Siebter Vortrag: Über die Stelle: "Dann wurde Jesus vom Geiste in die Wüste geführt..." bis: "das aus dem Munde Gottes kommt." Mt 4,-14
Was menschliche Wißbegier, was der Alten Forschergeist, was der Welt Weisheit suchend und lange suchend nicht finden konnte, das läßt uns die göttliche Offenbarung1 so leicht wissen und nicht wissen. Woher das Übel? Woher die Schuld? Woher die Macht der Laster? Woher die Flut der Verbrechen? Woher der Kampf des Fleisches? Woher der Kampf der Seele? Woher des Lebens große Not? Woher des Todes so S. 51grauenvoller Schiffbruch? Alles dies wüßte der Mensch nicht, wenn die Offenbarung Gottes2 es uns nicht gezeigt hätte als Werk des Teufels3 . Satan ist des Übels Urheber, die Quelle der Bosheit, der Feind der Welt, des glücklichen Menschen nimmermüder Hasser; er ist es, der die Schlinge legt, den Fall bereitet, die Grube gräbt, den Untergang verursacht, die Fleischeslust erregt, die Geister gegeneinander aufreizt; er ist es, der die Gedanken eingibt, die Zornesausbrüche auslöst, die Tugend ausliefert dem Haß, die Liebe preisgibt dem Laster; er ist es, der den Irrtum sät4 , Zwietracht nährt, den Frieden zerstört, die Liebe verjagt, die Einheit zerreißt; er ist es, der immer nur Böses, nie Gutes sinnt; er ist es, der Gotteswerk verletzt und Menschenwerk versucht. Ja, bis an Christus selbst wagt er sich heran, der verwegene Versucher, wie es heißt: "Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, darnach hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihn: Wenn du Gottes Sohn bist, sprich, dass diese Steine Brot werden!"5 Die dies vernehmen, sollen aufhören, gegen Gott zu eifern; sie sollen nicht die Natur beschuldigen, den Schöpfer nicht schmähen, das Fleisch nicht anklagen, über den Geist sich nicht beschweren, den Zeiten keine Schuld zuweisen, nichts den Sternen zur Last legen,6 . Sie sollen davon ablassen, die unschuldige Natur zu schmähen; sie sollen gestehen, dass das Böse hinzugekommen ist, nichts Geschaffenes ist7 ; sie sollen Gott als den Schöpfer des Guten, den Teufel aber als den Erfinder des Bösen anerkennen, und so sollen sie dem Teufel des Böse, Gott aber das Gute zuschreiben. Sie sollen das Böse meiden, das Gute tun; sie sollen in ihren guten Werken Gott zum Helfer haben, der das Können gibt zu dem, was er befiehlt, und selbst das tut, was er befiehlt8 .
Denn wie der Teufel uns treibt zum S. 52Bösen, so führt uns Gott zum Guten. Niemand soll also den Lastern folgen, als seien sie ihm anerschaffen; niemand soll der Natur zuschreiben, was eine Tat des Lasters ist, sondern er soll mit Christus die Waffen des Fastens ergreifen und so die anstürmenden Laster vertreiben, das Heer der Verbrechen zu Boden werfen und unter der Fahne Christi den Sieg erringen über den Urheber des Bösen. Ist nämlich der Teufel besiegt, dann werden die Laster keine Gewalt mehr haben; denn wenn der Herrscher getötet ist, lösen sich die Heere des Herrschers auf in wilder Flucht. Vernimm, was der Apostel sagt:"Wir haben nicht zu kämpfen wider Fleisch und Blut, sondern wider die Geister der Bosheit in den Himmelshöhen"9 . "Dann", heißt es, "wurde Jesus vom Geiste in die Wüste geführt."10 . Nicht vom Teufel; es sollte sein der Lauf eines Gottes, nicht das Gehen eines Menschen; es sollte sein das Werk des allwissenden Gottes, nicht der menschlichen Unwissenheit; es sollte sein ein Erweis der Kraft Gottes, nicht aber der Macht des Feindes. Der Teufel sucht immer die Anfänge des Guten zu verhindern; er untergräbt schon die ersten Versuche der Tugend; das Werk der Heiligkeit sucht er schon gleich beim Entstehen zu ver tilgen. Er weiß ja, dass er es nicht mehr unterwühlen kann, wenn es einmal festgeggründet ist. Wohl wußte dies Christus, und doch gestattete er dem Teufel, ihn zu versuchen, damit der Feind durch seine eigene Schlinge gefesselt und gefangen würde, eben dadurch, wodurch er glaubt, fangen zu können, und damit er, so von Christus besiegt, auch den Christen nicht mehr nahen könnte. "Und als er", heißt es, vierzig Tage und vierzig Nächste gefastet hatte"11 . Ihr seht, Brüder, warum wir vierzig Tage lang fasten. Es ist nicht menschliche Erfindung, es ist eine von Gott selbst gegebene Einrichtung, es ist ein Geheimnis, S. 53nicht bloß Willkür; es entsteht nicht nach irdi cher Sitte, sondern entspringt dem himmlischen Ratschluß. Die vierzigtägige Fastenzeit, die vierfache Zehnzahl deutet ja die vollkommene Glau benslehre an;12 ; denn in der Vierzahl liegt die Vollkommenheit13 Was aber die Vierzahl und die Zehnzahl an Geheimnissen im Himmel und auf der Erde in sich bergen, können wir jetzt nicht weiter auseinandersetzen. Darum laßt uns14 das Fasten, die wir schon begonnen haben, weiter fortsetzen.
"Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte." Mensch! Gott fastet nach dir, hungert nach dir; er fastet ja nur für dich, er hungert nur für dich; denn da er keiner Speise bedarf, kann er nicht hungern. Um deinetwillen also fastet der Herr, um deinetwillen hungert er. "Und als er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, darnach hungerte ihn."15 . Das ist nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern ein Beweis der Kraft. Denn wenn es heißt: "darnach hungerte ihn", so ist erwiesen, dass er vierzig Tage und vierzig Nächte nicht gehungert hatte. Den Hunger fühlen und ihn stillen, ist ein Zeichen der menschlichen Schwäche; aber ein Zeichen göttlicher Kraft ist es, keinen Hunger zu empfinden. Christus wird also nicht geschwächt durch das Fasten; er hungert nicht aus Hunger; sondern es hungert Christus, damit der Teufel Anlaß fände zur Versuchung; an den Fastenden wagte er ja nicht heranzutreten; denn den, der so fastete, erkennt er als Gott, nicht als Menschen; dann erst erkennt er den Menschen, den sterblichen Menschen, dann erst glaubt er ihn versuchen zu können, als er, der schlaue Spion, ihn hungern sah. "Und der Versucher trat herzu und sprach."16 . Er trat herzu mit der List des Versuchers, nicht mit der Liebe des Dieners. Er trat zurück mit größerer Schande, S. 54als er, der Unverschämte herzugetreten war.17 . Doch laßt uns hören, was er dem Hungrigen anbot. "Sprich, dass diese Steine Brot werden!" Er bietet Steine dem Hungrigen. Das ist die Liebenswürdigkeit des bösen Feindes immer. So nährt nur der Urheber des Todes, so nur der Neid des Lebens. "Sprich, dass diese Steine Brot werden!" Satan! Es läßt dich deine Klugheit im Stich. Er, der Steine in Brot verwandeln kann, er kann auch den Hunger wandeln in Sättigung. Was soll ihm dein Rat nützen, dem seine eigene Kraft genügt?
"Sprich, dass diese Steine Brot werden!" Satan! Du hast dich verraten, aber deinen Herrn nicht gespeist18 . "Sprich, dass diese Steine Brot werden!" Du Elender! Du willst schlecht sein, kannst es aber nicht; du sehnst dich nach einer Versuchung, aber verstehst es nicht; du hättest dem Hungrigen zarte Speise reichen sollen, aber nicht hartes Brot; du hättest den Hunger durch süße Speise lindern sollen, aber nicht durch so rauhe Speise: du hättest den Hunger nicht durch abschreckende, sondern durch schmackhafte Speise stillen sollen! Mit solchen Lockmitteln könntest du nicht einmal des Menschen Sohn gefangennehmen, geschweige denn den Gottessohn. Merke, du Versucher! Vor dem Auge Christi müssen deine Teufelskünste dir zuschanden werden. "Sprich, dass diese Steine Brot werden!" Aus den Steinen kann der Brot machen, der Wein in Wasser verwandelt hat19 . Aber Wunder werden nur gewirkt für den Glauben, nicht für den Betrug. Wunderzeichen sind zu gewähren dem Gläubigen, aber nicht dem Versucher. Und sie sollen gewirkt werden zum Heile des Bittenden, nicht aber zur Schmach des Wirkenden. Satan! Was sollen also die Wunderzeichen dem. dem ja nichts zum Heile ist, dem ja alles nur zur Strafe S. 55dient, dem ja auch Wunderzeichen nur zum Falle sind? Doch vernimm die Antwort, damit du auch dich selbst kennen lernst und dem Schöpfer dich unterwirfst. "Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt."20 . Vernimm, dass das "Wort des Vaters" hungert nach den Worten unseres Heiles, nicht nach Brot, und dass er nur besorgt ist, dass der Mensch immer lebe vom himmlischen Brote und nicht vom irdischen, und er immer so für Gott lebe, dass er seine eigene Schwachheit vergesse; denn das ist das wahre Leben, das keinen Angstschweiß kennt, keine Schmerzen leidet und kein Ende findet.
Lex divina ↩
Dei lex ↩
vgl. Röm 7,7 ↩
vgl. Mt 13,25 ↩
Mt 4,2f. ↩
so lehrten die Manichäer und Priszillianisten ↩
Malum sentiant accidens, non creatum ↩
vgl. Augustinus, Conf. X,29 ↩
Eph 6,12 ↩
Mt 4,1 ↩
Mt 4,2 ↩
wörtlich: "die vierfache Schule des Glaubens: quadratam fidei disciplinam." ↩
wörtlich:"denn die Vollkommenheit ist vierfach gestaltet". ↩
die Erörterung über ↩
Mt 4,2 ↩
Mt 4,3 ↩
Dem Sinne entsprechend lese ich: recessit peius impudens quam accessit statt des Wortlautes bei Migne:accessit... recessit ↩
Et prodidisti te, et tuum Dominum non pavisti ↩
Joh 2,1-12 ↩
Mt 4,4 ↩
