7. Augustinus fühlt sich von des Ponticianus Erzählung aufs mächtigste ergriffen.
Soweit Ponticianus. Du aber, o Herr, wandtest mich während seiner Rede zu mir selbst zurück, zogest mich hinter meinem Rücken hervor, hinter dem ich mich versteckt hatte, um nicht auf mich achten zu müssen, und stelltest mich dann vor mein eigenes Angesicht, damit ich sähe, wie häßlich, entstellt und besudelt ich sei, wie voll von Flecken und Geschwüren. Ich sah es und erschauderte; doch wohin sollte ich vor mir fliehen? Und versuchte ich, den Blick von mir hinwegzuwenden, so war jener immer wieder mit seiner Erzählung da, und wiederum stelltest du mich mir gegenüber und maltest mir mein Bild vor meinen Augen, „auf daß ich meine Sünde fände und haßte“1. Ich kannte sie zwar, S. 174 aber ich übersah sie, verbarg sie und wollte sie vergessen.
Je glühender aber ich damals jene Männer liebte, die, wie ich hörte, in heilsamer Sinnesänderung sich gänzlich dir zur Heilung übergeben hatten, desto verabscheuungswürdiger und hassenswerter mußte ich mir bei einem Vergleiche vorkommen. Viele meiner Jahre, etwa zwölf, waren dahingegangen, seitdem ich in meinem neunzehnten Lebensjahre durch die Lektüre von Ciceros Hortensius zum Streben nach Weisheit begeistert worden war; aber immer wieder hatte ich es verschoben, das irdische Glück zu verachten und mich ihrer Erforschung zu widmen. Und doch hätte nicht nur ihr Besitz, sondern das bloße Forschen nach ihr den Vorzug vor dem Besitze aller Schätze und Reiche der Welt und vor allen sinnlichen Genüssen verdient, die auf einen Wink von allen Seiten auf mich hereinstürmten. Aber ich unglücklicher, damals beim Beginne meiner Jugend doppelt unglücklicher Jüngling, hatte sogar dich um Keuschheit angefleht und gesprochen: "Verleihe mir Keuschheit und Enthaltsamkeit, aber noch nicht bald". Ich fürchtete nämlich, du könntest mich zu schnell erhören und zu schnell von der Krankheit der bösen Begierlichkeit heilen, die ich lieber gestillt als ausgelöscht haben wollte. Gewandelt war ich auf schlechten Wegen in gottlosem Aberglauben, nicht gerade daß ich seiner gewiß gewesen; allein ich zog ihn anderem vor, was ich nicht mit frommem Sinn suchte, sondern feindselig bekämpfte.
Ich hatte mir eingebildet, nur deshalb verschöbe ich es von Tag zu Tag, meine weltlichen Hoffnungen aufzugeben und dir allein zu folgen, weil ich noch nichts Zuverlässiges gefunden, wohin ich meine Fahrt hätte richten sollen. Und nun war der Tag gekommen, wo ich vor mir selbst entblößt werden sollte, an dem mein Gewissen mir zurief: "Wo bist du, Sprache? Du sagtest ja doch, du wolltest um unsicherer Wahrheit willen die Bürde der Eitelkeit nicht abwerfen. Siehe, nun hast du Gewißheit, und immer noch drückt dich jene Bürde, während jenen, die sich nicht bis zur Erschöpfung mit philosophischen Problemen abgemüht noch zehn oder gar mehr Jahre über diese Dinge nachgesonnen haben, zu S. 175 freierem Fluge die Schwingen wachsen". So nagte es an meinem Innern, und furchtbare Scham überwältigte mich heftig bei diesen Worten des Ponticianus. Als er seine Rede geendigt hatte und der Grund seines Kommens erledigt war, ging er weg, ich aber hielt Einkehr bei mir. Was habe ich mir nicht alles innerlich gesagt? Wie habe ich nicht mit Vernunftgründen meine Seele gegeißelt, daß sie mir folge, wenn ich dir nachzufolgen versuchte? Noch sträubte sie sich und brachte Widerreden, aber keine Ausreden vor; doch alle Verteidigungsgründe waren verbraucht und widerlegt. Nur eine stumme Angst war geblieben, und wie den Tod fürchtete sie, dem Strome ihrer Gewohnheit entrissen zu werden, in dem sie dem Tode zueilte.
Ps. 35,3. ↩
