21.
Wenn uns Faustus schliesslich auch noch deswegen verunglimpft, weil wir die Erinnerungsstätten der Märtyrer in Ehren halten, indem er behauptet, dass wir die Märtyrer an die Stelle der Götzenbilder gesetzt hätten (538,6), so veranlasst mich dies weniger, auf diese Verunglimpfung zu antworten, als zu zeigen, dass Faustus, in seinem Bemühen, uns in ein schlechtes Licht zu rücken, sogar noch über die albernen Hirngespinste des Mani hinausgehen wollte, und dabei unbegreiflicherweise aus Unbedachtheit auf eine Glaubensanschauung hereingefallen ist, die bei den Heiden, besonders bei ihren Dichtern, weit verbreitet ist, obwohl er doch so darauf bedacht ist, sich von ihnen möglichst zu distanzieren. Als er nämlich erklärte, dass wir die Märtyrer an die Stelle der Götzenbilder gesetzt hätten, fuhr er wörtlich fort: die ihr in ähnlicher Weise mit Gebeten verehrt; die Schatten der Dahingeschiedenen besänftigt ihr mit Wein und Opferspeisen (538,6). Existieren also die Schatten der Dahingeschiedenen wirklich? Wir haben das in euren Reden nie gehört, in euren Schriften nie gelesen; im Gegenteil, ihr pflegt solchen Glaubensanschauungen zu widersprechen, und behauptet, dass die Seelen der Toten, falls sie schlecht sind oder deren Reinigung nicht abgeschlossen ist, entweder in den Kreislauf der Wiedergeburten eintreten oder irgendwelchen schlimmeren Strafen anheim fallen, falls sie aber gut sind, auf Schiffe gesetzt werden, um am Himmel dahinzusegeln und von dort zu jenem Hirngespinst, dem Land des Lichts, hinzugelangen, für das sie im Kampf zugrunde gegangen waren, und dass somit keine einzige Seele bei der Grabstätte ihres Körpers festgehalten wird. Was sollen also die Schatten der Dahingeschiedenen? Was ist ihre Substanz? Welches ist ihr Aufenthaltsort? Doch in seinem Drang, Verleumdungen zu verbreiten, hat Faustus sein eigenes Glaubensbekenntnis vergessen, oder ist vielleicht eingeschlafen und hat jene Aussage über die Schatten im Traum diktiert, und ist auch dann nicht aufgewacht, als er seinen Text durchlas. Das christliche Volk aber würdigt die Gedenkstätten der Märtyrer mit einer jährlich wiederkehrenden religiösen Feier, einmal um zu deren Nachahmung anzuspornen, sodann um Anteil zu nehmen an ihren Verdiensten und durch ihre Fürbitten Hilfe zu erlangen, wobei wir aber niemals für einen der Märtyrer, sondern einzig für den Gott der Märtyrer Altäre errichten, die sich allerdings in den Gedenkstätten der Märtyrer befinden. Hat denn je ein Zelebrant, der in den Grabstätten der heiligen Gebeine am Altar stand, gesagt: Wir bringen dir, Petrus oder Paulus oder Cyprianus ein Opfer dar? Nein, was geopfert wird, wird Gott geopfert, der die Märtyrer krönte, allerdings tun wir dies an den Gedenkstätten derer, die er krönte, damit schon der Einfluss der Örtlichkeit uns geneigter macht, die Liebe zu jenen, die wir nachahmen können, und zu jenem, mit dessen Hilfe wir es können, zu vertiefen. Wir verehren also die Märtyrer im selben Kult der Liebe und der Brüderlichkeit, in dem wir die heiligen Menschen Gottes schon zu ihren Lebzeiten verehren, wenn wir erkennen, dass ihr Herz bereit ist, für die Wahrheit des Evangeliums ein solches Leiden auf sich zu nehmen; bei jenen Märtyrern aber tun wir es mit noch mehr Hingabe, da wir unbesorgter sein können, nachdem sie all ihre Kämpfe siegreich bestanden haben, und da wir sie vertrauensvoller lobpreisen können, wenn sie sich bereits als Sieger im glücklicheren Leben befinden, als wenn sie sich weiter als Kämpfer im diesseitigen Leben bewähren müssen. Mit jenem Kult aber, der griechisch ίgenannt wird, und lateinisch nicht mit einem Wort wiedergegeben werden kann, verehren wir nur den einen Gott, und dem entspricht auch unsere Lehre, da dies ein Dienst ist, der ausschliesslich der Gottheit gebührt. Da nun aber die Darbringung des Opfers zu diesem Kult gehört, – weshalb man es als Götzendienst bezeichnet, wenn auch den Götzen Opfer dargebracht werden –, bringen weder wir selber einem Märtyrer oder einer heiligen Seele oder einem Engel Opfer in irgendwelcher Form dar, noch verlangt unsere Lehre, dies zu tun. Und wer in diesen Irrtum verfällt, den tadelt die gesunde Lehre, sei es um ihn auf den richtigen Weg zu bringen, sei es um zur Wachsamkeit aufzurufen. Denn auch die heiligen Menschen oder Engel selber wollen nicht, dass ihnen etwas dargebracht wird, von dem sie wissen, dass es einzig dem einen Gott zusteht. Dies zeigte sich bei Paulus und Barnabas, als die Lykaonier, durch die Wunder, welche jene gewirkt hatten, verleitet, ihnen wie Göttern opfern wollten; indem sie nämlich ihre Kleider zerrissen und mit aller Überzeugungskraft zu erkennen gaben, dass sie keine Götter seien, lehnten sie für sich solche Opfer ab (cf. Apg. 14,8 ff.). Dies zeigte sich auch bei den Engeln; so lesen wir in der Apokalypse (cf. Apoc. 19,10; 22,8 f.), wie der Engel es ablehnte, angebetet zu werden und zu dem, der ihn anbeten wollte, sagte (ib. 22,9): Ich bin ein Knecht wie du und deine Brüder. Genau das aber verlangen die stolzen Geister, der Teufel und seine Engel, ausdrücklich für sich, wie das in allen Tempeln und Heiligtümern der Heiden befolgt wird; eine Ähnlichkeit mit ihnen ist auch in gewissen stolzen Menschen deutlich erkennbar, wie es von gewissen Königen Babylons historisch bezeugt ist. Deshalb musste der heilige Daniel Ankläger und Verfolger erdulden (cf. Dan. 6), weil er, ungeachtet des königlichen Erlasses, welcher verbot, dass eine Bitte an irgend einen Gott, ausser an den König selber gerichtet werden dürfe (ib. 6,8), dabei ertappt wurde, wie er zu seinem Gott, d.h. dem einzigen und wahren Gott, betete und flehte. Was nun jene Menschen betrifft, die sich in den Gedächtnisstätten der Märtyrer betrinken (538,7), wie könnten sie von uns Zustimmung finden, da doch die gesunde Lehre sie selbst dann verurteilt, wenn sie dies in ihren eigenen Wänden tun? Doch eine Sache ist, was wir lehren, eine andere, was wir nachsichtig dulden; eine Sache ist, was wir fordern müssen, eine andere, wo wir aufgefordert sind, Besserung zu bewirken und zu Duldsamkeit gedrängt werden, bis wir diese Besserung erreicht haben (Bibelstellen?); eine Sache ist die christliche Lebensführung, eine andere die Zügellosigkeit der Weinseligen, wenigstens wenn es eine Verirrung von sittlich Schwachen ist. Und doch besteht auch hier noch ein gewaltiger Unterschied zwischen der Schuld der Weinseligen und jener der Gotteslästerer. Denn die Sünde ist weitaus geringer, wenn man betrunken von der Märtyrerstätte zurückkehrt, als wenn man, selbst nüchtern, den Märtyrern ein Opfer darbringt. Ich sagte: den Märtyrern ein Opfer darbringt, nicht: Gott in den Gedenkstätten der Märtyrer ein Opfer darbringt.
Letzteres tun wir ja sehr häufig, und zwar in jener Form des Opfers, die Gott uns in der Enthüllung des Neuen Testaments vorgeschrieben hat; und dieses Opfer gehört zu jenem Kult, der als latria bezeichnet wird, und einzig Gott gebührt. Doch was kann ich noch tun? Wann wird es mir gelingen, der heillosen Blindheit dieser Häretiker deutlich zu machen, welch tiefen Sinn jener Satz hat, der in den Psalmen ertönt (Ps. 49,23): Das Opfer des Lobpreises bringt mir Herrlichkeit, und dies ist der Weg, auf dem ich jenem mein Heil zeige. Das Fleisch und das Blut aber, das in diesem Opfer dargebracht wird, war vor der Ankunft Christi durch Opfertiere gleichnishaft vorgebildet, im Leiden Christi wurde es durch die Wahrheit selber dahingegeben, seit der Himmelfahrt Christi wird sein Gedächtnis liturgisch gefeiert. Und so ist der Unterschied zwischen den Opfern der Heiden und jenen der Hebräer der zwischen einer verfehlten Nachahmung und einem Modellbild, das Kommendes ankündigt. So wenig aber die Jungfräulichkeit jener Frauen, die sich Gott geweiht haben, deshalb zu verachten oder zu verabscheuen ist, weil auch die Vestalinnen Jungfrauen waren, genauso wenig darf man die Opfer der Väter beanstanden, weil die Heiden in gleicher Weise Opfer darbringen; denn so wie zwischen jenen zwei Formen der Jungfräulichkeit ein wesentlicher Unterschied besteht, auch wenn der Unterschied einzig darin besteht, wem sie geweiht und gewidmet wird, ebenso besteht auch zwischen den Opfern der Heiden und jenen der Hebräer allein schon durch den jeweiligen Empfänger des Opfers ein wesentlicher Unterschied; denn dort waren es die Dämonen in ihrer stolzen Gottesverachtung, die sich, um selber für Götter gehalten zu werden, anmassten, das Opfer für sich in Anspruch zu nehmen, da es ja eine Ehrenbezeugung ist, die der Gottheit gebührt; hier dagegen war es der einzige Gott, was bedeutet, dass dieses ebenbildliche Opfer, welches eine Verheissung des wahren Opfers war, jenem Gott dargebracht wurde, dem dann im Leiden des Leibes und des Blutes Christi die uns überreichte Wahrheit selber dargebracht werden sollte.