21. Kapitel: Selbst so große alttestamentliche Sünder wie David können nicht mit jedem beliebigen Sünder der Gegenwart auf die gleiche Stufe gestellt werden
30. Diese Zweifler würden sich gegebenenfalls nicht enthalten können, mit unversöhnlichem Hasse die Söhne zu verfolgen, von denen sie erfahren müßten, sie hätten ihre rechtmäßigen Gemahlinnen oder auch nur ihre Nebenfrauen versucht und sich an ihnen vergriffen. Der König David aber mußte diese Schmach von seinem gottlosen und unnatürlichen Sohn erdulden1, und doch ertrug er nicht bloß dessen Übermut, sondern betrauerte auch noch seinen Tod. Der Mann war doch gewiß nicht in den Fesseln fleischlicher Eifersucht verstrickt, den nicht der erlittene Schimpf ergrimmte, sondern bloß die Sünde des Sohnes erschütterte. Darum hatte er auch für den Fall des Sieges verboten, seinen Sohn zu töten, um dem Überwundenen Gelegenheit zur Buße zu geben; weil er das nicht konnte, so klagte er bei dessen Tod nicht über den Verlust eines Sohnes, sondern deshalb, weil er die Strafen kannte, denen die Seele eines Ehebrechers und Vatermörders übergeben wird. Denn für S. 134einen anderen Sohn hatte er sich früher schon bloß während dessen Krankheit gehärmt, weil eben dieser Sohn ein unschuldiges Kind war; als er aber dann starb, da hatte er sich über den Tod dieses (unschuldigen) Sohnes gefreut2.
31. Daraus erhellt ganz deutlich, mit welch maßvoller Enthaltsamkeit jene Männer ihre Frauen gebrauchten. Als derselbe König sich sozusagen von der leidenschaftlichen Glut seines noch jugendlichen Alters und von seinem zeitlichen Glück verführen ließ, in unerlaubter Weise gegen ein Weib zu entbrennen und darum ihren (rechtmäßigen) Gatten töten ließ, da wurde er von dem Propheten angeklagt. Dieser kam zu ihm, um ihn seiner Sünde zu überführen, und stellte ihm zu diesem Zwecke das Gleichnis von einem armen Manne vor, der nur ein einziges Schaf besaß, während sein Nachbar deren viele hatte. Als nun ein Gastfreund zu diesem Nachbarn auf Besuch kam, da bot dieser trotzdem lieber das einzige Schäflein seines (armen) Nachbarn (dem Gaste) zum Mahle an. David ergrimmte gegen diesen Reichen und befahl ihn zu töten und dem armen Mann sein Schaf vierfach zu ersetzen. Mit diesem Urteil sollte derjenige unwissentlich seine eigene Verurteilung aussprechen, der wissentlich gesündigt, hatte. Als ihm nun dieser Zweck (vom Propheten) kundgetan und die über ihn vom Himmel verhängte Strafe verkündet worden war, da tilgte er seine Sünde durch Reue. In diesem Gleichnis wurde ihm aber durch das Schaf des Nachbarn nur sein Ehebruch angedeutet; über den Mord des Gatten seines Weibes, beziehungsweise über den Mord des Armen, der nur ein Schaf besaß, wurde David durch das Gleichnis deshalb nicht verhört, weil er nur das Verdammungsurteil über seinen Ehebruch aussprechen sollte. Daraus ersieht man doch, wie maßvoll er im Gebrauche seiner vielen Frauen gewesen sein muß, da er wegen einer einzigen, um derentwillen er das rechte Maß überschritt, sich selbst strafen mußte. In diesem Manne konnte die unmäßige S. 135Lust keinen bleibenden, sondern nur einen vorübergehenden Aufenthalt nehmen; daher redete auch der tadelnde Prophet von jenem unerlaubten Verlangen bloß unter dem Bilde des Gastfreundes; denn er sagt nicht, der reiche Mann habe seinem König, sondern seinem Gastfreunde das Schaf des Armen zur Speise geboten. In Davids Sohn Salomon dagegen hatte die böse Lust nicht bloß vorübergehenden Aufenthalt wie ein Gast, nein, sie besaß die dauernde Herrschaft über ihn. Von ihm schweigt die Schrift nicht, sie beschuldigt ihn vielmehr, er sei ein Liebhaber der Weiber gewesen3. Die Anfänge (seiner Regierung) hatten erglüht von Verlangen nach der Weisheit4: als er diese Tugend aber durch geistige Liebe erlangt hatte, da verlor er sie wieder durch fleischliche Liebe.
