13. Kapitel: Die hervorragende Bedeutung der Rührung
29. Um jener Menschen willen jedoch, deren verderbtem Geschmack die Wahrheit nur dann zusagt, wenn auch der Vortrag des Redners gefällt, ist in der Beredsamkeit auch der Ergötzung ein nicht geringer Spielraum eingeräumt. Aber selbst dieses Zugeständnis genügt für harte Herzen nicht: ihnen bringt es keinen Nutzen, daß sie durch die Rede des Lehrenden zur S. 187Erkenntnis gebracht und ergötzt worden sind. Denn welchen Vorteil bringen Belehrung und Ergötzung einem Menschen, der die Wahrheit zwar anerkennt und die Rede auch lobt, ihr aber gleichwohl seine (innere) Zustimmung versagt, um deretwillen allein doch der Redner bei allem, was angeraten wird, seine Absicht auf die besprochenen Dinge lenkt? Werden nämlich solche Dinge gelehrt, bei denen es schon genügt, sie bloß zu glauben oder zu kennen, so ist schon das bloße Bekenntnis ihrer Wahrheit zugleich auch die Zustimmung hiezu; werden aber sittliche Pflichten gelehrt, und zwar in der Absicht, um jemanden zu ihrer Erfüllung zu bestimmen, so ist es ganz umsonst, bloß von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein, und es ist ganz umsonst, wenn einem die Art gefällt, wie sie vorgetragen werden: es kommt nur darauf an, daß die Belehrung so gegeben wird, daß man die sittliche Pflicht auch wirklich erfüllt. Wenn also der kirchliche Redner eine Pflicht einschärft, dann muß er nicht bloß lehren, um zu unterrichten und darf nicht bloß ergötzen, um zu fesseln, sondern er muß auch rühren, um zu siegen. Denn derjenige muß noch durch eine erhabene Beredsamkeit zur Zustimmung hingerissen werden, bei dem dies weder der bis zu seinem Zugeständnis geführte Beweis der Wahrheit noch auch die Zugabe eines anmutigen Stiles bewirkte.
