41. Kapitel: Die zu einem gedeihlichen Schriftstudium erforderliche Geistesverfassung
62. Wenn ein auf diese Weise ausgerüsteter, nach dem Verständnisse der Heiligen Schrift strebender Mann an die Erforschung derselben herantritt, dann darf er nicht aufhören, die Worte des Apostels zu erwägen: „Das Wissen bläht auf, die Liebe erbaut1.“ Er wird darum bedenken, daß er, auch wenn er Ägypten reich verläßt, doch nicht gerettet werden kann, wenn er sein Paschamahl nicht gehalten hat. Als unser Paschalamm aber ist Christus geopfert worden2, und die Opferung Christi mahnt uns an nichts so dringend als an seinen Ruf, den er gewissermaßen an alle richtet, die er in Ägypten unter der Herrschaft des Pharao schmachten sieht: „Kommet zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken. Nehmet mein Joch auf euch und lernet von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen; und dann werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Bürde ist leicht3“; sie ist aber nur leicht für diejenigen, die sanftmütig und demütig von Herzen sind, für diejenigen, die das Wissen nicht aufbläht, sondern die Liebe erbaut. Sie sollen sich darum erinnern, daß jene, die zu jener Zeit unter Bildern und Schatten ihr Paschamahl hielten, mit Hysop besprengt wurden, als sie die Türpfosten mit dem Blut bestreichen mußten4. Dies ist eine bescheidene, niedrig wachsende S. 106Pflanze, nichts aber ist stärker und tiefer eindringend als ihre Wurzeln. So sollen auch wir in der Liebe gewurzelt und begründet sein, um mit allen Heiligen begreifen zu können, welches da sei die Breite und Länge und Höhe und Tiefe: das ist das Kreuz Christi. Seine Breite ist der Querbalken, an dem die Hände ausgestreckt werden, seine Länge ist das Stück von der Erde bis zum Querbalken, an dem der ganze Leib von den Händen abwärts angeheftet ist; seine Höhe ist das Stück von der Breite aufwärts bis zur Spitze, auf dem das Haupt ruht; seine Tiefe endlich ist das Stück, das in die Erde befestigt ist und sich darum dem Blicke entzieht. Durch dieses Zeichen des Kreuzes wird die ganze Lebensweise des Christen beschrieben, nämlich gut zu wirken in Christus, ihm beharrlich anzuhangen, auf das Himmlische zu hoffen, die Sakramente nicht zu entheiligen. Wenn wir uns durch eine solche Lebensweise geheiligt haben, dann werden wir auch die alles Verständnis übersteigende Liebe Christi zu erkennen vermögen, in welcher der (Sohn Gottes), durch den alles gemacht worden ist5, dem Vater gleich ist; und so werden wir mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt werden6. Auch im Hysop liegt eine reinigende Kraft: so sagt der Psalmist, damit er sich nicht, wenn das Wissen von dem aus Ägypten mitgenommenen Reichtum aufgebläht macht, stolz in die Brust werfe: „Besprenge mich mit Hysop und ich werde rein werden; wasche mich und ich werde weißer wie Schnee; und du wirst mir zu hören geben Wonne und Freude7.“ Daran reiht er dann, um zu zeigen, daß die Reinigung vom Stolz durch den Hysop angedeutet wird, ganz folgerichtig noch die weiteren Worte: „Und frohlocken werden die gedemütigten Gebeine.“
