2. Kapitel. Jede sinnliche Vorstellungsweise ist aus der Gotteserkenntnis fernzuhalten.
3. Bei den körperlichen Dingen aber kann es vorkommen, daß dieses Gold ebenso wahr ist wie jenes, daß aber das eine größer ist als das andere, weil hier die Größe nicht ein und dasselbe ist wie die Wahrheit und weil etwas anderes ist das Goldsein, etwas anderes das Großsein. So ist es auch mit der Natur der Seele.1 Was die Größe der Seele begründet, begründet nicht zugleich die Wahrheit der Seele. Denn eine wahre Seele hat auch der, welcher keine große Seele hat. Das Wesen des Leibes und der Seele ist ja nicht das Wesen der Wahrheit S. 17 selbst, wie die Dreieinigkeit der eine, alleinige, große, wahre, wahrhaftige Gott, die Wahrheit ist. Wenn wir ihn zu denken versuchen, soweit er es zuläßt und gewährt, dann soll man an keinerlei Berührung und Umfassung in Raum und Ort wie bei drei Körpern denken, an kein Gefüge von Gliedern, wie es die Sagen von dem dreileibigen Geryon erzählen. Vielmehr muß jede in der Seele etwa auftauchende derartige Vorstellung, als ob in den drei Personen etwas Größeres wäre als in einer einzelnen, und in einer einzelnen etwas Kleineres als in zweien, ohne jedes Zaudern zurückgewiesen werden. So wird nämlich alles Körperliche zurückgewiesen. Im Geistigen aber darf nichts Wandelbares, das auftauchen sollte, für Gott gehalten werden. Wenn wir aus dieser Tiefe zu jener Höhe aufseufzen, dann ist es ja nicht eines geringen Wissens Teil, wenn wir, bevor wir wissen können, was Gott ist, schon wissen können, was er nicht ist. Sicher nämlich ist er nicht Erde, nicht Himmel, nicht wie Erde und Himmel, nicht etwas von der Art, wie wir es am Himmel sehen, oder etwas von der Art, wie wir es zwar nicht sehen, wie es aber vielleicht doch am Himmel ist. Auch wenn man durch die Einbildungskraft in der Vorstellung das Licht der Sonne, soweit man kann, steigert, sei es zu größerer Fülle, sei es zu größerer Klarheit, nur tausendfach oder unendlich, auch das ist nicht Gott. Auch nicht, wie man die Engel als reine Geister denkt, die die Himmelskörper lenken und nach ihrem Gutdünken, darin sie Gott dienen, wandeln und wenden, auch nicht wenn alle, wo sie doch tausendmal tausend sind,2 in eins gefügt, einer würden — auch etwas Derartiges ist Gott nicht. Auch dann nicht, wenn man eben diese Geister ohne Leib denkt, was freilich dem fleischlichen Denken äußerst schwer fällt. Siehe, schau hin, wenn du kannst, du vom vergänglichen Körper niedergebeugte Seele, du von vielen und mannigfaltigen irdischen Gedanken beladene, siehe, schau hin, wenn du S. 18 kannst: Gott ist die Wahrheit.3 Es steht nämlich geschrieben: „Gott ist das Licht“,4 nicht wie diese Augen es sehen, sondern wie das Herz es sieht, wenn man hört: er ist die Wahrheit. Frage nicht, was Wahrheit ist. Sogleich nämlich stellen sich die Dunkelheiten körperlicher Bilder und die Nebel der Sinnesvorstellungen entgegen und trüben die Helligkeit, die dir im ersten Augenblick aufblitzte, als ich sagte: Wahrheit. Siehe, bleibe in eben diesem ersten Augenblick, in dem es dich wie ein Lichtblitz durchfuhr, da man sagte: Wahrheit; in ihm bleibe, wenn du kannst; aber du kannst nicht, du gleitest wieder zurück in diese gewohnten und irdischen Vorstellungen. Unter welchem Gewichte, so frage ich, gleitest du zurück? Nur weil du begierlich am aufgehäuften Erdenstaub klebst und in der Fremde irrst.
Augustinus gebraucht für Seele hier und in den folgenden Kapiteln gewöhnlich das Wort animus, nur hin und wieder das Wort anima, ohne jedoch damit einen Bedeutungswandel zu verbinden. Anderwärts bedeutet animus die geistige Seele des Menschen bzw. die höhere geistige Schicht der menschlichen Seele, anima hingegen das Lebensprinzip, das auch den Tieren eigen ist. Vgl. Gilson a. a. O. 465. Die durch P. Claudel berühmt gewordene Unterscheidung von animus und anima ist Augustinus fremd. ↩
Offb. 5, 11. ↩
Weish. 9, 15. ↩
1 Joh. 1, 5. ↩
