermäßig fürchtet. Darum wollte die Welt lieber zugrunde gehen, als sich [noch länger] fürchten müssen. Der Tod ist noch leichter zu ertragen als Todesfurcht. Darum suchte Kain, als er von der Furcht wegen des Brudermordes gepeinigt zu werden anfing, den Tod selbst; in seinem Untergang suchte er Ruhe4 . Doch wozu er wähne ich Kain? Als Elias sich ganz in Furcht gebannt sah, suchte er den Tod, vor dem er geflohen war, da er glaubte, eher den Tod als die Furcht ertragen zu können5 . Auch Petrus bat, als die Furcht vor der Macht des Herrn ihn überwältigte, Christum, er möge von ihm gehen: „Geh weg von mir“, sagte er, „denn ich bin ein sündhafter Mensch!“6 .

So sprach er, weil das, was in ihm an Liebe und Glauben war, die lastende Furcht ausgelöscht hatte. So macht also die Furcht in dem, der nicht von der Liebe erfüllt ist, die Knechtschaft, mag sie auch gegeben sein, zur Schmach. Da also Gott sah, dass die Welt durch die Furcht erschüttert werde, bemühte er sich gleich, sie mit Liebe zurückzurufen, mit Gnade einzuladen, in der Liebe zu halten und mit Güte zu fesseln. Darum wollte er die von der Sünde überwucherten Erde abwaschen durch die S. 337rauschende Sündflut und berief den Noe zum Vater des neuen Geschlechtes7 , mahnte ihn mit lieben Worten, flößte ihm kindliches Vertrauen ein, belehrte ihn in Güte über das Gegenwärtige und tröstete ihn in Gnade über die Zukunft. Nicht bloß durch Befehle [mahnte er ihn], sondern er nahm Teil an seiner Arbeit und schloß in der einen Arche den Samen der ganzen Welt ein, damit so die Liebe beider die knechtische Furcht banne und in gemeinschaftlicher Liebe bewahrt bleibe, was der Welt gerettet blieb durch gemeinsame Arbeit. Darum berief er den Abraham aus der Heidenwelt8 , mehrte seinen Namen9 , machte ihn zum Vater des Glaubens10 , begleitete ihn auf dem Wege11 , beschütze ihn unter den Fremden, verlieh ihm Reichtum12 , kettete ihn an sich durch seine Verheißungen13 , rettete ihn aus der Schmach14 , erfreute ihn durch seine Einkehr als Gast15 und zeichnete ihn wunderbar aus mit erhoffter Nachkommenschaft. So ganz mit Gott erfüllt, so ganz gefangen durch die Süßigkeit der Gottesliebe, sollte er lernen, Gott zu lieben, ihn nicht zu fürchten, ihn durch Liebe, nicht aber durch Furcht zu verehren. Aus diesem Grunde tröstete [Gott] auch den Jakob auf der Flucht in einem Traume16 , reizte ihn auf der Rückkehr zum Kampfe, umschlang ihn nach Art der Kämpfer mit den Armen17 , damit er den Vater des Kampfes liebe und nicht fürchte.

Aus diesem Grunde berief er den Moses mit väterlicher Stimme, redete ihn mit väterlicher Liebe an und lud ihn ein, Befreier des Volkes zu werden18 . Und noch mehr: Er machte ihn zum Gott19 , er machte ihn vor Pharao zum Gott; er machte ihn zu Gott, rüstet ihn mit S. 338Zeichen aus, bewaffnete ihn mit Wunderkräften, trägt ihm durch seine Befehle Kämpfe auf, verleiht ihm [die Kraft] durch das Wort allein den Gegner zu besiegen, durch [bloße] Befehle Siegesruhm zu erwerben. Und so erhebt er ihn durch alle Ehrenstufen der Tugenden zu einer Freundschaft empor, nacht ihn zum Teilhaber seiner himmlischen Herrschaft, ja er gibt ihm die Gewalt eines Gesetzgebers, alles aber empfing [Moses],damit er [Gott] liebe, damit er so von der Gottesliebe entzündet werde, dass er selbst in Liebe erglühe und auch die andern zur Liebe ermahne durch das Gebot; „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen, aus deiner ganzen Seele und aus allen deinen Kräften!“20 . Er wollte, dass das ganze Herz, die ganze Seele, die ganze Kraft des Menschen so von der Gottesliebe erfüllt würden, dass der irdische Mensch nichts habe, was diese Liebe verletze. Als er aber durch alles dies, was wir erwähnt haben, die Herzen der Menschen durch die Glut der Gottesliebe entzündet hatte, als in der Seele der Menschen sich die ganze Liebe Gottes ergossen hatte, begannen diese, wunden Geistes, Gott mit fleischlichen Augen schauen zu wollen. Wie aber kann das kleine menschliche Auge den Gott schauen, den die Welt nicht fassen kann?21 . Doch die Macht der Liebe22 fragt nicht, was sein wird, was sein soll, was sein kann. Die Liebe kennt keine Überlegung, keine Einsicht, kein Maß. Die Lie be ist trostlos ob des Unmöglichen; sie scheut kein hemmendes Mittel bei Schwierigkeiten. Wenn die Liebe nicht zu dem Geliebten kommen kann, mordet sie den Liebenden; und darum eilt sie dahin, wohin sie geführt wird, nicht dahin, wohin sie soll. Die Liebe weckt das Verlangen, entzündet den Brand; Liebesglut aber strebt nach dem Unerlaubten. Und wozu noch mehr? Die Liebe muß das sehen, was sie liebt: darum hielten alle Heiligen das, was sie verdienten, für klein, wenn sie den Herrn nicht sehen würden. Und in der S. 339Tat, Brüder! Wie sollten sie für die Wohltaten Dankesdienste leisten, wenn sie den Geber der Wohltaten nicht sehen konnten? Oder wie sollten sie glauben, dass Gott sie liebe, wenn sie seines Anblicks nicht würdig wurden? Daher hat die Liebe, wenn auch keinen richtigen, so doch einen [großen] Eifer in der Liebe, wenn sie Gott zu sehen trachtet.

Darum wagte Moses zu sagen: „Wenn ich Gnade gefunden habe vor dir, so zeige mir dein Angesicht!“23 . Darum sprach ein anderer: „Zeige mir dein Angesicht!“24 . Darum haben auch die Heiden sich selbst Bildwerke gemacht, um selbst in ihrem Irrtum mit ihren Augen das zu sehen, was sie verehrten. Da also Gott wußte, dass die Sterblichen durch ihr Verlangen, ihn zu sehen, gequält würden und ermüdet, so wählte er einen Weg aus, um sich ihnen sichtbar zu machen, um so den irdischen Menschen und den himmlischen Bewohnern nicht klein zu erscheinen. Denn was Gott auf Erden zu seinem Ebenbilde gemacht hat, wie hätte er dies im Himmel ohne Ehrung lassen können? „Laßt uns den Menschen machen“, heißt es ja,„nach unserem Bilde und Gleichnisse!“25 . Vollkommene Ehrung ist geschuldet dem Bilde wie auch dem Könige. Wenn er einen Engel vom Himmel genommen hätte, er wäre gleichwohl unsichtbar geblieben; wenn er aber von der Erde eine Form genommen hätte, die unter dem Menschen stand, so wäre es eine Entehrung der Gottheit gewesen und hätte den Menschen entwürdigt, nicht erhoben. Niemand also, Geliebteste, soll es für eine Entehrung Gottes halten, wenn Gott in Menschengestalt zu den Menschen kam und aus uns unser Wesen annahm, um von uns gesehen zu werden, er, der da lebt und regiert, Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.


  1. Joh 1,18 ↩

  2. weil es ihn nur mit leiblichen Augen, nicht, wie der Evagelist, mit den Augen des Geistes sehen wollte. ↩

  3. wohl eine Anspielung auf Ex. 19,16 ↩

  4. Gen 4,14 ↩

  5. 3 Kön 19,4 ↩

  6. Lk 5,8 ↩

  7. Gen 6 u. 7 ↩

  8. Gen 12,1 ↩

  9. Gen 17,5: Gott gab ihm den Namen „Vater der Menge“,Abraham ↩

  10. ebd 15,6; 17,4 ↩

  11. ebd 18,16 ↩

  12. ebd 14,14-16 ↩

  13. ebd 12,2 ↩

  14. ebd 13 u. 15 ↩

  15. ebd 18,1 ff ↩

  16. ebd 28,11 ff ↩

  17. ebd 32,24 ff ↩

  18. Ex 3,4 ↩

  19. d. h. er gibt ihm göttliche Wunderkraft ↩

  20. Dt 6,5; 11,13; Mt 22,37; Mk 12,30; Lk 10,27 ↩

  21. vgl. 3 Kön 8,27 ↩

  22. ich lese vis statt jus amoris ↩

  23. Ex 33,13 ↩

  24. Ps 79,4 ↩

  25. Gen 1,26 ↩

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