Übersetzung
ausblenden
Enchiridion oder Buch vom Glauben, von der Hoffnung und von der Liebe (BKV)
20.
Ich weiß aber wirklich nicht, ob auch gewisse Arten von Irrtümern für Sünde gehalten werden müssen: z. B. wenn jemand von einem schlechten Mitmenschen aus dem Grunde eine gute Meinung hat, weil er ihn nicht kennt, oder wenn wir einen Gegenstand, den wir mit unsern leiblichen Sinnen wirklich wahrnehmen, mit einem anderen verwechseln, der diesem bloß ähnlich ist, oder wenn uns etwas, was rein geistig ist, gleichsam als etwas Körperliches, dagegen etwas, was bloß körperlich ist, gleichsam als etwas Geistiges erscheint ― so erging es beispielsweise dem Apostel Petrus damals, wie er eine Erscheinung zu sehen glaubte, als er sich durch den Engel plötzlich aus dem Gefängnis und aus den Banden befreit fand1 ― oder wenn auch in der Körperwelt etwas für zart gehalten wird, was in Wirklichkeit rauh, oder für süß, was in Wirklichkeit bitter ist, oder für wohlriechend, was in Wirklichkeit übel riecht, oder für Donnerrollen, was bloß Wagengerassel ist, oder wenn jemand mit einem S. 412 andern verwechselt wird, falls die zwei einander sehr gleich sehen, was ja bei Zwillingen oft vorkommt ― von solchen sagt darum der Dichter: „. . . den Eltern ein lieblicher Irrtum2“ ― und was dergleichen Irrtümer noch mehr sind.
Auch eine ganz verwickelte Frage, welche die so scharfsinnigen Akademiker3 gequält hat, will ich hier nicht zu enträtseln suchen, nämlich die Frage, ob denn der Weise überhaupt etwas als fest annehmen darf, um nicht, wenn er etwas Falsches für wahr gelten ließe, dem Irrtum zu verfallen, denn nach ihrer Behauptung ist ja alles entweder ganz verborgen oder wenigstens bloß ungewiß. Mit Rücksicht auf diese Frage habe ich bald nach meiner Bekehrung drei Bücher geschrieben4, um damit Hindernisse zu beseitigen, die mir gleichsam schon auf der Schwelle den Weg zu vertreten drohten. Jedenfalls mußten gerade diese bangen Zweifel, ob ich überhaupt jemals die Wahrheit finden würde, weggeräumt werden; diese Verzweiflung findet aber scheinbar in den Beweisen (der Akademiker) eine Stütze. Denn diesen gilt ja jeglicher Irrtum als Sünde, die nach ihrer Meinung nur dann vermieden werden kann, wenn jede innere Zustimmung aufgehoben wird. Es irrt nämlich, wie sie sagen, jeder, der dem Ungewissen seine Zustimmung gibt, und es ist bei der verwirrenden Ähnlichkeit des Falschen (mit dem Gewissen und Wahren) in den Ansichten der Menschen nichts gewiß, wenn auch das, was man annimmt, zufällig einmal wahr ist: solche zwar äußerst scharfsinnige, aber ganz schamlose Erörterungen führen die Akademiker. Bei uns (Christen) aber „lebt der Gerechte aus dem Glauben5“. Wird aber die innere S. 413 Zustimmung hinfällig, dann wird auch der Glaube hinfällig, weil es ohne innere Zustimmung keinen Glauben gibt. Und es gibt wirklich Wahrheiten, wenn man sie auch mit den Sinnen nicht warnehmen kann. Ohne Glauben an sie kann man nicht zum seligen Leben, und das kann nur ein ewiges sein, gelangen. ― Ob wir uns aber mit solchen Leuten in eine Besprechung einlassen sollen, die nicht einmal wissen, nicht ob sie (einst) ewig leben werden, sondern sogar ob sie überhaupt im gegenwärtigen Leben leben, das kann ich nicht sagen. Damit behaupten sie nämlich etwas nicht zu wissen, was sie doch wissen müßten: denn über die Tatsache seines eigenen Seins kann doch niemand im unklaren sein. Wer nämlich nicht ist, ist ja auch nicht einmal imstande, etwas nicht zu wissen: nicht bloß das Wissen, sondern auch das Nichtwissen ist ja schon ein Beweis dafür, daß einer ein Leben hat. Sie meinen freilich dadurch, daß sie ihr Sein nicht fest annehmen, dem Irrtum aus dem Wege zu gehen, während sie doch auch durch ihren Irrtum von der Tatsächlichkeit ihres Seins überzeugt werden: denn wer nicht ist, der kann auch nicht irren. So gut also, wie unser Sein nicht bloß eine wahre, sondern auch eine sichere Tatsache ist, ebenso gibt es noch gar manches andere, was wahr und sicher ist und dessen Leugnung man nicht bloß keine Weisheit, sondern sogar Wahnwitz nennen müßte.
-
Apg. 12, 9. ↩
-
Verg. Aen. X, 392. ↩
-
Nachdem sich Augustinus eine Zeitlang von den eitlen Versprechungen der Manichäer, sie könnten alle Fragen restlos lösen, hatte blenden lassen, warf er sich den antiken Skeptikern den Akademikern, in die Arme. Auch hier half ihm der Neuplatonismus über den tödlichen Zweifel hinweg. ↩
-
Contra academ. libri III. Migne, Patrol. S. L. 32, 905 bis 959. ↩
-
Habak. 2, 4; Röm. 1, 17. ↩
Übersetzung
ausblenden
The Enchiridion
Chapter 20.--Every Error is Not a Sin. An Examination of the Opinion of the Academic Philosophers, that to Avoid Error We Should in All Cases Suspend Belief.
I am not sure whether mistakes such as the following,--when one forms a good opinion of a bad man, not knowing what sort of man he is; or when, instead of the ordinary perceptions through the bodily senses, other appearances of a similar kind present themselves, which we perceive in the spirit, but think we perceive in the body, or perceive in the body, but think we perceive in the spirit (such a mistake as the Apostle Peter made when the angel suddenly freed him from his chains and imprisonment, and he thought he saw a vision 1 ); or when, in the case of sensible objects themselves, we mistake rough for smooth, or bitter for sweet, or think that putrid matter has a good smell; or when we mistake the passing of a carriage for thunder; or mistake one man for another, the two being very much alike, as often happens in the case of twins (hence our great poet calls it "a mistake pleasing to parents" 2 ),--whether these, and other mistakes of this kind, ought to be called sins. Nor do I now undertake to solve a very knotty question, which perplexed those very acute thinkers, the Academic philosophers: whether a wise man ought to give his assent to anything, seeing that he may fall into error by assenting to falsehood: for all things, as they assert, are either unknown or uncertain. Now I wrote three volumes shortly after my conversion, to remove out of my way the objections which lie, as it were, on the very threshold of faith. And assuredly it was necessary at the very outset to remove this utter despair of reaching truth, which seems to be strengthened by the arguments of these philosophers. Now in their eyes every error is regarded as a sin, and they think that error can only be avoided by entirely suspending belief. For they say that the man who assents to what is uncertain falls into error; and they strive by the most acute, but most audacious arguments, to show that, even though a man's opinion should by chance be true, yet that there is no certainty of its truth, owing to the impossibility of distinguishing truth from falsehood. But with us, "the just shall live by faith." 3 Now, if assent be taken away, faith goes too; for without assent there can be no belief. And there are truths, whether we know them or not, which must be believed if we would attain to a happy life, that is, to eternal life. But I am not sure whether one ought to argue with men who not only do not know that there is an eternal life before them, but do not know whether they are living at the present moment; nay, say that they do not know what it is impossible they can be ignorant of. For it is impossible that any one should be ignorant that he is alive, seeing that if he be not alive it is impossible for him to be ignorant; for not knowledge merely, but ignorance too, can be an attribute only of the living. But, forsooth, they think that by not acknowledging that they are alive they avoid error, when even their very error proves that they are alive, since one who is not alive cannot err. As, then, it is not only true, but certain, that we are alive, so there are many other things both true and certain; and God forbid that it should ever be called wisdom, and not the height of folly, to refuse assent to these.