20. Kapitel. Rückblick auf den Inhalt des Buches.
25. Nun wollen wir zum Schlusse sehen, was unsere ausführliche Abhandlung herausbrachte, was sie feststellte, wohin sie gelangte. Allen Menschen ist es eigen, glücklich sein zu wollen; nicht jedoch ist der Glaube allen Menschen eigen, der Glaube, durch den man das Herz reinigt und zur Seligkeit gelangt. So kommt es, daß man durch den Glauben, den nicht alle wollen, nach der Seligkeit trachten muß, die niemand nicht wollen kann. Daß sie selig sein wollen, sehen alle in ihrem Herzen, und so groß ist in dieser Sache die Übereinstimmung der menschlichen Natur, daß sich der Mensch nicht täuscht, der hierüber von seiner eigenen Seele aus Vermutungen über eine fremde anstellt. Schließlich wissen wir alle, daß alle dies wollen. Viele hingegen verzweifeln daran, daß sie unsterblich sein können, während das, was alle wollen, nämlich selig sein, keiner auf andere Weise kann. Sie wollen jedoch auch unsterblich sein, wenn sie können. Aber indem sie nicht glauben, daß sie es können, leben sie nicht so, daß sie es können. Der Glaube also ist notwendig, auf daß wir die Seligkeit für alle Seinsbereiche der menschlichen Natur erlangen, das ist für die Seele und für den Leib. Daß S. 203 aber dieser Glaube in Christus beschlossen ist, der im Fleische von den Toten auferstand, um hinfort nicht mehr zu sterben, und daß jedermann nur durch ihn durch Nachlaß der Sünden von der Herrschaft des Teufels befreit wird, in dessen Bereich das Leben notwendig elend ist, und zwar für immer — es ist mehr Tod als Leben zu nennen —, das enthält eben der gleiche Glaube. Darüber habe ich gleichfalls in diesem Buche, so gut ich konnte, nach Maßgabe der Zeit gehandelt, nachdem ich schon im vierten Buche dieses Werkes vieles über diesen Gegenstand gesagt habe;1 aber hier geschah es unter einem anderen Gesichtspunkt als dort. Dort wollte ich nämlich zeigen, warum und wie Christus in der Fülle der Zeit vom Vater gesandt wurde.2 Anlaß hierzu gaben jene, die behaupten, daß der, welcher sandte, und der, welcher gesandt wurde, in ihrer Natur nicht gleich sein können. Hier aber geschah die Erörterung, um die tätige Wissenschaft von der beschaulichen Weisheit zu unterscheiden.
26. Ich beschloß also, gleichsam stufenweise aufzusteigen und bei beiden im inneren Menschen eine Dreiheit ihrer Art zu suchen, wie wir sie früher beim äußeren Menschen suchten, auf daß wir zur Schau jener Dreieinigkeit, die Gott ist, nach unserem bescheidenen Maße, wenn anders wir dies überhaupt können, zur Schau wenigstens in Rätseln und im Spiegel3 mit einem in diesen niedrigen Dingen geübteren Geiste gelangen. Wer immer also die Worte dieses Glaubens nur ihrem Klanglaut nach dem Gedächtnis anvertraut, ohne ihre Bedeutung zu wissen — so pflegen jene, die nicht griechisch können, griechische Worte im Gedächtnis zu behalten, andere machen es so mit lateinischen Worten, andere mit den Worten einer anderen Sprache, die sie nicht kennen —: hat dieser nicht in seinem Geiste eine Art Dreiheit, da ja in seinem Gedächtnisse jene Klanglaute der Worte sind, auch wenn er nicht daran denkt, S. 204 da ferner hieraus die Sehkraft der Erinnerung geformt wird, wenn er daran denkt, da endlich der Wille des sich Erinnernden und Denkenden beides verbindet? In keiner Weise jedoch möchten wir sagen, daß einer, der so handelt, nach der Dreiheit des inneren Menschen handelt, sondern eher nach jener des äußeren, da er sich nur daran erinnert, und wann er will und soviel er will, nur das schaut, was zum Bereiche des Leibessinnes gehört, der Gehör genannt wird, und nichts anderes als die Bilder körperlicher Dinge, das heißt der Lautklänge in solchem Denken hin und her wendet. Wenn er aber die Bedeutung jener Worte festhält und übersinnt, dann tut er schon etwas, was zum inneren Menschen gehört; aber man darf noch nicht sagen oder meinen, daß er nach der Dreiheit des inneren Menschen lebt, wenn er nicht liebt, was da verkündet, vorgeschrieben und verheißen wird. Er kann es ja auch dazu festhalten und überdenken, daß er es, in der Meinung, es sei falsch, zu widerlegen versucht. Jener Wille also, der dort verbindet, was im Gedächtnis festgehalten wird und was von hier aus in der Sehkraft des Denkenden sich einprägt, bringt zwar eine Dreiheit, da er selbst als Drittes hinzukommt, zur Vollendung; aber das Leben verwirklicht sich noch nicht nach dieser Dreiheit, wenn das, woran man denkt, gleich als ob es falsch wäre, keine Zustimmung findet. Wenn man aber glaubt, daß es wahr ist, und liebt, was dabei zu lieben ist, dann lebt man nach der Dreiheit des inneren Menschen; jeder lebt nämlich nach dem, was er liebt. Wie aber kann man lieben, was man nicht kennt, sondern nur glaubt? Diese Frage wurde schon in den vorhergehenden Büchern behandelt.4 Es stellte sich dabei heraus, daß niemand liebt, was er gar nicht kennt, daß aber von dem her, was bekannt ist, das Unbekannte geliebt wird, wenn man von ihm sagt, daß es geliebt wird. Jetzt wollen wir dies Buch mit der Mahnung schließen, daß der Gerechte S. 205 aus dem Glauben lebe.5 Dieser Glaube wirkt durch die Liebe,6 in der Weise, daß auch die Tugenden, durch die man ein kluges, tapferes, maßvolles, gerechtes Leben führt, alle auf eben diesen Glauben bezogen werden. Sonst können sie nämlich keine wahren Tugenden sein. Sie haben jedoch in diesem Leben keine solche Kraft, daß hier einmal nicht die Nachlassung irgendwelcher Sünden notwendig wäre; diese geschieht nur durch jenen, der durch sein Blut den Herrscher der Sünden besiegte. Alle die Vorstellungen nun, die von diesem Glauben und von einem solchen Leben in der Seele eines gläubigen Menschen sind, bilden, wenn sie im Gedächtnis enthalten sind, in der Erinnerung erblickt werden und dem Willen gefallen, eine Dreiheit ihrer Art. Aber das Bild Gottes, über das wir mit seiner Hilfe nachher sprechen werden, ist mit ihr noch nicht gefunden. Das wird dann deutlicher sichtbar werden, wenn ich zeige, wo es ist. Das möge der Leser vom nächsten Bande erwarten.
