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Werke Augustinus von Hippo (354-430) De Trinitate Fünfzehn Bücher über die Dreieinigkeit
ZWÖLFTES BUCH.

14. Kapitel. Unterschied zwischen Weisheit und Wissenschaft.

Es hat nämlich auch die Wissenschaft ihr gutes Maß, wenn das, was an ihr aufbläht oder aufzublähen pflegt, überwunden wird durch die Liebe zum Ewigen, die nicht aufbläht, sondern, wie wir wissen, erbaut.1 Ohne die Wissenschaft können nämlich auch die Tugenden, die zu einem rechten Leben gehören, nicht besessen werden. Gerade durch sie aber wird dies elende Leben so geordnet, daß es zum ewigen Leben hinführt, welches wahrhaft glückselig ist.

22. Es ist jedoch ein Unterschied zwischen der Beschauung des Ewigen und der Tätigkeit, in der wir die zeitlichen Dinge gut gebrauchen; jene wird der Weisheit, diese der Wissenschaft zugeteilt.2 Wenngleich nämlich auch das, was Weisheit heißt, Wissenschaft genannt werden könnte, wie der Apostel sich an der Stelle ausdrückt: „Jetzt weiß ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich auch erkannt bin“3 — unter diesem S. 150 Wissen will er in der Tat die Beschauung Gottes verstanden wissen, welche die höchste Belohnung der Heiligen sein wird —, so unterscheidet er doch an der Stelle: „Dem einen wird durch den Geist gegeben das Wort der Weisheit, dem anderen das Wort der Wissenschaft durch denselben Geist“4 diese beiden ohne jeden Zweifel, mag er dabei auch nicht erklären, welches der Unterschied ist und wie sie beide auseinandergehalten werden können. Wenn ich indes den vielfachen Reichtum der Heiligen Schrift durchforsche, dann finde ich im Buche Job das Wort — eben dieser heilige Mann spricht es —: „Siehe, Frömmigkeit ist Weisheit, sich aber vom Bösen enthalten, ist Wissenschaft.“5 Bei dieser Unterscheidung läßt sich ersehen, daß sich die Weisheit auf die Beschauung, die Wissenschaft auf die Tätigkeit bezieht. Frömmigkeit nennt er an dieser Stelle die Gottesverehrung, die im Griechischen θεοσέβεια [theosebeia] heißt. Dies Wort steht nämlich in den griechischen Handschriften an dieser Stelle. Und was ist im Ewigen erhabener als Gott, der allein eine unwandelbare Natur hat? Und was ist seine Verehrung anderes als die Liebe zu ihm, in der wir uns jetzt sehnen, ihn zu sehen, glauben und hoffen, daß wir ihn sehen werden; und soweit wir auch voranschreiten, „wir sehen ihn jetzt im Spiegel, in Rätselbildern, dann aber“6 werden wir ihn unverhüllt sehen. Das ist es nämlich, was der Apostel Paulus mit dem Worte „von Angesicht zu Angesicht“7 meint; das ist es auch, was Johannes mit dem Worte meint: „Geliebteste, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar, was wir sein werden; wir wissen aber, daß wir, wenn er erscheint, ihm ähnlich sein werden, weil wir ihn sehen, wie er ist.“8 Ein Wort über diese und derartige Dinge scheint mir eben ein Wort der Weisheit zu sein. Sich aber vom Bösen zu enthalten, was Job Wissenschaft nennt, liegt ohne Zweifel S. 151 im Bereiche der zeitlichen Dinge. In der Zeit sind wir ja im Reiche des Bösen, von dem wir uns enthalten müssen, um zu jenen ewigen Gütern zu gelangen. Daher gehört alles, was wir in Klugheit, Tapferkeit, Mäßigkeit und Gerechtigkeit tun, zu jener Wissenschaft oder Zucht, welche unsere Tätigkeit bei der Vermeidung des Bösen und bei dem Streben nach dem Guten verweilen läßt; zu ihr gehört auch alles, was wir an Beispielen, sei es zur Abschreckung, sei es zur Nachahmung, und an entsprechenden notwendigen Vorbildern für unseren Handel und Wandel in geschichtlicher Erkenntnis sammeln.

23. Wenn also über solches die Rede geht, dann halte ich das für eine Rede der Wissenschaft, die von der Rede der Weisheit unterschieden werden muß, der Weisheit, zu der gehört, was nicht war und nicht sein wird, sondern ist, und von dem wegen der Ewigkeit, in der es ist, ohne jede zeithafte Wandelbarkeit das Gewesensein und das Sein und das Seinwerden ausgesagt wird. Es ist ja nicht so gewesen, daß es zu sein aufhörte, und es wird nicht so sein, als ob es jetzt noch nicht wäre, sondern dieses selbe Sein hatte es immer und wird es immer haben. Es bleibt aber nicht wie die Körper, die in Raum und Ort festgemacht sind, sondern in der unstofflichen Natur ist es schaubar dem Blicke des Geistes gegenwärtig, wie die Körper im Raume für die Leibessinne sichtbar und betastbar sind. Nicht aber haben ein bleibendes Sein ohne Raum und Ort bloß die geistig einsehbaren, unstofflichen Wesensgründe der sinnfälligen, im Raume aufgestellten Dinge, sondern es haben ein stehendes Sein ohne zeithaften Vorübergang sicherlich auch die einsichtigen, nicht sinnfälligen Wesensgründe der in der Zeit vorübergehenden Bewegungen. Zu diesen mit der Sehkraft des Geistes zu gelangen, gelingt nur wenigen; und wenn man, so gut es geschehen kann, hingelangt, dann bleibt der Hingelangende nicht bei ihnen, sondern wird, indem die S. 152 Sehkraft selbst gleichsam zurückgeworfen wird, weggestoßen, und man bildet von einem nicht vorübergehenden Ding einen vorübergehenden Gedanken. Dieser vorübergehende Gedanke jedoch wird durch die Wissensfächer, in denen die Seele unterwiesen wird, dem Gedächtnis anvertraut, auf daß es einen Ort gebe, an den das Denken, das gezwungen war, vorüberzugehen, wieder zurückkehren könne. Wenn freilich das Denken nicht zum Gedächtnis zurückkehrte und dort nicht fände, was es ihm anvertraute, dann würde es wieder von neuem wie ein Anfänger zu diesen Dingen hingeführt werden, wie es schon einmal hingeführt worden war, und sie dort finden, wo es sie zum erstenmal gefunden hatte, nämlich in der unkörperlichen Wahrheit, damit sie von dorther gleichsam wiederum abgeschrieben und im Gedächtnis festgeheftet würden. Denn nicht bleibt, wie zum Beispiel der unkörperliche und unwandelbare Wesensgrund eines quaderförmigen Körpers bleibt, nicht bleibt so in dieser Wahrheit das Denken des Menschen, wenn anders dies zu ihr ohne Raum- und Ortsvorstellung zu gelangen vermag. Oder wenn der Rhythmus einer schönen und kunstvollen Melodie, der zeitlos in einer Art geheimen und hohen Schweigens steht, in vorübergehenden Zeitteilchen erfaßt wird, dann kann er wenigstens solange gedacht werden, als jener Gesang gehört werden kann. Was jedoch das Auge des Geistes, wenn auch nur im Vorübergehen, hiervon erbeutete und gleichsam, wie man etwas in den Leib schlingt, so im Gedächtnis niederlegte, kann es, sich erinnernd, gewissermaßen wieder von sich geben, und was man so lernte, kann man in das betreffende Wissensfach einfügen. Wenn etwas ganz und gar vergessen ist, dann kann man unter der Leitung des Unterrichts wieder zu dem gelangen, was vollständig entfallen war, und so wird es wieder gefunden, wie es war.9


  1. 1 Kor. 8, 1. ↩

  2. Siehe S. 155 f. Anm. 1. ↩

  3. 1 Kor. 13, 12. ↩

  4. 1 Kor. 12, 8. ↩

  5. Job 28, 28. ↩

  6. 1 Kor. 13, 12. ↩

  7. 1 Kor. 13, 12. ↩

  8. 1 Joh. 3, 2. ↩

  9. Siehe Gilson a. a. O. 120—123. ↩

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