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Œuvres Augustin d'Hippone (354-430) Vorträge über das Johannes-Evangelium (BKV)
79. Vortrag

1.

Unser Herr und Heiland Jesus Christus hatte zu seinen Jüngern gesagt: „Wenn ihr mich liebtet, würdet ihr euch wohl freuen, daß ich zum Vater gehe; denn der Vater ist größer als ich“. Daß er dies von der Knechtsgestalt gesagt habe, nicht von der Gottesgestalt, in welcher er dem Vater gleich ist, weiß der Glaube, der den frommen Gemütern eingeprägt, nicht von Rechtsverdrehern und betörten Leuten erfunden ist. Hierauf fügte er bei: „Und nun habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubet“. Was heißt dies, da doch der Mensch vielmehr das, was zu glauben ist, schon glauben muß, noch bevor es geschieht? Denn darin besteht das Verdienst des Glaubens, wenn man glaubt, was man nicht sieht. Denn was ist es Großes, wenn man glaubt, was man sieht, gemäß jenem Ausspruch desselben Herrn, da er den Jünger tadelte mit den Worten: „Weil du gesehen hast, hast du geglaubt; selig, die nicht sehen und doch glauben“?1 Ich weiß auch nicht, ob man bei jemand von einem Glauben reden darf, der glaubt, was er sieht. Denn der Glaube wird im Briefe an die Hebräer so definiert: „Es ist aber der Glaube der feste Grund für die Hoffenden2, eine Überzeugung von dem, was man nicht sieht“3. Wenn darum der Glaube zum Inhalte die Dinge hat, welche man glaubt, und eben dieser Glaube sich auf die Dinge bezieht, die man nicht sieht, was bedeuten dann S. 902 die Worte des Herrn: „Und nun habe ich es euch gesagt, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubet“? Hätte nicht vielmehr gesagt werden sollen: Und nun habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr glaubet, was ihr sehen sollt, wenn es geschehen ist? Denn auch der, zu dem gesagt wurde: „Weil du gesehen hast, hast du geglaubt“, hat nicht das geglaubt, was er sah, sondern etwas anderes sah er, etwas anderes glaubte er; denn er sah den Menschen, Gott glaubte er. Er sah nämlich und berührte das lebendige Fleisch, das er hatte sterben sehen, und er glaubte den im Fleische verborgenen Gott. Er glaubte also mit dem Geiste, was er nicht sah, im Hinblick auf das, was den körperlichen Sinnen sich zeigte. Aber wenn man auch sagt, man glaube, was man sieht, wie z. B. einer sagt, er habe seinen eigenen Augen geglaubt, so ist das doch nicht der Glaube, der in uns erbaut wird, vielmehr wird durch die Dinge, welche man sieht, in uns bewirkt, daß man glaubt, was man nicht sieht. Darum Geliebteste, wenn der Herr (wovon ich jetzt rede) sagt: „Und nun habe ich es euch gesagt, bevor es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubet“, so meint er mit den Worten: „Wenn es geschehen ist“, sicher dies, daß sie ihn nach dem Tode wieder aufleben und zum Vater auffahren sehen würden, und durch diesen Anblick sollten sie das glauben, daß er Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei, der dies tun konnte, nachdem er es vorhergesagt hatte, und vorhersagen, bevor er es tat; glauben aber sollten sie es nicht mit einem neuen Glauben, sondern mit einem vermehrten oder wenigstens mit einem infolge seines Todes geschwächten, durch die Auferstehung aber wieder gefestigten Glauben. Denn auch vorher glaubten sie, daß er der Sohn Gottes sei, allein als in ihm sich erfüllte, was er vorhersagte, da wurde jener Glaube, der bei seiner damaligen Rede klein war und nach seinem Tode beinahe verloren gegangen war, wieder lebendig und stark.


  1. Joh. 20, 29. ↩

  2. Speratium, andere Lesarten sind: sperandorum, sperandarum. ↩

  3. Hebr. 11, 1. ↩

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Vorträge über das Johannes-Evangelium (BKV)

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