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Werke Augustinus von Hippo (354-430) Confessiones Bekenntnisse
Sechstes Buch

10. Untadelhaftigheit des Alypius. Ankunft des Nebridius.

Diesen also hatte ich in Rom vorgefunden, und Bande innigster Freundschaft verknüpften uns. Mit mir ging er auch nach Mailand, um mich nicht zu verlassen und um die Rechtswissenschaft, die er studiert hatte, einigermaßen zu verwerten, freilich mehr nach dem Wunsche der Eltern als nach seinem eigenen. Und dreimal war er schon Spruchrichter gewesen, wobei sich seine Kollegen gar sehr über seine Uneigennützigkeit wunderten, während er sich mehr über die wunderte, die S. 121 das Gold höher als die Unschuld schätzten. Sein Charakter wurde aber nicht nur durch die Lockung der Habsucht, sondern auch durch den Stachel der Furcht in Versuchung geführt. In Rom war er vortragender Rat im Finanzministerium für Italien. Damals lebte dort ein sehr mächtiger Senator, der viele sich durch Wohltaten verbunden und durch Furcht untertänig gemacht hatte. Dieser wollte sich einst in seiner gewohnten eigenmächtigen Weise etwas Ungesetzliches herausnehmen, aber Alypius leistete Widerstand. Man versprach ihm eine Belohnung, er lachte dazu; man äußerte Drohungen, er verachtete sie, so daß alle einen solch ungewöhnlichen Mut bewunderten, der einen so mächtigen Mann, verrufen, durch zahllose Mittel zu nutzen oder zu schaden als Freund nicht wünschte, als Feind nicht fürchtete. Der Minister selbst, dessen Rat Alypius war, wollte jenem zwar auch nicht zu Willen sein, mochte ihm aber nicht offen entgegentreten, sondern schob auf Alypius die Schuld, indem er behauptete, dieser gestatte es nicht; und in der Tat hätte er sein Amt niedergelegt, wenn jener sich hätte beeinflussen lassen. Nur die Liebe zu den Wissenschaften hätte ihn beinahe verleitet, die Gerichtssporteln für die Beschaffung von Büchern zu verwenden; aber er zog die Gerechtigkeit zu Rat und änderte seinen Entschluß zum Besseren, indem er die Gerechtigkeit, welche ihn davon abhielt, für nützlicher erachtete als die Macht, die es ihm gestattete. Das ist zwar nur geringfügig: aber „wer getreu ist im Kleinen, wird auch im Großen getreu sein“1, und nimmer ist es ein leeres Wort, was aus dem Munde deiner Wahrheit gekommen: „Wenn ihr in dem ungerechten Mammon nicht treu waret, wer wird euch den wahren anvertrauen? Und wenn ihr in dem Fremden nicht treu waret, wer wird euch geben, was euer ist?“2 So war es damals, als er mir anhing, und wir schwankten, wenn wir uns berieten, welche Lebensweise wir ergreifen sollten.

Auch Nebridius hatte seine Heimat in der Nähe von S. 122 Karthago verlassen und Karthago selbst, wo er sehr häufig weilte, er hatte sein schönes, väterliches Landgut und Haus verlassen, ohne daß ihm seine Mutter gefolgt wäre; auch er war nach Mailand gekommen und zwar nur deshalb, um mit mir ein gemeinschaftliches Leben voll glühenden Eifers nach Wahrheit und Weisheit zu führen. Er, der unermüdliche Sucher glückseligen Lebens, der scharfsinnige Erörterer schwierigster Fragen seufzte und schwankte in gleicher Weise wie ich. Wir waren drei Hungernde, die sich gegenseitig ihre Not klagten, damit du ihnen gebest „Speise zur rechten Zeit“3. Und bei all der Bitterkeit, welche nach deiner Barmherzigkeit unser weltliches Treiben begleitete, begegnete uns, wenn wir auf den Zweck solches Leidens blickten, nur Finsternis, Seufzend wandten wir uns dann ab und sagten: "Wie lange noch soll dies währen?" Oft sprachen wir so, aber trotz solcher Worte ließen wir doch nicht von diesem Leben ab, weil uns keine Gewißheit winkte, die wir nach Aufgabe unseres Treibens hätten ergreifen mögen.


  1. Luk. 16,10-12. ↩

  2. Luk. 16,10-12. ↩

  3. Ps. 144,15. ↩

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