31. Sein Verhalten gegenüber den Versuchungen von Hunger und Durst.
Noch eine andere „Plage“ führt jeder „Tag“ mit sich - o daß „ihm doch daran genügte!“ 1 Dem täglichen Verfall des Körpers begegnen wir durch Speise und Trank, bis du „Speise und Bauch zerstörst“2, meine Bedürfnisse durch wunderbare Sättigung ertötest und „dieses Verwesliche mit ewiger Unverweslichkeit“3 bekleidest. Jetzt aber ist mir dieses Bedürfnis süß und ich kämpfe wider diese Süßigkeit, um nicht von ihr gefesselt zu werden; täglich führe ich Krieg mit mir durch Fasten, und oftmals „zwinge ich meinen Leib ins Joch“4, und doch ist es mir eine Lust, die Schmerzen des Hungers zu verscheuchen. Denn Hunger und Durst sind ja Schmerzen, sie brennen und töten wie Fieber, wenn nicht die Arznei der Nahrung ihnen abhilft. Da uns nun diese zur Hand ist in deinen trostreichen Gaben, mit denen Erde, Wasser und Himmel unserer Schwachheit zu Hilfe kommen, so wird jene Mühsal noch zum Genuß.
Du hast mich gelehrt, die Speisen gleichwie Arznei zu mir zu nehmen. Aber in dem Augenblicke, da ich von der Beschwerde der Bedürftigkeit zur Ruhe der Sättigung übergehe, bedroht mich die Begierlichkeit mit ihren Fallstricken. Denn gerade dieser Übergang verursacht ein Lustgefühl, und doch gibt es keinen anderen Übergang zu dem, was unsere Natur gebieterisch verlangt. Während die Erhaltung der Gesundheit Zweck des Essens S. 249 und Trinkens ist, gesellt sich ihr gleichsam als Begleiter die gefährliche Lust; ja sie eilt ihr sogar meistens voran, so daß aus Lust geschieht, was ich nach meiner Behauptung und nach meinem Willen der Gesundheit wegen tue. In beiden Fällen kommt aber nicht das gleiche Maß zur Anwendung; denn was der Gesundheit genug ist, ist der Lust zu wenig, und oft ist es ungewiß, ob die notwendige Sorge für den Körper noch weitere Nahrung heischt oder ob täuschende Begier lüstern bedient sein will. Ob solcher Ungewißheit freut sich dann die unglückliche Seele und schafft sich eine Entschuldigung, froh darüber, daß es nicht genau feststeht, wieviel maßhaltende Sorge für die Gesundheit fordert, um so hinter dem Vorwand der Sorge für die Gesundheit das Treiben der Lust zu verhüllen. Solchen Versuchungen nun trachte ich täglich zu widerstehen; deine Rechte rufe ich deshalb zu meiner Rettung an und trage dir meine Beängstigungen vor, da ich mir in dieser Sache noch nicht recht im klaren bin.
Ich höre die Stimme meines Gottes, der da befiehlt „Beschweret eure Herzen nicht durch Völlerei und Trunkenheit“5. Trunksucht ist mir fern; du wirst mir auch weiter mit deiner Barmherzigkeit beistehen, daß sie mir nicht nahe. Unmäßigkeit dagegen im Essen überschleicht zuweilen deinen Diener; du aber wirst mir mit deiner Barmherzigkeit beistehen, daß sie sich weit von mir entfernt. Denn „niemand kann enthaltsam sein, außer du verleihest es“6. Vieles gibst du uns, wenn wir beten, und alles Gute, was wir empfangen haben, bevor wir beteten, haben wir von dir empfangen; und auch daß wir diesen Sachverhalt nachträglich erkennen, hast du gegeben. Trunksüchtig bin ich niemals gewesen; aber ich kenne Trunksüchtige, die durch dich nüchtern geworden sind. Dein Werk also ist es, daß jene es nicht sind, die es niemals waren, dein Werk, daß die es nicht immer geblieben, die es einmal waren, dein Werk schließlich, daß beide wissen, wessen Werk das ist. Noch ein anderes deiner Worte höre ich: „Gehe nicht S. 250 nach deiner Begierlichkeit und wende dich ab von deinem sündhaften Willen“7. Und durch deine Gnade vernahm ich auch jenes, das ich so sehr liebe: „Wenn wir essen, gewinnen wir nichts, wenn wir nicht essen, verlieren wir nichts“8, das heißt: jenes wird mich nicht reich und dieses mich nicht unglücklich machen. Und wieder vernahm ich: „Ich habe gelernt, mich mit dem, was ich habe, zu begnügen, ich weiß Überfluß zu haben und Mangel zu leiden. Ich vermag alles in dem, der mich stärkt“9. Siehe, so spricht ein Streiter des Herrn, nicht Staub, der wir sind. Aber gedenke, o Herr, „daß wir Staub sind“10; du hast ja aus Staub den Menschen erschaffen, und „er war verloren und ist wiedergefunden worden“11. Auch jener vermochte das nicht aus sich selbst, da auch er Staub war; dein Geist aber gab ihm die Worte ein, derentwegen ich ihn so sehr liebe: „Ich vermag alles in dem, der mich stärkt“. Stärke mich, daß ich es vermag; gib, was du befiehlst, und befiehl, was du willst. Jener bekennt, empfangen zu haben, und da „er sich rühmt, rühmt er sich im Herrn“12. Ich hörte auch, wie ein anderer bat, daß er empfange: „Nimm hinweg von mir die Begierlichkeit meines Bauches“13. Daraus erhellt, o mein heiliger Gott, daß du gibst, wenn geschieht, was du gebietest.
Du hast mich gelehrt, o gütiger Vater: „Den Reinen ist alles rein; aber verderblich ist es dem Menschen, wenn er durch sein Essen Anstoß gibt“14. Ferner: „Alles ist gut, was du geschaffen, und nichts verwerflich, was mit Danksagung genossen wird“15; desgleichen: „Die Speise gibt uns keinen Wert bei Gott“ und „Niemand soll uns richten wegen Speise und Trank“16 und schließlich: „Wer ißt, verachte nicht den, der nicht ißt, und wer nicht ißt, richte nicht den Essenden“17. So habe ich es gelernt, Dank dir, Preis dir, meinem Gotte, meinem Lehrer, der anklopft an mein Ohr und mein Herz erleuchtet: S. 251 entreiße du mich jeglicher Versuchung. Ich fürchte nicht die Unreinheit der Speise, sondern die Unreinheit der Begier. Ich weiß, daß dem Noe jede Art von Fleisch, die eßbar war, zu genießen erlaubt war, daß Elias durch Fleischnahrung gekräftigt, daß Johannes mit seiner wunderbaren Enthaltsamkeit von den Heuschrecken, die ihm zur Speise dienen mußten, nicht befleckt wurde; andererseits weiß ich, daß Esau durch seine Begierde nach Linsenmus betrogen wurde, David wegen seines heftigen Verlangens nach Wasser selber sich tadelte und unser König nicht mit Fleisch, sondern mit Brot versucht worden ist. Daher verdiente auch das Volk in der Wüste Strafe, nicht weil es nach Fleisch verlangte, sondern weil es aus Gier nach Fleisch wider den Herrn murrte.
Mitten in solche Versuchungen also hineingestellt, streite ich täglich gegen die Begier nach Speise und Trank. Denn hier kann ich nicht beschließen, was ich bloß einmal auszutilgen und dann nicht mehr anzurühren hätte, wie es wohl bei dem außerehelichen Verhältnisse möglich war. Daher muß ich die Zügel meines Gaumens bald maßvoll etwas nachlassen bald fester anziehen. Und wer ist's, o Herr, der sich nicht zuweilen um ein Kleines über die Grenzen der Mäßigkeit fortreißen ließe? Gibt es aber einen solchen, groß ist er, und er preise deinen Namen. Ich fürwahr bin es nicht; denn ich bin ein sündiger Mensch. Aber auch ich preise deinen Namen, und es „legt Fürsprache bei dir ein für meine Sünden“18, der „die Welt überwunden hat“19 und auch mich unter „die schwachen Glieder seines Leibes“20 zählt; denn auch „was unvollkommen ist an ihm, schauten seine Augen, und in deinem Buche werden alle aufgezeichnet werden“21.
Matth. 6,34. ↩
1 Kor. 6,13. ↩
1 Kor. 15,53. ↩
1 Kor. 9,27. ↩
Luk. 21,34. ↩
Weish. 8,21. ↩
Sir. 18,30. ↩
1 Kor. 8,8. ↩
Phil. 4,11 f. ↩
Ps. 102,14 u. Gen. 3,19. ↩
Luk. 15,24 und 32. ↩
1 Kor. 1,31. ↩
Sir. 23,6. ↩
Röm. 14,20. ↩
1 Tim. 4,4. ↩
Kol. 2,16. ↩
Röm. 14,3. ↩
Röm. 8,34. ↩
Joh. 16,33. ↩
1 Kor. 12,22. ↩
Ps. 138,16. ↩
