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Œuvres Augustin d'Hippone (354-430)

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)

10. Seneca war freimütig genug, die staatliche Theologie noch entschiedener zu mißbilligen als Varro die fabelnde.

Die Freimütigkeit, die Varro mangelte, weshalb er es nicht wagte, die städtische Theologie trotz ihrer nahen Verwandtschaft mit der Theatertheologie offen zu mißbilligen, wie er die letztere mißbilligte, zeichnete den Annäus Seneca, der nach manchen Anzeichen zu schließen zu den Zeiten unserer Apostel hervortrat1, wenn auch nicht in seinem ganzen Gebaren, so doch in mancher Hinsicht aus. Sie war ihm nämlich eigen in seinen Schriften, in seinem Leben fehlte sie ihm. In seinem Buche über den Aberglauben hat er die staatliche und städtische Theologie viel ausgiebiger und entschiedener Band 1, S. 326getadelt als Varro die fabelnde und die der Theater. Er sagt nämlich an der Stelle, wo er von den Götterbildnissen handelt: „Die Heiligen, Unsterblichen, Unverletzlichen verehrt man in ganz minderwertiger, lebloser Materie; man gibt ihnen die Gestalt von Menschen, von wilden Tieren, von Fischen, mitunter gemischtes Geschlecht, zweierlei Körper; Gottheiten nennt man Gebilde, die man, wenn sie plötzlich Leben annähmen und uns entgegenträten, für Ungeheuer ansehen würde“. Und etwas weiter unten, nachdem er unter anerkennenden Worten für die natürliche Theologie die Meinungen einiger Philosophen auseinander gesetzt hat, legt er sich folgenden Einwand vor: „Hier könnte man etwa sagen: Ich soll glauben, daß der Himmel und die Erde Götter seien und daß über dem Monde andere Götter existierten und wieder andere unter dem Monde? Ich soll mir entweder Plato gefallen lassen, nach welchem Gott keinen Leib hat, oder den Peripatetiker Straton, nach welchem er keine Seele hat?“ Und er erwidert darauf: „Nun denn in aller Welt, kommen dir die Phantasiegebilde eines Titus Tatius oder eines Romulus oder eines Tullus Hostilius wahrhaftiger vor? Tatius hat die Cloacina zur Gottheit geweiht, Romulus den Picus und Tiberinus, Hostilius den Pavor und Pallor, diese häßlichen Gemütszustände der Menschen, der eine die Aufregung eines erschreckten Gemütes, der andere nicht einmal eine Krankheit, sondern nur die Entfärbung des Äußeren. An diese Gottheiten willst du lieber glauben und sie in den Himmel versetzen?“ Und wie freimütig hat er sich über die entsetzlich schändlichen Gebräuche ausgesprochen! „Der kastriert sich, ein anderer schneidet sich in die Arme. Ja, wenn man auf solche Weise die Gunst der Götter herabzieht, womit wird man dünn seine Furcht vor dem Zorn der Götter bekunden? Götter, die solches verlangen, darf man überhaupt nicht irgendwie verehren. Aber so groß ist die Raserei des gestörten und außer sich gebrachten Geistes, daß man die Götter gnädig stimmen will auf eine Weise, wie nicht einmal die abscheulichsten Menschen von sprichwörtlicher Grausamkeit wüten. Wohl haben Tyrannen manchen die Glieder zerfleischt, aber niemand haben sie zugemutet, Band 1, S. 327seine eigenen zu zerfleischen. Wohl sind manche, damit Könige ihrer Lust frönen können, verschnitten worden, aber nie hat einer auf Befehl seines Herrn an sich selbst Hand angelegt, sich zu entmannen. Aber in den Tempeln zerfleischen sie sich selbst, senden ihre eigenhändigen Wunden und ihr eigenes Blut als Gebete empor. Nimmt man sich die Mühe, zu beobachten, was sie tun und erleiden, so wird man es so unziemlich finden für anständige Menschen, so unwürdig für freie, so weit ab vom Normalen, daß niemand zweifeln würde, sie seien der Raserei verfallen, wenn es sich nur um einige wenige handelte; so aber spricht die große Zahl der Verrückten dafür, daß man gesunde Menschen vor sich hat.“

Und erst das, was er als Gepflogenheiten, die auf dem Kapitol im Schwange sind, anführt und unerschrocken in Grund hinein verdammt, wem wäre es zuzutrauen als Spottvögeln oder Tollhäuslern? Nachdem er sich nämlich darüber lustig gemacht hat, daß man bei den ägyptischen Kultfeiern über das Abhandenkommen des Osiris jammere und über dessen Auffindung in große Freude ausbreche, da doch sein Verschwinden und sein Auftauchen nur fingiert werde, während Trauer und Freude von Leuten, die nichts verloren und nichts gefunden haben, mit wahrer Empfindung ausgedrückt würden —, fährt er fort: „Doch diese Raserei hat ihre bestimmte Zeit. Es läßt sich noch ertragen, einmal im Jahre toll zu sein. Aber geh' ins Kapitol, du wirst dich schämen darüber, welcher Aberwitz sich da an die Öffentlichkeit drängt, welch gewichtige Miene hier eine ziellose Verrücktheit aufsetzt. Der eine unterbreitet dem Gotte Namen, ein anderer verkündet dem Jupiter die Stunden; der eine macht einen Bademeister, ein anderer nimmt sich um das Salben an und ahmt mit leeren Gestikulationen einen Salbenden nach. Da gibt es Zofen, die der Juno und der Minerva die Haare aufmachen (sie tun das auf Distanz, weit ab selbst vom Tempel, nicht nur vom Bildnis, und bewegen ihre Finger, als machten sie Haare auf), und wiederum Zofen, die den Spiegel halten; da gibt es Leute, die die Götter zu Bürgschaften aufrufen, und solche, die ihnen ihre Klagschriften Band 1, S. 328vorlegen und sie in ihre Prozesse einweihen. Ein gelehrter Erzmime, es war ein gebrechlicher Greis, gab Tag für Tag im Kapitol eine Mimenrolle, als ob die Götter Freude hätten an einem Anblick, der nicht einmal die Menschen mehr zu erfreuen vermochte. Alle Arten von Künstlern haben sich dort eingenistet, für die unsterblichen Götter sich zu betätigen.“ Und weiter unten sagt er; „Immerhin geloben diese Leute der Gottheit wenigstens nicht einen schändlichen und unehrbaren Dienst, wenn auch einen überflüssigen. Aber da sitzen im Kapitol auch weibliche Wesen, die von Jupiter geliebt zu werden glauben; und sie lassen sich nicht einmal durch die Rücksicht auf die nach den Dichtern (wer ihnen glaubte) furchtbar hitzige Juno einschüchtern“.

Solchen Freimut hat Varro nicht an den Tag gelegt; er getraute sich nur die Theologie der Dichter anzufechten, nicht aber die staatliche, die Seneca zuschanden gemacht hat. Allein wenn wir die Wahrheit ins Auge fassen, müssen wir sagen: Schlimmer sind die Tempel, in denen derlei geschieht, als die Theater, wo es nur im Bilde vorgeführt wird. Deshalb hat nach Seneca der Weise seine Rolle gegenüber diesen Einrichtungen der Staatstheologie sich nicht innerlich eigen zu machen, sondern nur äußerlich zu spielen. Er sagt nämlich: „All das wird der Weise beobachten, weil es geboten ist durch die Gesetze, nicht weil es den Göttern annehmlich wäre“. Und kurz darauf: „Wir stiften ja sogar Ehen von Göttern, und unfromm genug zwischen Brüdern und Schwestern! Bellona verheiraten wir an Mars, Venus an Vulkan, Salacia an Neptun. Einige jedoch lassen wir unverheiratet, gleich als hätte es ihnen an einer passenden Partie gefehlt, zumal da manche Witwen sind, wie Populonia, Fulgora und die Göttin Rumina, von denen es mich freilich nicht wundert, daß sie keinen Bewerber gefunden haben. Diese ganze unerlauchte Schar von Göttern, die langwährender Aberglaube in langer Zeit aufgehäuft hat, werden wir in der Weise anbeten, daß wir uns erinnern, daß ihre Verehrung nicht so fast in der Sache als in der Sitte begründet ist.“ Also ist die Staatstheologie weder durch Gesetze noch durch Sitte zu Einrichtungen gekommen, die den Göttern genehm Band 1, S. 329oder in der Sache begründet wären. Aber Seneca selbst, den die Philosophie scheinbar frei gemacht hat, bezeugte eben doch, weil er Senator des erhabenen Römervolkes war, Verehrung gegen das, was er anfocht, er tat, was er rügte, und betete an, was er mißbilligte; denn die Philosophie hatte ihn ja etwas Großes gelehrt: er solle in seiner Weltanschauung nicht abergläubisch sein, jedoch wegen der Staatsgesetze und des Herkommens zwar nicht einen fingierenden Schauspieler im Theater machen, aber doch es einem solchen gleichtun im Tempel; eine Handlungsweise, die umso verwerflicher ist, als er das, was er unaufrichtig tat, doch so tat, daß das Volk meinte, er benehme sich aufrichtig, während der Schauspieler nicht so fast durch Trug täuscht, als vielmehr durch sein Spiel Unterhaltung verschafft.


  1. Gestorben 65 n. Chr. ↩

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The City of God

Chapter 10.--Concerning the Liberty of Seneca, Who More Vehemently Censured the Civil Theology Than Varro Did the Fabulous.

That liberty, in truth, which this man wanted, so that he did not dare to censure that theology of the city, which is very similar to the theatrical, so openly as he did the theatrical itself, was, though not fully, yet in part possessed by Annaeus Seneca, whom we have some evidence to show to have flourished in the times of our apostles. It was in part possessed by him, I say, for he possessed it in writing, but not in living. For in that book which he wrote against superstition, 1 he more copiously and vehemently censured that civil and urban theology than Varro the theatrical and fabulous. For, when speaking concerning images, he says, "They dedicate images of the sacred and inviolable immortals in most worthless and motionless matter. They give them the appearance of man, beasts, and fishes, and some make them of mixed sex, and heterogeneous bodies. They call them deities, when they are such that if they should get breath and should suddenly meet them, they would be held to be monsters." Then, a while afterwards, when extolling the natural theology, he had expounded the sentiments of certain philosophers, he opposes to himself a question, and says, "Here some one says, Shall I believe that the heavens and the earth are gods, and that some are above the moon and some below it? Shall I bring forward either Plato or the peripatetic Strato, one of whom made God to be without a body, the other without a mind?" In answer to which he says, "And, really, what truer do the dreams of Titus Tatius, or Romulus, or Tullus Hostilius appear to thee? Tatius declared the divinity of the goddess Cloacina; Romulus that of Picus and Tiberinus; Tullus Hostilius that of Pavor and Pallor, the most disagreeable affections of men, the one of which is the agitation of the mind under fright, the other that of the body, not a disease, indeed, but a change of color." Wilt thou rather believe that these are deities, and receive them into heaven? But with what freedom he has written concerning the rites themselves, cruel and shameful! "One," he says, "castrates himself, another cuts his arms. Where will they find room for the fear of these gods when angry, who use such means of gaining their favor when propitious? But gods who wish to be worshipped in this fashion should be worshipped in none. So great is the frenzy of the mind when perturbed and driven from its seat, that the gods are propitiated by men in a manner in which not even men of the greatest ferocity and fable-renowned cruelty vent their rage. Tyrants have lacerated the limbs of some; they never ordered any one to lacerate his own. For the gratification of royal lust, some have been castrated; but no one ever, by the command of his lord, laid violent hands on himself to emasculate himself. They kill themselves in the temples. They supplicate with their wounds and with their blood. If any one has time to see the things they do and the things they suffer, he will find so many things unseemly for men of respectability, so unworthy of freemen, so unlike the doings of sane men, that no one would doubt that they are mad, had they been mad with the minority; but now the multitude of the insane is the defence of their sanity."

He next relates those things which are wont to be done in the Capitol, and with the utmost intrepidity insists that they are such things as one could only believe to be done by men making sport, or by madmen. For having spoken with derision of this, that in the Egyptian sacred rites Osiris, being lost, is lamented for, but straightway, when found, is the occasion of great joy by his reappearance, because both the losing and the finding of him are feigned; and yet that grief and that joy which are elicited thereby from those who have lost nothing and found nothing are real;--having I say, so spoken of this, he says, "Still there is a fixed time for this frenzy. It is tolerable to go mad once in the year. Go into the Capitol. One is suggesting divine commands 2 to a god; another is telling the hours to Jupiter; one is a lictor; another is an anointer, who with the mere movement of his arms imitates one anointing. There are women who arrange the hair of Juno and Minerva, standing far away not only from her image, but even from her temple. These move their fingers in the manner of hairdressers. There are some women who hold a mirror. There are some who are calling the gods to assist them in court. There are some who are holding up documents to them, and are explaining to them their cases. A learned and distinguished comedian, now old and decrepit, was daily playing the mimic in the Capitol, as though the gods would gladly be spectators of that which men had ceased to care about. Every kind of artificers working for the immortal gods is dwelling there in idleness." And a little after he says, "Nevertheless these, though they give themselves up to the gods for purposes superflous enough, do not do so for any abominable or infamous purpose. There sit certain women in the Capitol who think they are beloved by Jupiter; nor are they frightened even by the look of the, if you will believe the poets, most wrathful Juno."

This liberty Varro did not enjoy. It was only the poetical theology he seemed to censure. The civil, which this man cuts to pieces, he was not bold enough to impugn. But if we attend to the truth, the temples where these things are performed are far worse than the theatres where they are represented. Whence, with respect to these sacred rites of the civil theology, Seneca preferred, as the best course to be followed by a wise man, to feign respect for them in act, but to have no real regard for them at heart. "All which things," he says, "a wise man will observe as being commanded by the laws, but not as being pleasing to the gods." And a little after he says, "And what of this, that we unite the gods in marriage, and that not even naturally, for we join brothers and sisters? We marry Bellona to Mars, Venus to Vulcan, Salacia to Neptune. Some of them we leave unmarried, as though there were no match for them, which is surely needless, especially when there are certain unmarried goddesses, as Populonia, or Fulgora, or the goddess Rumina, for whom I am not astonished that suitors have been awanting. All this ignoble crowd of gods, which the superstition of ages has amassed, we ought," he says, "to adore in such a way as to remember all the while that its worship belongs rather to custom than to reality." Wherefore, neither those laws nor customs instituted in the civil theology that which was pleasing to the gods, or which pertained to reality. But this man, whom philosophy had made, as it were, free, nevertheless, because he was an illustrious senator of the Roman people, worshipped what he censured, did what he condemned, adored what he reproached, because, forsooth, philosophy had taught him something great,--namely, not to be superstitious in the world, but, on account of the laws of cities and the customs of men, to be an actor, not on the stage, but in the temples,--conduct the more to be condemned, that those things which he was deceitfully acting he so acted that the people thought he was acting sincerely. But a stage-actor would rather delight people by acting plays than take them in by false pretences.


  1. Mentioned also by Tertullian, Apol. 12, but not extant. ↩

  2. Numina. Another reading is nomina; and with either reading another translation is admissible; "One is announcing to a god the names (or gods) who salute him." ↩

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