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Fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit
9. Kapitel. Ob die Gerechtigkeit und andere Tugenden im zukünftigen Leben aufhören.
12. Ob dann aber auch die Tugenden, durch die man in dieser Sterblichkeit gut lebt — auch ihr Sein fängt ja einmal in der Seele an, die, obgleich sie ehedem ohne die Tugenden war, doch Seele war —, zu sein aufhören, wenn sie zum Ewigen hingeführt haben, ist eine Frage, die mit einigen Schwierigkeiten behaftet ist. Manche glauben nämlich, daß sie aufhören werden. In der Tat scheint dies von dreien, nämlich der Klugheit, Tapferkeit und Mäßigkeit, mit einigem Recht behauptet werden zu können. Die Gerechtigkeit hingegen ist unsterblich und wird dann eher zu ihrer Vollendung in uns gelangen, als daß sie zu sein aufhört. Von allen vieren aber sagt der große Meister der Beredsamkeit Tullius im Zwiegespräch Hortensius: „Wenn es uns, sobald wir von diesem Leben scheiden, vergönnt wäre, auf den Inseln der Seiigen ein unsterbliches, immerwährendes Leben zu verbringen, wie die Legenden erzählen, wozu brauchte man da die Beredsamkeit, da es keine Prozesse mehr gibt, oder auch die Tugenden? Der Tapferkeit nämlich bedürften wir nicht mehr, da keine Mühe und keine Gefahr mehr vor uns liegt; der Gerechtigkeit nicht mehr, da es kein fremdes Eigentum mehr gäbe, das man begehrte; nicht mehr der Mäßigkeit,S. 227 welche die Lüste ordnet, da es solche nicht mehr gibt; auch der Klugheit würden wir nicht mehr bedürfen, da keine Wahl des Guten oder Bösen mehr vor uns liegt. Einzig durch die Erkenntnis der Natur also wären wir selig und durch die Wissenschaft, um derentwillen allein auch das Leben der Götter zu preisen ist. Daraus kann man erschließen, daß alles übrige der Notdurft dient, daß allein die Glückseligkeit dem Willen angehört.“1 So hat also jener große Redner gesagt, als er Philosophie vortrug — er erinnerte sich an das, was er von Philosophen gehört hatte, und erklärte dies sehr klar und einnehmend —: nur in diesem Leben, das wir mit Mühsal und Irrtum angefüllt sehen, sind alle vier Tugenden notwendig, aber keine von ihnen ist notwendig, wenn wir von diesem Leben scheiden, wenn es uns nur vergönnt ist, dort zu leben, wo man selig lebt, vielmehr sind die guten Seelen allein durch Erkenntnis und Wissen selig, das heißt durch die Beschauung der Natur, die das Beste und Lieblichste ist, was es gibt: sie ist die Natur, die alle übrigen Naturen schuf und einrichtete. Wenn die Gerechtigkeit die Unterordnung unter deren Leitung heischt, dann ist die Gerechtigkeit durchaus unsterblich, und sie wird in jener Seligkeit nicht zu bestehen aufhören, sondern wird solchergestalt und so groß sein, daß sie nicht vollkommener und größer sein könnte. Vielleicht werden auch die anderen drei Tugenden in jenem Glücke weiterdauern, die Klugheit ohne irgendeine Gefahr, zu irren, die Tapferkeit ohne Belästigung durch Übel, die zu ertragen sind, die Mäßigkeit ohne den Widerstreit des bösen Gelüstes, so daß es Aufgabe der Klugheit wäre, kein Gut Gott vorzuziehen oder gleichzusetzen, der Tapferkeit, ihm auf das Festeste anzuhangen, der Mäßigkeit, ohne irgendein schädliches Abgleiten sich zu ergötzen. Was aber jetzt die Gerechtigkeit tut, indem sie den Elenden zu Hilfe kommt, die Klugheit, indemS. 228sie Anschläge im voraus abwendet, die Tapferkeit, indem sie Beschwerden erträgt, die Mäßigkeit, indem sie verkehrte Ergötzungen unterdrückt, das wird dort nicht mehr sein, wo es keinerlei Übel mehr gibt. Und deshalb werden diese Werke der Tugenden, die für dieses sterbliche Leben notwendig sind, gleich dem Glauben, auf den sie hingeordnet sein müssen, dort zum Vergangenen gerechnet werden; und sie bilden eine andere Dreiheit jetzt, wo wir sie als gegenwärtig festhalten, schauen und lieben; eine andere werden sie dann bilden, wenn wir durch eine Art von Spur, die sie im Vorübergehen im Gedächtnis zurücklassen, finden, daß sie nicht mehr sind, sondern gewesen sind. Eine Dreiheit wird ja auch dann sein, wenn jene wie immer beschaffene Spur gedächtnismäßig festgehalten, sachgerecht festgestellt und wenn durch den Willen als drittes beides geeint wird.
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S. 170, Anm. 1. ↩
Edition
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De Trinitate
IX.
[IX 12] Utrum autem etiam tunc virtutes quibus in hac mortalitate bene vivitur quia et ipsae incipiunt esse in animo qui cum sine illis prius esset, tamen animus erat, desinant esse cum ad aeterna perduxerint nonnulla quaestio est. Quibusdam enim visum est desituras, et de tribus quidem, prudentia, fortitudine, temperantia cum hoc dicitur non nihil dici videtur. Iustitia vero immortalis est et magis tunc perficietur in nobis quam esse cessabit. De omnibus tamen quattuor magnus auctor eloquentiae Tullius in Hortensio dialogo disputans: Si nobis, inquit, cum ex hac vita migraverimus, in beatorum insulis immortale aevum, ut fabulae ferunt, degere liceret, quid opus esset eloquentia, cum iudicia nulla fierent; aut ipsis etiam virtutibus? Nec enim fortitudine egeremus, nullo proposito aut labore aut periculo; nec iustitia, cum esset nihil quod appeteretur alieni; nec temperantia, quae regeret eas quae nullae essent libidines; nec prudentia quidem egeremus, nullo delectu proposito bonorum et malorum. Una igitur essemus beati cognitione naturae et scientia, qua sola etiam deorum est vita laudanda. Ex quo intellegi potest, cetera necessitatis esse, unum hoc voluntatis.
Ita ille tantus orator cum philosophiam praedicaret recolens ea quae a philosophis acceperat et praeclare ac suaviter explicans in hac tantum vita quam videmus aerumnis et erroribus plenam omnes quattuor necessarias dixit esse virtutes, nullam vero earum cum ex hac vita emigrabimus si liceat ibi vivere ubi vivitur beate, sed bonos animos sola beatos esse cognitione et scientia, hoc est contemplatione naturae in qua nihil est melius et amabilius ea natura quae creavit omnes ceteras instituitque naturas. Cui regenti esse subditum si iustitiae est, immortalis est omnino iustitia nec in illa esse beatitudine desinet sed talis ac tanta erit ut perfectior et maior esse non possit.
Fortassis et aliae tres virtutes, prudentia sine ullo iam periculo erroris, fortitudo sine molestia tolerandorum malorum, temperantia sine repugnatione libidinum erunt in illa felicitate ut prudentiae sit nullum bonum deo praeponere vel aequare, fortitudinis ei firmissime cohaerere, temperantiae nullo defectu noxio delectari. Nunc autem quod agit iustitia in subveniendo miseris, quod prudentia in praecavendis insidiis, quod fortitudo in perferendis molestiis, quod temperantia in coercendis delectationibus pravis non ibi erit ubi nihil omnino mali erit. Ac per hoc ista virtutum opera quae huic mortali vitae sunt necessaria sicut fides ad quam referenda sunt in praeteritis habebuntur, et aliam nunc faciunt trinitatem, cum ea praesentia tenemus, aspicimus, amamus; aliam tunc factura sunt cum ea non esse sed fuisse per quaedam eorum vestigia quae praetereundo in memoria derelinquent reperiemus, quia et tunc trinitas erit cum illud qualecumque vestigium et memoriter retinebitur et agnoscetur veraciter et hoc utrumque tertia voluntate iungetur.