13. Cap. Noch unpassender ist es, wenn die gottgeweihten Jungfrauen den Gebrauch des Verschleierns in der Kirche unterlassen, sich aber ausserhalb derselben auf der Strasse verschleiern.
Wenn sie ihren Putz missbräuchlich aus Rücksicht auf die Menschen tragen, so mögen sie ihn auch hierin vollständig machen und ihr Haupt verschleiern, wie sie es vor den Heiden thun; wenigstens mögen sie denn doch in der Kirche ihren jungfräulichen Stand verbergen, den sie ausserhalb der Kirche verheimlichen. Fürchten sie die Nichtchristen, so sollten sie auch die Brüder respektieren, oder sie sollten sich consequent bleiben und auch die Dreistigkeit haben, als Jungfrauen auf der Strasse zu erscheinen, wie sie es sich in den Kirchen unterstehen. Ich werde ihren Mut loben, wenn sie ihre Jungfräulichkeit auch vor den Heiden etwas zur Schau stellen wollten. Die Natur ist dieselbe, draussen wie drinnen, die Lehre ist dieselbe und erfreut sich vor den Menschen und vor Gott derselben Freiheit. Zu welchem Zwecke also verhehlen sie draussen diesen ihren Vorzug und spielen sich in der Kirche damit auf? Ich möchte die Ursache gern wissen. Etwa um das Wohlgefallen der Brüder zu erregen oder das Gottes selbst? Wenn es sich um Gott handelt, so ist er ebenso vermögend, zu sehen, was im Verborgenen geschieht, als gerecht, um das zu belohnen, was um seinetwillen allein geschieht. So schreibt er denn auch vor, dass wir nichts von dem, was bei ihm Lohn verdienen wird, austrompeten und uns nicht dafür von den Menschen belohnen lassen sollen.1 Wenn nun von der Spendung eines halben Denars oder sonst eines Almosens die Linke nichts erfahren soll, mit wie dichter Finsternis müssen wir uns erst umhüllen, wenn wir Gott ein so grosses Opfer darbringen, wie das unseres Leibes und Geistes selbst, wenn wir ihm unser ganzes Wesen heiligen! Was also nicht das Aussehen haben kann, als geschähe S. 372 es Gottes wegen — denn Gott will nicht, dass es in dieser Weise geschieht, — das geschieht folglich nur um der Menschen willen, und ist natürlich in erster Linie unerlaubt, weil der Ruhmsucht damit gefröhnt wird. Ruhmsucht nämlich ist für die unerlaubt, deren Bewährung in jeglicher Demütigung besteht. Und wenn dir von Gott die Tugend der Enthaltsamkeit verliehen wird, „was rühmst du dich, als wenn du sie nicht empfangen hättest”?2 Wenn du sie aber empfangen hast, was hast du, was dir nicht gegeben worden wäre? Daraus aber, dass du die Enthaltsamkeit nicht Gott allein weihest, geht klar hervor, dass Gott sie dir nicht verliehen hat. Sehen wir also wohl zu, ob, was bloss menschlich ist, dauerhaft und echt sein könne?