14. Kap. Wenn diese Auffassung der Aussprüche des Apostels nicht stichhaltig wäre, so bliebe doch noch als letzter und entscheidender Grund für die Monogamie der, daß der Paraklet das neue Gesetz vervollkommnet hat, wie Christus das alte.
Auch wenn der Apostel den Gläubigen die absolute Freiheit erteilt hätte, nach Verlust ihrer Ehegatten zu heiraten, dann hätte er nur ebenso gehandelt, wie auch in den übrigen Fällen, wo er gegen die gesetzliche Regel, den Zeitverhältnissen Rechnung tragend, etwas vornahm; wenn er z. B. den Timotheus beschneiden ließ wegen der eingeschlichenen falschen Brüder, und einige mit geschorenem Kopfe in den Tempel gehen ließ wegen der Aufpasserei der Juden - er, derselbe, welcher die Galater wegen ihrer beabsichtigten Beobachtung des Gesetzes scharf tadelte. Aber so forderte es die Sachlage, daß er allen alles würde, um alle zu gewinnen, sie abermals gebärend, so lange, bis Christus in ihnen gestaltet sein würde1; sie erwärmend, wie eine Amme, da sie Kinder im Glauben waren, sie belehrend in einigen Stücken durch Nachsehen, nicht durch Gebote, - denn etwas anderes ist nachsehen, etwas anderes ist befehlen. - So also gab er ihnen zeitweilig die Freiheit, noch einmal zu heiraten, wegen der Schwäche des Fleisches, wie Moses es mit dem Scheidebrief gemacht hatte, wegen der Herzenshärte. Hier wollen wir noch die letzte Ergänzung dieses Gedankens geben. S. 513Wenn Christus also zurücknahm, was Moses vorgeschrieben hatte, weil es von Anfang an nicht so gewesen, und wenn darum doch Christus nicht als einer angesehen wird, der als Gesandter einer anderen Macht erschien2, warum sollte nicht auch der Paraklet hinwegnehmen können, was Paulus in seiner Nachsicht noch gestattet hat? Denn auch die zweite Ehe war nicht von Anfang an da. Darum darf man ihn noch nicht für verdächtig ansehen, als sei er ein Pseudogeist; nur muß das, was er hinzu einführt, Gottes und Christi würdig sein. Wenn es Gottes und Christi würdig war, die Herzenshärte nach erfüllter Zeit zu bändigen, warum sollte es nicht Gottes und Christi noch viel mehr würdig sein, die Schwäche des Fleisches abzuwenden, da die Zeit bereits bedrängter ist? Wenn es zur Gerechtigkeit gehört, die Ehe nicht zu trennen, so ist es sicher eine Sache der Ehrbarkeit, sie nicht zu wiederholen. Daher wird beides von den Weltleuten als Beweis von hoher Sittlichkeit angesehen, das eine als Beweis von ehelicher Eintracht, das andere von Ehrbarkeit.
Die Herzenshärte hat die Herrschaft gehabt bis auf Christus, mag dann auch die Schwäche des Fleisches geherrscht haben bis auf den Paraklet. Das neue Gesetz beseitigte den Scheidebrief - es fand etwas zu beseitigen, - die neue Prophetie beseitigte die zweite Ehe, welche ebensosehr ein Scheidebrief der ersten ist. Allein die Herzenshärte hat sich mit größerer Leichtigkeit Christo ergeben, als die Schwäche des Fleisches es tut. Diese beruft sich noch fester auf Paulus, als jene auf Moses, wofern man es nämlich eine Berufung nennen kann, wenn sie sich an den Apostel hält da wo er Nachsicht zeigt, hingegen seine Vorschriften ablehnt, seine förmlichen Bestimmungen, die viel wichtiger sind3, und jene Willensdekrete, die für immer gelten sollten4, S. 514in den Wind schlägt und uns nicht gestatten will, dem Apostel das zu leisten, was er lieber will. Und wie lange wird nun diese so unverschämte Fleischesschwachheit noch fortfahren, das Bessere zu bekämpfen? Ihre Zeit war, bis der Paraklet anfing zu wirken. Der Herr hat ihm das reserviert, was man damals nicht tragen konnte, was jetzt aber nicht tragen zu können bei keinem mehr zutrifft, weil der nicht mehr fehlt, der die Kraft zum Tragen verleiht5. Wie lange wollen wir dem Fleisch die Schuld geben auf Grund des Ausspruches des Herrn: „Das Fleisch ist schwach“?! Hat er doch die Worte vorausgeschickt: „Der Geist ist willig“6, damit das Schwache dem Stärkeren weiche. Denn er sagt auch: „Wer es fassen kann, der fasse es“7, d.h., wer es nicht kann, der trete zurück. So trat zurück jener Reiche, der die Vorschrift, seine Habe unter die Armen zu verteilen, nicht erfaßt hatte und vom Herrn seiner Ansicht überlassen wurde. Darum darf man Christus nicht der Herzenshärte beschuldigen wegen der Knechtschaft irgendeines freien Willens8. „Siehe“, heißt es, „ich habe dir vorgelegt das Gute und das Böse“9; wähle, was gut ist. Wenn du es nicht kannst, weil du es nicht willst - denn daß du kannst, wenn du nur willst, ist darin klargelegt, daß beides deinem freien Willen vorgelegt wird -, so mußt du von dem zurücktreten, dessen Willen du nicht tust.
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Vgl. Gal. 4,19. ↩
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ab alia venisse virtute, von einer anderen Macht gesandt als Moses. T. hat die Lehre Marcions vor Augen, nach der Christus nicht vom Schöpfergott, dem Gott des Alten Testamentes gesandt war. ↩
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als die besten Indulgenzen. sententiae sind hier förmliche Bestimmungen, die gestzlichen Charakter tragen. ↩
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Gegensatz sind die Anordnungen, die der Apostel nach T.’s Meinung bloß zeitweilig, mit Rücksicht auf die noch junge Kirche usw. traf. ↩
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nämlich der Paraklet; vgl. die Schlußsätze von de fuga. ↩
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Matth. 26,41. ↩
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Ebd. 19,12. ↩
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Oehler liest de arbitrii cuiuscumque liberi vitio. Die Lesart servitio statt vitio ist besser bezeugt und richtig. ↩
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Deut. 30,15; Eccli 15,18. ↩