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Aber auch schon jetzt besteht zwischen den Engeln und uns Herzenseinheit, wenn wir Nachlaß unserer Sünden erlangen. Deshalb folgt im Glaubensbekenntnis nach dem Artikel von der Kirche der von dem Nachlaß der Sünden. Diesem Sündennachlaß verdankt nämlich die Kirche auf Erden ihr Bestehen; dadurch geht das, was verloren war, aber wieder gefunden wurde, nicht mehr verloren. Wir besitzen zwar schon das Gnadengeschenk der Taufe; das ist uns aber als Heilmittel gegen die Erbsünde verliehen worden, damit der Makel, den wir uns durch unsere Geburt zugezogen haben, durch die Wiedergeburt (in der Taufe) wieder von uns genommen werde; daneben nimmt die Taufe auch noch sämtliche persönlichen Sünden hinweg, die sie vorfindet und die wir in Gedanken, Worten und Werken begangen haben. Aber abgesehen von dieser Gnadeneinrichtung (der Taufe), von der die Erneuerung des Menschen ihren Anfang nimmt und durch die jede angeborene und jede später noch hinzugefügte Verschuldung getilgt wird, kann doch auch das ganze übrige Leben von dem Zeitpunkt des Vernunftgebrauches an nicht auf eine Vergebung der Sünden verzichten und wenn es noch so fruchtbar an Werken der Gerechtigkeit wäre; denn auch die Kinder Gottes haben mit dem Tode (der Sünde) zu kämpfen, solange sie im sterblichen Leben wandeln. Von diesen Gerechten mag es mit noch soviel Berechtigung heißen: „Alle, die vom Geiste Gottes getrieben werden, sind Kinder Gottes1“: sie werden doch nur so vom Geiste Gottes angeregt und S. 452 schreiten als Kinder Gottes nur soweit wirklich zu Gott fort, daß sie durch die Schuld ihrer (sündigen) menschlichen Geistesverfassung und vor allem durch die Schuld der auf diesen Geist drückenden Last des sündigen Leibes2> als (wahre) Menschenkinder infolge mancherlei menschlicher Regungen sozusagen zu sich selbst herabsinken, d. h. sündigen. Übrigens ist hier wohl zu unterscheiden: denn wenn auch jedes schwere Vergehen eine Sünde ist, so ist doch noch nicht jede Sünde schon ein schweres Vergehen. Wir dürfen also recht wohl sagen, der Wandel eines Heiligen werde zeitlebens ohne eigentliches schweres Vergehen befunden, „wollten wir aber dagegen sagen,“ spricht der große Apostel (Johannes), „wir hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns3“.