35. Kapitel: Die fünfte Regel des Tychonius
50. Als fünfte Regel setzt Tychonius die an, welche er von den Zeiten benennt; durch sie soll gar oft die in der Heiligen Schrift verborgene Zeitdauer gefunden oder erschlossen werden können. Diese Regel hat nach seiner Versicherung in doppelter Weise Kraft, entweder nach dem Tropus Synekdoche oder nach den gesetzlichen Zahlen. Bei der Synekdoche kann ein Teil das Ganze und das Ganze einen Teil bedeuten. So sagt z. B. der eine Evangelist1, es sei nach acht, und der andere2, es sei nach sechs Tagen geschehen, daß das Angesicht des Herrn auf dem Berge in Gegenwart von nur drei Jüngern wie die Sonne und seine Kleider wie Schnee geglänzt hätten. Beide Angaben über die Zahl der Tage können unmöglich richtig sein, wenn nicht der Evangelist, der von acht Tagen spricht, den letzten Teil des Tages, an dem der Herr die Erscheinung vorhersagte, und den ersten Teil des Tages, an dem er die Erfüllung zeigte, für zwei ganze und vollständige Tage angesetzt hat, während der Evangelist, der von sechs Tagen spricht, nur alle dazwischen liegenden Tage als ganze zählte. Durch diese Redeweise, nach welcher der Teil zugleich auch das Ganze bedeutet, wird auch die berühmte Frage von der Auferstehung Christi gelöst. Denn wenn nicht der letzte Teil des Leidenstages mit Einschluß der vorhergehenden Nacht für einen ganzen Tag und die Nacht, in deren letztem Teil er auferstand, mit Einschluß des anbrechenden Sonntags für einen ganzen Tag genommen wird, dann können es nicht drei Tage und drei Nächte sein, wo er nach seiner Vorhersage im Schoße der Erde sein sollte3.
S. 15451. Gesetzliche Zahlen nennt er jene, welche die Heilige Schrift in hervorragender Weise empfiehlt, wie die Sieben-, Zehn- oder Zwölfzahl und wie sie sonst alle heißen: ein aufmerksamer Leser kann sie leicht von selbst finden. Häufig werden solche Zahlen für die ganze Zeit gesetzt. So ist z. B. der Ausspruch: „Siebenmal im Tage werde ich dich loben4“ nichts anderes als: „Immer ist sein Lob in meinem Munde5. Dieselbe Kraft haben solche Zahlen, wenn man sie multipliziert, z. B. mit zehn (und dabei Zahlen erhält) wie siebzig oder siebenhundert. Daher können die siebzig Jahre des Jeremias6 geistigerweise von der ganzen Zeit verstanden werden, in der die Kirche in der Fremde ist. (Dieselbe Kraft haben diese Zahlen weiterhin,) wenn man sie mit sich selbst multipliziert wie z. B. zehnmal zehn gleich hundert und zwölfmal zwölf gleich hundertvierundvierzig. Mit letzterer Zahl wird in der geheimen Offenbarung die Gesamtzahl aller Heiligen bezeichnet7. Daraus geht hervor, daß nicht bloß Zeitfragen durch jene Zahlen zu lösen sind, sondern daß ihre Bedeutung weiter reicht und sich auf gar Vielerlei erstreckt. Denn die erwähnte Zahl in der Geheimen Offenbarung bezieht sich beispielsweise nicht auf Zeiten, sondern auf Menschen.
