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Nunmehr will ich etwas besprechen, was ich freilich schon wiederholt an anderen Stellen meiner kleineren Schriften erörtert habe. Zwei Gründe gibt es, warum wir in Sünde fallen: entweder weil wir nicht S. 469 erkennen, was wir zu tun haben, oder weil wir das nicht tun, was, wie wir wohl erkennen, eigentlich geschehen müßte. Im ersten Fall leiden wir unter dem Übel der Unwissenheit, im zweiten unter dem der Schwäche. Gegen beide Übel sollten wir nun freilich kämpfen; indes werden doch ganz sicherlich wir die Unterlegenen sein, wenn wir nicht bei Gott Unterstützung finden. Dann aber (mit seiner Hilfe) werden wir erkennen, was wir tun müssen, und dann wird mit der richtigen Erkenntnis das Streben nach Gerechtigkeit in uns das Streben nach jenen Dingen besiegen, die uns trotz besserer Einsicht doch dadurch zur Sünde veranlassen, daß wir ihren Besitz wünschen und ihren Verlust fürchten. Sündigen wir im letzteren Falle, dann sind wir nicht allein Sünder schlechthin, was wir ja auch schon waren, als wir bloß aus Unwissenheit sündigten, sondern wir sind dann bewußte Übertreter des Gesetzes; denn wir unterlassen das, wovon wir doch wissen, daß es geschehen muß, oder wir tun das, wovon wir doch wissen, daß wir es nicht tun dürfen. Darum müssen wir nicht bloß, wenn wir schon gesündigt haben, in der Hoffnung auf Verzeihung beten: „Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern1!, sondern um überhaupt nicht in Sünde zu fallen, sollen wir beten, daß er unser Führer sei. Darum sprechen wir: „Und führe uns nicht in Versuchung2!“ In solcher Absicht müssen wir unser Gebet an den richten, dem das Psalmwort gilt: „Der Herr ist meine Erleuchtung und mein Heil[^253]“, auf daß seine Erleuchtung unsere Unwissenheit und sein Heil unsere Schwäche hinwegnehme.