56.
S. 444 Wir haben nunmehr von Jesus Christus, Gottes eingeborenem Sohn, unserm Herrn, soviel gesagt, als ein kurzes Glaubensbekenntnis nur gestattet. Um aber die Lehre von der göttlichen Dreifaltigkeit vollständig abzuschließen, fügen wir jetzt auch noch das Bekenntnis hinzu: „Wir glauben auch an den Heiligen Geist.“ Sodann tun wir auch der heiligen Kirche Erwähnung. Dadurch wird uns zu verstehen gegeben, daß die vernünftige, für das freie Jerusalem1 bestimmte Schöpfung erst nach der Erwähnung des Schöpfers, d. h. nach Erwähnung der allerhöchsten Dreifaltigkeit folgen dürfe. Denn alles, was (zuvor) von dem Menschen Christus gesagt ist, das betrifft ja auch die eine Person des Eingeborenen. Die rechte Ordnung (in der Reihenfolge) des Glaubensbekenntnisses forderte also, daß erst nach der Dreieinigkeit die Kirche genannt wird, geradeso wie man das Haus erst nach seinem Bewohner2, den Tempel erst nach seinem Gott und die Stadt erst nach ihrem Erbauer nennt. Diese Stadt Gottes kommt aber hier in ihrer Gesamtheit in Betracht, nicht bloß in dem Teil, wo sie auf der Pilgerfahrt auf Erden3 von Sonnenaufgang bis zum Sonnenniedergang4 den Namen des Herrn lobpreist und nach Ablauf ihrer alten Gefangenschaft ihr neues Lied singt5, sondern sie kommt auch in dem Teil in Betracht, der im Himmel allezeit mit Gott, seinem Schöpfer, verbunden blieb und niemals an sich erfahren mußte, daß ein Glied von ihm zu Falle kam. Dieser Teil lebt in den heiligen Engeln in ewiger Seligkeit und kommt, wie es auch nur recht ist, dem andern noch auf Erden pilgernden Teil zu Hilfe; diese beiden Teile (die streitende und die triumphierende Kirche) werden S. 445 einstmals auch eins sein im gemeinsamen Genuß der Ewigkeit, ja sie sind bereits eins durch das Band der Liebe, eine Vereinigung, die keinen anderen Zweck hat als die Verehrung Gottes. Darum will weder die ganze Kirche noch einer ihrer Teile an Gottes Stelle verehrt werden; auch will sie nicht, daß jemand, der zum Tempel Gottes gehöre, selber Gott sei; denn dieser Tempel baut sich auf aus Göttern6 (Gläubigen), die der unerschaffene Gott erschafft. Und eben darum wäre auch der Heilige Geist, wenn er ein Geschöpf und nicht vielmehr selbst Schöpfer wäre, sicherlich ein vernünftiges Geschöpf; denn die vernünftige Schöpfung ist die Krone der Schöpfung. In diesem Falle wäre von ihm in der Glaubensregel7 nicht schon vor der Kirche die Rede, weil er ja dann selbst zur Kirche gehörte, und zwar zu dem Teil von ihr, der im Himmel wohnt. Auch hätte er dann keinen Tempel, sondern auch er wäre dann selbst ein Tempel. Er hat aber nun wirklich einen Tempel, von dem der Apostel sagt: „Wisset ihr nicht, daß euere Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind, der in euch ist und den ihr von Gott habt8?“ Von diesen Leibern sagt er an einer anderen Stelle: „Wisset ihr nicht, daß euere Leiber Glieder Christi sind9?“ Wie sollte also derjenige nicht Gott sein, der einen Tempel hat? Oder ist er vielleicht kleiner als Christus, dessen Glieder er zum Tempel hat? Es besteht auch wirklich kein Unterschied zwischen seinem Tempel und dem Tempel Gottes; sagt ja doch der nämliche Apostel Paulus: „Wisset ihr nicht, daß ihr ein Tempel Gottes seid10?“ Um dies zu beweisen fährt er fort: „. . . und daß der Geist Gottes in euch wohnt11?“ Gott also wohnt in seinem Tempel, d. h. nicht bloß der Heilige Geist, sondern auch der Vater und der Sohn. Auch dieser letztere sagt von seinem Leib, durch den er das Haupt der aus Menschen bestehenden Kirche ist ― S. 446 „damit er in allem den Vorrang habe12“―: „Brechet diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn wieder aufbauen13!“ Der Tempel Gottes also, nämlich der Tempel der ganzen allerhöchsten Dreifaltigkeit, ist die heilige Kirche, d. h. die Kirche in ihrer Gesamtheit im Himmel und auf Erden.
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Vgl. Gal. 4, 26. ↩
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Vgl. 1 Tim. 3, 15. ↩
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Vgl. Hebr. 13, 14. ↩
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Ps. 112, 3 [hebr. Ps. 113, 3]. ↩
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Vgl. Offenb. 14, 3. ↩
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Vgl. Ps. 81, 6 [hebr. Ps. 82, 6]; Joh. 10, 34. ↩
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D. h. im apostolischen Glaubensbekenntnis. ↩
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1 Kor. 6, 19. ↩
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Ebd. [1 Kor.] 6, 15. ↩
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Ebd. [1 Kor.] 3, 16. ↩
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Ebd. [1 Kor. 3, 16]. ↩
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Kol. 1, 18. ↩
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Joh. 2, 19. ↩