9. Kapitel. Zur Liebe der Gerechten werden wir entflammt durch die Liebe zur unveränderlichen Gestalt der Gerechtigkeit.
13. Was ist der Grund, frage ich, daß wir entflammt werden, wenn wir hören und lesen: „Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heiles! In nichts geben wir irgendeinen Anstoß, damit auf unser Amt kein Tadel falle, sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: durch große Geduld in Drangsalen, in Nöten, in Ängsten, bei Schlägen, bei Gefängnisstrafen, bei Aufständen, in Mühen, in Nachtwachen, in Fasten, durch Erkenntnis, durch Langmut, durch Güte, im Heiligen Geiste, durch ungeheuchelte Liebe, im Worte der Wahrheit, in Gottes Kraft, durch die Waffen der Gerechtigkeit, von rechts und von links, bei Ehre und Schmach, bei Schmähung und Lob, als Verführer angesehen und doch wahrhaftig, als Unbekannte und doch Anerkannte, als Sterbende und siehe, wir leben, als Gezüchtigte und doch nicht Getötete, als Betrübte und doch immer fröhlich, als Bettler und doch viele bereichernd, als Besitzlose und doch alles besitzend.“1
Was gibt es für einen anderen Grund, daß wir zur Liebe des Apostels Paulus entzündet werden, wenn wir S. 40 dies lesen, als daß wir glauben, er habe so gelebt? Daß jedoch die Diener Gottes so leben müssen, haben wir nicht von anderen gehört, um es zu glauben, sondern das sehen wir bei uns oder vielmehr über uns in der Wahrheit selbst. Jenen also, der, wie wir glauben, so gelebt hat, lieben wir auf Grund dessen, was wir sehen. Und wenn wir nicht diese Gestalt, die wir als stete und unwandelbare schauen, vor allem lieben, dann würden wir nicht jenen deshalb lieben, weil wir gläubig festhalten, daß sein Leben, als er im Fleische lebte, dieser Gestalt angepaßt und entsprechend gewesen sei. Wir werden aber weiterhin, ich weiß nicht wie, auch zur Liebe dieser Gestalt selbst angereizt, durch den Glauben, in dem wir glauben, daß jemand so gelebt hat; durch die Hoffnung, in der wir in keiner Weise daran verzweifeln, daß wir, wo wir doch Menschen sind, auch so leben können, wo gewisse Menschen so gelebt haben, so daß wir dies inbrünstiger ersehnen und zuversichtlicher erbitten. So bewirkt die Liebe jener Gestalt, nach der sie, wie wir glauben, gelebt haben, die Liebe auch ihres Lebens, wie auch ihr Leben, an das wir glauben, uns zu flammenderer Liebe eben dieser Gestalt anreizt. Je brennender wir also Gott lieben, um so sicherer und lichter sehen wir ihn. In Gott sehen wir ja die unwandelbare Gestalt der Gerechtigkeit, nach der, wie wir urteilen, der Mensch leben muß. Der Glaube stärkt also zur Erkenntnis und zur Liebe Gottes, nicht als ob Gott vorher vollkommen unbekannt oder vollkommen ungeliebt wäre, sondern auf daß er klarer erkannt und inniger geliebt werde.
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2 Kor. 6, 2―10. ↩