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Bekenntnisse
26. Wie messen wir also die Zeit?
Bekennt dir nicht mein Herz in aufrichtigem Bekenntnisse, daß ich die Zeiten messe? So messe ich S. 294 also, mein Gott, ohne zu wissen, was ich messe. Ich messe die Bewegung des Körpers mit der Zeit. Und doch messe ich die Zeit selbst nicht? Oder könnte ich etwa die Bewegung eines Körpers messen, wie lang sie ist und in welcher Zeit er von einem Punkte zu einem andern gelangt, wenn ich nicht die Zeit, in der er sich bewegt, messe? Womit messe ich also die Zeit selbst? Messe ich etwa die längere Zeit mit einer kürzeren Zeit wie die Länge des Balkens mit der einer Elle? So messen wir ja wohl die Dauer einer langen Silbe mit der einer kurzen und nennen jene doppelt so lang wie diese. So messen wir die Länge der Gedichte durch die Zahl der Verse, die Zahl der Verse durch die Zahl der Füße, die Zahl der Füße durch die Zahl der Silben und die Dauer der langen Silben durch die der kurzen, nicht auf dem Papier, denn so messen wir räumliche, nicht zeitliche Ausdehnungen; sondern die Länge ergibt sich daraus, wenn die Worte beim Aussprechen vorübergehen und wir sagen: „Das Gedicht ist lang, denn es besteht aus so und so viel Versen; die Verse sind lang, denn sie bestehen aus so und so viel Füßen; die Füße sind lang, denn sie zählen so und so viel Silben; die Silbe ist lang, denn sie mißt das Doppelte einer kurzen“. Aber auch so erhalten wir noch kein sicheres Zeitmaß, da ja auch ein kürzerer Vers, wenn man ihn gedehnter vorträgt, einen längeren Zeitraum ertönt als ein längerer Vers, wenn man ihn rasch hersagt. So verhält es sich auch mit dem Gedicht, so mit dem Fuße, so mit der Silbe. Hieraus habe ich geschlossen, daß die Zeit nur eine Ausdehnung sei; aber wovon, das weiß ich nicht. Es wäre wunderbar, wenn sie nicht eine Ausdehnung des Geistes selbst wäre. Denn ich bitte dich, mein Gott, was messe ich, wenn ich entweder unbestimmt sage: „Diese Zeit ist länger als jene“ oder auch bestimmt: „Diese Zeit mißt das Doppelte von jener“? Ich messe die Zeit, das weiß ich. Aber ich messe nicht die Zukunft, denn diese ist ja noch nicht, ich messe auch nicht die Gegenwart, denn sie hat keine Ausdehnung im Raume, ich messe auch nicht die Vergangenheit, denn sie ist nicht mehr. Was also messe ich? Etwa vorübergehende, nicht vorübergegangene Zeiten? So war es oben gemeint. S. 295
Edition
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Confessiones (CSEL)
Caput 26
Nonne tibi confitetur anima mea confessione veridica metiri me tempora? ita, domine deus meus, metior et quid metiar nescio. metior motum corporis tempore. item ipsum tempus nonne metior? an vero corporis motum metirer, quamdiu sit et quamdiu hinc illuc perveniat, nisi tempus, in quo movetur, metirer? ipsum ergo tempus unde metior? an tempore breviore metimur longius, sicut spatio cubiti spatium transtri? sic enim videmus spatio brevis syllabae metiri spatium longae syllabae atque id duplum dicere. ita metimur spatia carminum spatiis versuum, et spatia versuum spatiis pedum, et spatia pedum spatiis syllabarum, et spatia longarum spatiis brevium: non in paginis -- nam eo modo loca metimur, non tempora -- sed cum voces pronuntiando transeunt, et dicimus: longum carmen est, nam tot versibus contexitur; longi versus, nam tot pedibus constant; longi pedes, nam tot syllabis tenduntur; longa syllaba est, nam dupla est ad brevem. sed neque ita comprehenditur certa mensura temporis, quandoquidem fieri potest, ut ampliore spatio temporis personet versus brevior, si productius pronuntietur, quam longior, si correptius. ita carmen, ita pes, ita syllaba. inde mihi visum est nihil esse aliud tempus quam distentionem: sed cuius rei, nescio, et mirum, si non ipsius animi. quid enim metior, obsecro, deus meus, et dico aut indefinite: longius est hoc tempus quam illud aut etiam definite: duplum est hoc ad illud? tempus metior, scio; sed non metior futurum, quia nondum est, non metior praesens, quia nullo spatio tenditur, non metior praeteritum, quia iam non est. quid ergo metior? an praetereuntia tempora, non praeterita? sic enim dixeram.