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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat (BKV)
1. Daß sowohl den Engeln wie auch den Menschen die wahre Glückseligkeit nur durch den einen Gott zuteil werde, haben auch die Platoniker gelehrt; aber es handelt sich darum, ob die, welche man nach ihrer Ansicht um der ewigen Glückseligkeit willen zu verehren hat, nur für den einen Gott, oder auch für sich selbst Opfer heischen.
Band 16, S. 511 Für jeden, der nur überhaupt des Vernunftgebrauches mächtig ist, steht es ganz außer Frage, daß alle Menschen glückselig sein wollen. Doch darüber, wer glückselig sei und wodurch man es werde, sind bei der Schwachheit der Sterblichen viele und tiefgehende Streitigkeiten entstanden, auf die die Philosophen ihre ganze Mühe und Zeit verwendet haben; sie vorzulegen und zu untersuchen würde indes zu weit führen und ist auch nicht nötig. Denn wenn sich die Leser erinnern an unsere im achten Buche enthaltenen Bemerkungen1 anläßlich der Entscheidung, mit welchen Philosophen man sich bei dieser das glückselige Leben nach dem Tode berührenden Frage, ob man nämlich zur Erlangung eines Band 16, S. 512solchen Lebens dem einen wahren Gott, der auch der Urheber der Götter ist, oder aber einer großen Zahl von Göttern mit religiöser Verehrung und mit Opfern dienen müsse, auseinanderzusetzen hat, so werden sie hier nicht eine Wiederholung jener Ausführungen erwarten, um so weniger, als sie ja durch nochmaliges Lesen ihrem Gedächtnis nachhelfen können, wenn sie sich etwa nicht mehr erinnern. Wir haben uns für die Platoniker entschieden, mit Recht die berühmtesten unter den Philosophen, da sie sich zu der Erkenntnis emporgerungen haben, daß die Menschenseele, wenn sie auch unsterblich und mit Vernunft oder Erkenntnis begabt ist, glückselig nur sein könne durch Teilnahme am Lichte jenes Gottes, von dem sie selbst und die Welt erschaffen ist. Demnach vermag nach ihnen das, was alle Menschen anstreben, ein glückseliges Leben, niemand zu erlangen, außer wer jenem einen besten Wesen, das der unwandelbare Gott ist, mit der Reinheit ungeteilter Liebe anhängt. Weil jedoch auch die Platoniker, sei es daß sie sich volkstümlichem Wahn und Irrtum anpaßten oder daß sie nach den Worten des Apostels2„in ihren Gedanken eitel und nichtig wurden“, die Verehrung vieler Götter für eine Pflicht hielten oder dafür ausgaben, wobei manche von ihnen die Meinung vertraten, man müsse auch den Dämonen die göttlichen Ehren des Weihedienstes und der Opfer erweisen — eine Ansicht, auf die wir unsere Erwiderung bereits zum größten Teil vorgebracht haben —, so handelt es sich jetzt darum, zuzusehen und, soweit Gott die Kraft gibt, zu untersuchen, in welcher Art wohl jene Unsterblichen und Glückseligen auf den himmlischen Thronen und bei den himmlischen Herrschaften, Fürstentümern und Gewalten3, die von den Platonikern als Götter oder auch zum Teil als gute Dämonen oder in Übereinstimmung mit uns als Engel bezeichnet werden, Religion und Frömmigkeit von uns betätigt wissen wollen, d. h., um es deutlicher zu sagen, ob wir unter ihrem Beifall auch ihnen oder nur ihrem Gott, der auch der unsere ist, Dienst weihen Band 16, S. 513und opfern oder irgendetwas aus unserm Besitz oder uns selbst in religiöser Art weihen können.
Das ist nämlich die Verehrung, die man der Gottheit oder, um mich genauer auszudrücken, dem Gottwesen schuldet; da ich kein lateinisches Wort kenne, das diese Art von Verehrung völlig zutreffend bezeichnen würde, so bediene ich mich, wo es nötig ist, eines griechischen Wortes hierfür, des Wortes λατρεία. Man hat das Wort λατρεία an allen Stellen, wo es in der Hl. Schrift vorkommt, mit servitus [Dienst]wiedergegeben. Allein der Dienst, den man Menschen schuldet und mit Bezug auf den der Apostel4 befiehlt, daß die Diener ihren Herren unterwürfig zu sein haben, wird im Griechischen mit einem andern Worte bezeichnet; dagegen bedeutet λατρεία in dem Sprachgebrauch derer, die uns das göttliche Wort aufgezeichnet haben, immer oder so gut wie immer speziell den Dienst, der sich auf die Verehrung Gottes bezieht. Würde man diesen Dienst einfach als Verehrung bezeichnen, so wäre damit nicht betont, daß es sich um einen Dienst handelt, den man nur Gott schulde. Man spricht ja auch Menschen gegenüber von Verehrung, sei es daß es sich um eine verehrungsvolle Erinnerung oder um ehrerbietiges Benehmen in ihrer Gegenwart handelt. Und nicht nur den Wesen gegenüber, denen wir uns in ehrfurchtsvoller Demut unterwerfen, spricht man von colere [verehren], sondern selbst solchen gegenüber findet dieses Wort Anwendung, die unter uns stehen. Denn von colere leiten sich ab die Wörter agricola, colonus, incola, und die Götter selbst nennt man caelicolae, nicht als ob sie den Himmel verehrten, sondern weil sie als eine Art Kolonisten [coloni]darin wohnen; nicht als Kolonisten im Sinne von Landpächtern, die ihren Stand dem ererbten Boden verdanken und so genannt werden wegen der Bodenbebauung, die sie unter der Herrschaft des Besitzers betätigen, sondern in dem Sinne, wie ein großer Meister der lateinischen Sprache ihn anwendet5 in den Worten:
Band 16, S. 514„Alt war die Stadt Karthago, bewohnt von tyrischen Siedlern“.
Er nennt sie Siedler oder Kolonisten als Einwohner, nicht als wären sie Ackerbauer gewesen. In demselben Sinne werden auch Städte, die von größeren Städten aus gleichsam durch Ausschwärmen der Bevölkerung gegründet wurden, Kolonien genannt. Demnach hat es allerdings seine volle Richtigkeit damit, daß Kult in einem speziellen Sinne Gott allein gebührt; weil man jedoch auch von einem Kult anderer Dinge spricht, so ist es im Lateinischen nicht möglich, den Gott gebührenden Kult mit einem einzigen Wort bündig zu bezeichnen.
Denn auch mit dem Worte „Religion“ verbindet man im Lateinischen einen mehrfachen Sinn. Auf den ersten Blick allerdings wird man sagen, daß man damit nicht jede Art von Verehrung bezeichnet, sondern speziell die Gottesverehrung (deshalb haben die lateinischen Übersetzer das griechische Wort θρησκεία mit religio wiedergegeben); allein nach dem lateinischen Sprachgebrauch, und zwar nicht etwa bloß der Ungebildeten, sondern auch der gelehrtesten Schriftsteller, spricht man von religio auch mit Bezug auf die Verbindlichkeit, die man in menschlichen Verhältnissen den Blutsverwandten, Verschwägerten und sonst irgendwie Verbundenen gegenüber zu wahren hat. Deshalb können wir da, wo es sich um die Gottesverehrung handelt, nicht mit der nötigen Bestimmtheit den Ausdruck religio anwenden, als bezeichne er nichts anderes als Gottesverehrung, weil dadurch dieses Wort dem Sprachgebrauch zuwider der Bezeichnung der unter den Menschen üblichen Rücksicht gegen Verwandte entzogen würde. Man versteht nun wohl vielfach auch unter pietas, dem griechischen εὐσέβεια, speziell die Gottesverehrung. Jedoch damit bezeichnet man auch das pflichtgemäße Verhalten gegen die Eltern. Und gar im Volksmund wird dieses Wort auch gebraucht für die Werke der Barmherzigkeit; eine Bedeutung, die es nach meiner Ansicht deshalb erlangt hat, weil Gott zu deren Betätigung besonders eindringlich auffordert und zu verstehen gibt, daß ihm solche Werke soviel und noch Band 16, S. 515mehr als Opfer gelten6. Infolge dieses Sprachgebrauches bezeichnet man Gott selbst als pius [milde]7, während allerdings die Griechen ihn in ihrer Sprache nicht εὐσέβης nennen, obwohl auch bei ihnen das Volk εὐσέβεια im Sinne von Barmherzigkeit gebraucht. Daher hat man an manchen Stellen der Schrift statt des Wortes εὐσέβεια, das nach seiner Zusammensetzung „löbliche Verehrung“ bedeutet, lieber θεοσέβεια gesetzt, das nach seiner Zusammensetzung soviel wie Verehrung Gottes bedeutet. Im Lateinischen jedoch können wir keinen von diesen beiden Ausdrücken mit einem einzigen Worte wiedergeben. Also das, was man im Griechischen λατρεία nennt und im Lateinischen mit servitus übersetzt, wobei man jedoch den Dienst meint, mit dem wir Gott verehren, oder das, was im Griechischen θ�?ησκεία und im Lateinischen religio heißt, jedoch nicht Ehrfurcht ganz allgemein bezeichnet, sondern speziell die Ehrfurcht, die wir Gott entgegenbringen, oder das, was die Griechen εὐσέβεια nennen, die Lateiner dagegen nicht mit einem einzigen Wort ausdrücken, sondern etwa als cultus Dei bezeichnen können, das ist es, so behaupten wir, was man dem Gott allein schuldet, der der wahre Gott ist und seine Verehrer zu Göttern macht. Was demnach die unsterblichen und seligen Wesen aller Art in den himmlischen Wohnungen betrifft, so braucht man sie, wenn sie uns nicht lieben und unsere Seligkeit nicht wünschen, natürlich überhaupt nicht zu verehren. Wenn sie uns dagegen lieben und uns glückselig wissen möchten, so wollen sie selbstverständlich, daß wir glückselig seien durch das, wodurch sie selbst es sind; oder ist die Quelle der Glückseligkeit für uns eine andere als für sie?
Edition
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De civitate Dei (CCSL)
Caput I: Veram beatitudinem siue angelis siue hominibus per unum deum tribui etiam Platonicos definisse; sed utrum hi, quos ob hoc ipsum colendos putant, uni tantum deo, an etiam sibi sacrificari uelint, esse quaerendum.
Omnium certa sententia est, qui ratione quoquo modo uti possunt, beatos esse omnes homines uelle. qui autem sint uel unde fiant dum mortalium quaerit infirmitas, multae magnae que controuersiae concitatae sunt, in quibus philosophi sua studia et otia contriuerunt, quas in medium adducere atque discutere et longum est et non necessarium. si enim recolit qui haec legit, quid in libro egerimus octauo in eligendis philosophis, cum quibus haec de beata uita, quae post mortem futura est, quaestio tractaretur, utrum ad eam uni deo uero, qui etiam effector est deorum, an plurimis dis religione sacrisque seruiendo peruenire possimus: non etiam hic eadem repeti expectat, praesertim cum possit relegendo, si forte oblitus est, adminiculari memoriam. elegimus enim Platonicos omnium philosophorum merito nobilissimos, propterea quia sapere potuerunt licet inmortalem ac rationalem uel intellectualem hominis animam nisi participato lumine illius dei, a quo et ipsa et mundus factus est, beatam esse non posse; ita illud, quod omnes homines adpetunt, id est uitam beatam, quemquam isti adsecuturum negant, qui non illi uni optimo, quod est incommutabilis deus, puritate casti amoris adhaeserit. sed quia ipsi quoque siue cedentes uanitati errorique populorum siue, ut ait apostolus, euanescentes in cogitationibus suis multos deos colendos ita putauerunt uel putari uoluerunt, ut quidam eorum etiam daemonibus diuinos honores sacrorum et sacrificiorum deferendos esse censerent, quibus iam non parua ex parte respondimus: nunc uidendum ac disserendum est, quantum deus donat, inmortales ac beati in caelestibus sedibus dominationibus, principatibus potestatibus constituti, quos isti deos et ex quibus quosdam uel bonos daemones uel nobis cum angelos nominant, quomodo credendi sint uelle a nobis religionem pietatemque seruari; hoc est, ut apertius dicam, utrum etiam sibi an tantum deo suo, qui etiam noster est, placeat eis ut sacra faciamus et sacrificemus, uel aliqua nostra seu nos ipsos religionis ritibus consecremus. hic est enim diuinitati uel, si expressius dicendum est, deitati debitus cultus, propter quem uno uerbo significandum, quoniam mihi satis idoneum non occurrit Latinum, Graeco ubi necesse est insinuo quid uelim dicere. λατρεία quippe nostri, ubicumque sanctarum scripturarum positum est, interpretati sunt seruitutem. sed ea seruitus, quae debetur hominibus, secundum quam praecipit apostolus seruos dominis suis subditos esse debere, alio nomine Graece nuncupari solet; λατρεία uero secundum consuetudinem, qua locuti sunt qui nobis diuina eloquia condiderunt, aut semper aut tam frequenter ut paene semper ea dicitur seruitus, quae pertinet ad colendum deum. proinde si tantummodo cultus ipse dicatur, non soli deo deberi uidetur. dicimur enim colere etiam homines, quos honorifica uel recordatione uel praesentia frequentamus. nec solum ea, quibus nos religiosa humilitate subicimus, sed quaedam etiam, quae subiecta sunt nobis, perhibentur coli. nam ex hoc uerbo et agricolae et coloni et incolae uocantur, et ipsos deos non ob aliud appellant caelicolas, nisi quod caelum colant, non utique uenerando, sed inhabitando, tamquam caeli quosdam colonos; non sicut appellantur coloni, qui condicionem debent genitali solo, propter agriculturam sub dominio possessorum, sed, sicut ait quidam Latini eloquii magnus auctor: urbs antiqua fuit, Tyrii tenuere coloni. ab incolendo enim colonos uocauit, non ab agricultura. hinc et ciuitates a maioribus ciuitatibus uelut populorum examinibus conditae coloniae nuncupantur. ac per hoc cultum quidem non deberi nisi deo propria quadam notione uerbi huius omnino uerissimum est; sed quia et aliarum rerum dicitur cultus, ideo Latine uno uerbo significari cultus deo debitus non potest. nam et ipsa religio quamuis distinctius non quemlibet, sed dei cultum significare uideatur - unde isto nomine interpretati sunt nostri eam, quae Graece θρησκεία dicitur - , tamen quia Latina loquendi consuetudine, non inperitorum, uerum etiam doctissimorum, et cognationibus humanis atque adfinitatibus et quibusque necessitudinibus dicitur exhibenda religio, non eo uocabulo uitatur ambiguum, cum de cultu deitatis uertitur quaestio, ut fidenter dicere ualeamus religionem non esse nisi cultum dei, quoniam uidetur hoc uerbum a significanda obseruantia propinquitatis humanae insolenter auferri. pietas quoque proprie dei cultus intellegi solet, quam Graeci εὐσέβεια uocant. haec tamen et erga parentes officiose haberi dicitur. more autem uulgi hoc nomen etiam in operibus misericordiae frequentatur; quod ideo arbitror euenisse, quia haec fieri praecipue mandat deus eaque sibi uel pro sacrificiis uel prae sacrificiis placere testatur. ex qua loquendi consuetudine factum est, ut et deus ipse dicatur pius; quem sane Graeci nullo suo sermonis usu εὐσέβεια uocant, quamuis εὐσέβεια pro misericordia illorum etiam uulgus usurpet. unde in quibusdam scripturarum locis, ut distinctio certior appareret, non εὐσέβεια, quod ex bono cultu, sed θεοσέβεια, quod ex dei cultu conpositum resonat, dicere maluerunt. utrumlibet autem horum nos uno uerbo enuntiare non possumus. quae itaque λατρεία Graece nuncupatur et Latine interpretatur seruitus, sed ea qua colimus deum; uel quae θρησκεία Graece, Latine autem religio dicitur, sed ea quae nobis est erga deum; uel quam illi εὐσέβεια, nos uero non uno uerbo exprimere, sed dei cultum possumus appellare: hanc ei tantum deo deberi dicimus, qui uerus est deus facitque suos cultores deos. quicumque igitur sunt in caelestibus habitationibus inmortales et beati, si nos non amant nec beatos esse nos uolunt, colendi utique non sunt. si autem amant et beatos uolunt, profecto inde uolunt, unde et ipsi sunt; an aliunde ipsi beati, aliunde nos?