11. Kap. Der Apostel und die Kirche wollen, daß nur Monogamische in den Klerus aufgenommen werden. Woher sollte man nun die Kleriker nehmen, wenn nicht auch für die Laien dieselbe Vorschrift der Monogamie bestände? Erklärung der Aussprüche des heiligen Paulus über die Ehe im 7. Kap. des ersten Korintherbriefes.
Gesetzt also, du wolltest, entsprechend dem Gesetze und dem Apostel, im Herrn1 dich verehelichen - wofern dir nämlich daran noch etwas gelegen ist -, wie kommst du mir denn vor, wenn du eine solche Ehe2 verlangst, wie sie denen, von welchen du sie verlangst, nicht erlaubt ist, von dem monogamischen Bischof, den Priestern, den Diakonen, die derselben heiligen Verpflichtung unterstehen3, und von den Witwen, deren Gefolgschaft du verschmähst? Jene4 allerdings werden die Männer und Frauen austeilen, wie Stücke Brot unter die Armen. Denn diese Bedeutung hat bei ihnen der Spruch: „Gib jedem, der dich bittet.“ Und sie werden euch zusammentun in der jungfräulichen Kirche, der einzigen Braut des einen Christus. Und du wirst dann für deine Ehemänner beten, für den alten sowohl als den neuen. Entscheide, welchem gegenüber du eine Ehebrecherin sein willst. Ich sollte denken, du bist es beiden. Wenn du das richtig erkennst, so schweige lieber dem verstorbenen gegenüber5. Dein Stillschweigen möge S. 504ihm als Scheidebrief gelten, der ihm durch die anderweitige Vermählung geschrieben wurde. Auf diese Weise wirst du dir deinen neuen Ehemann geneigt machen, wenn du den alten vergissest. Du mußt ihm ja mehr gefallen, da du um seinetwillen es nicht vorzogst, Gott zu gefallen6.
Solche Dinge, behaupten die Psychiker, habe der Apostel gebilligt oder ganz und gar nicht bedacht, als er schrieb: „Das Weib ist, solange ihr Mann lebt, an ihn gebunden; wenn er aber gestorben ist, so ist sie frei, sie mag heiraten, wen sie will, nur im Herrn.“ Denn mit diesem Verse verteidigen sie die Erlaubtheit der zweiten Ehe oder richtiger, wenn die zweite schon erlaubt ist, der mehrfachen Ehe; denn, was nur einmal zu sein aufgehört hat, das ist überhaupt der Mehrzahl verfallen. In welchem Sinne der Apostel so geschrieben hat, das wird sich ergeben, wenn erst festgestellt ist, daß er es nicht in dem Sinne gemeint hat, wie es die Psychiker anwenden. Das wird aber als festgestellt gelten müssen, wenn man sich an das erinnert, was es von diesem Verse abweichendes gibt, sowohl in der Lehre, als im Willen und in der eigenen Disziplin desselben Paulus, Wenn er nämlich die zweite Ehe erlaubt, die am Anfang nicht vorkam, wie kann er dann behaupten, es werde alles wieder zu „seinem Uranfange gesammelt in Christo“?7 Wenn er will, daß wir unsere Ehen vervielfältigen, wie kann er behaupten, unser Same sei in Isaak, dem einmal verheirateten Ehemann?8 Wie kann er verordnen, daß der ganze Stand der Kirchendiener nur aus Monogamischen bestehe9, wenn nicht diese selbige Sittenzucht schon vorher bei den Laien vorhanden ist, aus denen ja der kirchliche Stand hervorgeht? Wie kann er den in der Ehe Lebenden vom Gebrauche der Ehe abraten und sagen, die Zeit sei bedrängt10, wenn er die durch den Tod der Ehe Entgangenen wiederum zur Ehe zurückruft? S. 505
Wenn dieses alles dem in Rede stehenden Verse widerspricht, so wird damit festgestellt sein, was wir schon gesagt haben, daß Paulus obige Worte nicht in dem Sinne geschrieben habe, wie sie die Psychiker nehmen. Denn es ist eher anzunehmen, daß jener eine Vers einen inneren Grund habe, der ihn mit dem übrigen in Einklang setzt, als daß der Apostel Widersprechendes gelehrt habe. Diesen inneren Grund können wir aus der Veranlassung selbst erkennen. Was für eine Veranlassung war für den Apostel vorhanden, so zu schreiben? Das Jugendalter der neuen und gerade damals entstehenden Kirche, die er ja großzog mit Milch und noch nicht mit der festen Speise einer kräftigeren Lehre, so daß man mit Rücksicht auf jenen Kindheitszustand des Glaubens noch nicht wissen sollte, wie man sich hinsichtlich des fleischlichen und geschlechtlichen Triebes zu verhalten habe. Belege dafür sehen wir in seiner Antwort auf die an ihn gerichteten Fragen, wenn er sagt: „In Betreff dessen, was ihr mir schreibt, erwidere ich, es ist gut, wenn der Mensch kein Weib anrührt; allein der Hurerei wegen möge jeder sein Weib haben“11. Er zeigt hiermit an, daß es Leute gab, die, in der Ehe stehend, von der Gnade des Glaubens gefunden, fürchteten, es wäre ihnen vielleicht von jetzt an nicht mehr erlaubt, sich der Ehe zu bedienen, da sie nun an das heilige Fleisch Christi glaubten. Und doch gestattet er es ihnen nur in der Form einer nachsichtigen Erlaubnis, nicht in Form eines Befehls, d. h. nachsehend, nicht vorschreibend, daß es geschehen solle. Im übrigen aber wünschte er, alle möchten sein wie er selbst.
Weiterhin läßt er auch in seiner Antwort in Betreff des Scheidebriefes erkennen, daß einige sich wirklich darüber Gedanken gemacht hatten, und besonders, weil sie meinten, sie dürften nach Annahme des Glaubens nicht mehr in der Ehe mit Heiden verbleiben. Sie verlangten auch in Betreff der Jungfrauen seinen Rat (eine Vorschrift des Herrn gab es nämlich nicht), daß es für den Menschen gut sei, wenn er so bleibe, nämlich jedenfalls so, wie er von der Gnade des Glaubens vorgefunden S. 506wurde. „Bist du an eine Gattin gebunden, so verlange nicht, gelöst zu werden; bist du von deiner Gattin gelöst, so verlange keine. Wenn du aber eine Gattin genommen hast, so hast du nicht gesündigt“12, weil für den, der vor Annahme des Glaubens von seiner Frau gelöst war, jene, die er nach Annahme des Glaubens nimmt, nicht als zweite zählt, da sie nach Annahme des Glaubens die erste ist. Denn mit dem Glauben fängt auch unser Leben selbst erst an. Allein er schone ihrer, sagt er hier, sonst würde Bedrängnis des Fleisches folgen wegen der bedrückten Zeitverhältnisse, welche die in der Ehe liegenden Hindernisse13 widerraten; ja, man müsse vielmehr Sorge tragen, sich mehr den Herrn geneigt zu machen als seinen Ehemann. So widerruft er, was er gestattet hatte14.
So verhält es sich also in demselben eben genannten Kapitel, wo er bestimmt, daß jeder in dem Zustande bleibe, wie ihn die Berufung getroffen hat. Durch den Beisatz: „Das Weib ist gebunden, so lange ihr Mann lebt, wenn er aber entschlafen ist, so ist sie frei und mag heiraten, wen sie will, nur im Herrn“, damit zeigt er an, daß nur eine solche gemeint sei, welche selbst so von ihrem Mann gelöst getroffen worden ist, wie auch der Mann von der Frau gelöst ist, nämlich durch den Tod, nicht aber, indem die Lösung durch einen Scheidebrief geschah, weil er Geschiedenen nicht die Wiederverheiratung gestatten würde im Gegensatz zu seiner früheren Vorschrift. So wird denn das Weib, wenn sie heiratet, keine Sünde begehen, weil dieser ihr Mann, der nach Annahme des Glaubens der erste ist, nicht als zweiter gerechnet wird, und es ist also dies der Grund, warum er hinzugefügt hat: „Es sei denn im Herrn“, weil es sich nämlich um eine Person handelte, die einen Heiden zum Manne gehabt und nach dessen Verlust den Glauben angenommen hatte. Sie sollte S. 507nicht etwa glauben, nach Annahme des Glaubens noch einen Heiden heiraten zu dürfen, obwohl die Psychiker sich auch daraus nichts machen. Denn man muß wissen, daß es im griechischen Original nicht so steht, wie es in Gebrauch gekommen ist, mit der entweder aus schlauer Berechnung oder einfacher Nachlässigkeit eingetretenen Beseitigung von nur zwei Silben: „Wenn aber ihr Mann entschlafen sein wird,“ Das wäre, als ob von der Zukunft gesprochen würde, und darum könnte es den Anschein gewinnen, als beziehe sich die Stelle auf eine solche, die bereits als Christin ihren Mann verloren habe15.Wenn das so wäre, dann hätte er unbeschränkte Freiheit erteilt und die Weiber so oft mit einem Mann versehen, als sie einen verlieren, ohne alle Scheu im Heiraten, welche doch selbst den Heiden zukommt. Aber auch, wenn es so wäre, auch wenn es im Futurum hieße: „Wenn einer der Mann gestorben sein wird“, so würde das Futurum doch nur für die Frau gelten, der ihr Mann vor Annahme des Glaubens sterben wird. Nimm es, wie du willst, wenn du nur das übrige nicht auch über den Haufen wirfst. Denn auch die übrigen Sätze würden mit den genannten fallen, nämlich: „Bist du als Sklave berufen, kümmere dich nicht darum“, „Bist du als Unbeschnittener berufen worden, laß dich nicht beschneiden“, „Bist du als Beschnittener berufen, wolle keine Vorhaut anlegen“16, womit zusammentrifft: „Bist du an eine Gattin gebunden, suche nicht gelöst zu werden; bist du von der Gattin gelöst, suche keine andere.“ Daher ist es hinlänglich klar, daß sich alles auf die bezieht, welche, in noch frischer und neuer Berufung stehend, in Betreff der Zustände anfragten, in welchen sie der Glaube gefunden hatte. S. 508
Das wäre die Erklärung dieses Abschnittes. Sie ist daraufhin zu prüfen, ob sie passe zu der Zeit und der Ursache, zu den Vorbildern und Lehrbeispielen, die vorhergehen, als auch zu den Sentenzen und Gedanken, die nachfolgen, und vor allem, ob sie zu dem stimmt, was der Apostel als seinen eigenen Rat und seine eigene Lehranweisung hinstellt. Es ist auf nichts so sehr zu sehen, als darauf, daß jemand nicht mit sich selbst im Widerspruch gefunden werde.
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1 Kor. 7, 39, nämlich nicht mit einem Heiden, sondern einem Christen; vgl. Kap 7 und ad ux. II, 1. ↩
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d.h. die Einsegnung einer solchen Ehe; vgl. ad ux. II, 8. ↩
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eiusdem sacramenti; d.h. die ebenso zur Monogamie verpflichtet sind. ↩
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die „Psychiker“. ↩
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taceas defuncto wird unrichtig übersetzt: „so sprich lieber gar nicht von dem Verstorbenen“, defuncto ist entweder Dativus relationis oder commodi (vgl. Hoppe 26), also dem Verstorbenen Ehemanne gegenüber, oder zu Ehre desselben, d.h. um ihn keine Unehre zu breiten. ↩
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Vgl. 1 Kor. 7, 32 ff. ↩
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Eph. 1,10. ↩
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Gal. 4,28. ↩
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1 Tim. 3,2. ↩
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1 Kor. 7,29. ↩
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1 Kor. 7,1. ↩
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1 Kor. 7,27. ↩
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Gott in besonderer Weise zu dienen. ↩
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T. nimmt also einen sachlichen Widerspruch bei Paulus an, während es nur seine Erklärungsweise ist, die den Widerspruch bewirkt. ↩
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nach Rigaltius hätte T. 1 Kor. 7,39 statt ἐὰν κοιμηθῆ gelesen ἐὰν κοιμᾶται; dann müßte über „eversio“ mit „Veränderung“, nicht mit „Beseitigung“ übersetzt werden, was aber sehr unwahrscheinlich ist. Über andere Versuche, die gemacht worden sind, um den Text zu ermitteln, den T. meint, vgl. de Labriolle, La crise mont. S. 386 ff. ↩
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1 Kor. 7,18 ff. ↩