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De civitate Dei (CCSL)
Caput II: Quid Varronem de dis gentium sensisse credendum sit, quorum talia et genera et sacra detexit, ut reuerentius cum eis ageret, si de illis omnino reticeret.
Quis Marco Varrone curiosius ista quaesiuit? quis inuenit doctius? quis considerauit adtentius? quis distinxit acutius? quis diligentius pleniusque conscripsit? qui tametsi minus est suauis eloquio, doctrina tamen atque sententiis ita refertus est, ut in omni eruditione, quam nos saecularem, illi autem liberalem uocant, studiosum rerum tantum iste doceat, quantum studiosum uerborum Cicero delectat. denique et ipse Tullius huic tale testimonium perhibet, ut in libris Academicis dicat eam, quae ibi uersatur, disputationem se habuisse cum Marco Varrone, homine, inquit, omnium facile acutissimo et sine ulla dubitatione doctissimo. non ait eloquentissimo. uel facundissimo, quoniam reuera in hac facultate multum inpar est; sed omnium, inquit, facile acutissimo, et in eis libris, id est Academicis, ubi cuncta dubitanda esse contendit, addidit sine ulla dubitatione doctissimo. profecto de hac re sic erat certus, ut auferret dubitationem, quam solet in omnibus adhibere, tamquam de hoc uno etiam pro Academicorum dubitatione disputaturus se Academicum fuisset oblitus. in primo autem libro cum eiusdem Varronis litteraria opera praedicaret: nos, inquit, in nostra urbe peregrinantes errantesque tamquam hospites tui libri quasi domum reduxerunt, ut possemus aliquando qui et ubi essemus agnoscere. tu aetatem patriae, tu descriptiones temporum, tu sacrorum iura, tu sacerdotum, tu domesticam, tu publicam disciplinam, tu sedem regionum locorum, tu omnium diuinarum humanarumque rerum nomina genera, officia causas aperuisti. iste igitur uir tam insignis excellentis que peritiae et, quod de illo etiam Terentianus elegantissimo uersiculo breuiter ait: uir doctissimus undecumque Varro, qui tam multa legit, ut aliquid ei scribere uacuisse miremur; tam multa scripsit, quam multa uix quemquam legere potuisse credamus: iste, inquam, uir tantus ingenio tantusque doctrina, si rerum uelut diuinarum, de quibus scribit, obpugnator esset atque destructor easque non ad religionem, sed ad superstitionem diceret pertinere, nescio utrum tam multa in eis ridenda contemnenda detestanda conscriberet. cum uero deos eosdem ita coluerit colendosque censuerit, ut in eo ipso opere litterarum suarum dicat se timere ne pereant, non incursu hostili, sed ciuium neglegentia, de qua illos uelut ruina liberari a se dicit et in memoria bonorum per eiusmodi libros recondi atque seruari utiliore cura, quam qua Metellus de incendio sacra Vestalia et Aeneas de Troiano excidio Penates liberasse praedicatur; et tamen ea legenda saeculis prodit, quae a sapientibus et insipientibus merito abicienda et ueritati religionis inimicissima iudicentur: quid existimare debemus nisi hominem acerrimum ac peritissimum, non tamen sancto spiritu liberum, obpressum fuisse suae ciuitatis consuetudine ac legibus, et tamen ea quibus mouebatur sub specie commendandae religionis tacere noluisse.
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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
2. Was war wohl die Meinung Varros über die heidnischen Götter, deren Arten und Kulte er in einer Weise aufgedeckt hat, daß er gegen sie ehrerbietiger gehandelt hätte, wenn er von ihnen ganz geschwiegen hätte?
Wer wäre diesen Dingen mit größerer Wißbegier nachgegangen, wer hätte sie mit mehr Aufwand von Gelehrsamkeit aufgespürt, mit lebhafterer Aufmerksamkeit verfolgt, mit feinerem Scharfsinn zerlegt, fleißiger und ausführlicher geschildert als Marcus Varro? Er ist zwar im Stile weniger einschmeichelnd, dafür aber so vollgepfropft von Wissen und so gedankenreich, daß er in jeglicher Wissenschaft von der Art, die wir die weltliche und die Weltleute die freie nennen, ebensosehr der Lehrmeister realer Bildung ist, wie Cicero das Entzücken der Redebeflissenen. Gibt ihm doch Tullius selbst dieses Zeugnis, indem er in dem Werke Academica erwähnt, er habe die Erörterung, um die es sich dort handelt, gepflogen mit Marcus Varro, „vielleicht dem scharfsinnigsten und ohne allen Zweifel dem gelehrtesten Manne“. Band 1, S. 303Er sagt nicht „dem beredtesten“ oder dem „redegewandtesten“, weil Varro in der Tat in dieser Kunst sehr rückständig ist; sondern er sagt: „vielleicht dem scharfsinnigsten“ und fügt bei, und zwar in dem Werke Academica, worin er die Ansicht vertritt, man müsse an allem zweifeln, „ohne allen Zweifel dem gelehrtesten“. Er war also wirklich hierin seiner Sache so sicher, daß er den Zweifel ausschloß, den er sonst überall gelten läßt, gerade als hätte er mitten in der Verteidigung der akademischen Skepsis bei Varro allein vergessen, daß er ein Akademiker sei. Und im ersten Buch1 rühmt er Varros literarische Leistungen mit den Worten: „Deine Bücher haben uns in unserer eigenen Stadt, wo wir wie Fremdlinge und Gäste umherirrten, gleichsam heimisch gemacht; nun erst waren wir imstande, zu erkennen, wer und wo wir seien. Du hast uns gelehrt, wie alt unsere Vaterstadt sei, hast die Zeitrechnung, die Rechte des Gottesdienstes und der Priester, das staatliche und häusliche Gebaren, die örtliche Lage der Länder und Stätten, die Namen, Arten, Aufgaben und Ursachen aller göttlichen und menschlichen Dinge klar gelegt.“ Dieser Mann also von so ausgezeichneter und hervorragender Bildung, „Varro, der Mann umfassendster Gelehrsamkeit“, wie auch Terentianus2 kurz und treffend ihn rühmt, der soviel gelesen hat, daß man sich wundert, wie er noch die Zeit zum Schreiben fand, und soviel geschrieben hat, daß kaum jemand alles zu lesen imstande sein dürfte, dieser so bedeutend veranlagte und grundgelehrte Mann, sage ich, würde, wenn er die vermeintlich göttlichen Dinge, über die er schrieb, hätte bekämpfen und untergraben und sie nicht mit der Religion, sondern mit dem Aberglauben hätte in Zusammenhang bringen wollen, wohl kaum mehr des Lächerlichen, Verächtlichen und Abscheulichen über sie zusammentragen können. Allein er hat dieselben Götter verehrt und ihre Verehrung für notwendig erachtet; er gibt gerade in diesem Werke der Befürchtung Ausdruck, sie möchten dem Untergang anheimfallen, und zwar nicht etwa durch Band 1, S. 304einen Angriff von außen her, sondern durch die Gleichgültigkeit der Bürgerschaft, und vor solchem Untergang wolle er sie bewahren und ihnen durch sein Werk im Gedächtnis der Guten einen Platz sichern, was ihm eine verdienstlichere Aufgabe zu sein scheine als die Rettung des vestalischen Palladiums aus dem Feuer durch Metellus und die der Penaten aus dem Untergang Trojas durch Äneas. Und trotzdem gibt er der Welt Dinge bekannt, die von Weisen und Toren mit Recht als verwerflich und mit wahrer Religion ganz unvereinbar erachtet werden. Was bleibt also da für eine Erklärung übrig, als daß ein äußerst scharfsinniger und hochgebildeter Mann, der aber nicht durch den heiligen Geist zur Freiheit fortgeschritten war, durch die Überlieferungen und Gesetze seines Staates vergewaltigt worden ist und gleichwohl mit dem, was ihn innerlich bewegte, nicht habe hintanhalten wollen, indem er es unter dem Schein der Anpreisung der Religion vorbrachte?