21. Kapitel. Rückblick: Das Gedächtnis als Gleichnis des Vaters, die Einsicht als Gleichnis des Sohnes, die Liebe als Gleichnis des Heiligen Geistes.
S. 313 40. Daß man sonach Gott Vater und Gott Sohn, das ist Gott den Erzeuger, der alles, was er in seiner Substanz besitzt, gewissermaßen in seinem gleichewigen Worte aussprach, und daß man Gott sein Wort, der weder mehr noch weniger in seiner Substanz besitzt als der Vater, welcher das Wort nicht in Trug, sondern der Wahrheit gemäß zeugte, im Gedächtnis und in der Einsicht unseres Geistes nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern im Gleichnis und Rätselbilde,1 wenn auch in noch so leisem Ahnen schaue, das habe ich, so gut ich konnte, durch meine Darlegungen zu erreichen mich bemüht. Dem Gedächtnis wies ich dabei alles zu, was wir wissen, auch wenn wir nicht daran denken, der Einsicht hingegen in einer gewissen ihr eigentümlichen Weise die Formung des Denkens. Was wir nämlich im Denken an Wahrem auffinden, von dem vor allem heißt es, daß wir es einsehen, und dieses hinterlegen wir dann wieder im Gedächtnis. Aber dort ist die abgründigere Tiefe unseres Gedächtnisses, wo wir auch jene Inhalte finden, die wir zum ersten Male denken, und wo das innerste Wort gezeugt wird, das keiner Sprache angehört, als Wissen von Wissen, Schau vom Schauen und als Einsicht von Einsicht; im Denken nämlich erscheint die Einsicht, welche von jener Einsicht stammt, die schon im Gedächtnis war, aber verborgen. Freilich, wenn nicht auch das Denken selber eine Art Gedächtnis hätte, würde es nicht zu dem zurückkehren, was es im Gedächtnis zurückließ, wenn es anderes dachte.
41. In bezug auf den Heiligen Geist aber habe ich in diesem Rätselbilde als Gleichnis nur unseren Willen S. 314 oder unsere Zuneigung oder Liebe aufgezeigt, die ein kraftvollerer Wille ist. Unserem Willen, der uns von Natur aus eigen ist, widerfahren ja, je nachdem die Dinge, die in seinem Umkreis liegen oder ihm begegnen, ihn locken oder abstoßen, verschiedene Beeinflussungen. Wie ist es nun? Sollen wir sagen, daß unser Wille, wenn er recht ist, nicht weiß, was er erstreben, was er vermeiden soll? Wenn er es weiß, dann ist ihm wirklich eine Art Wissen eigen, das ohne Gedächtnis und Einsicht nicht sein kann. Oder soll man auf einen hören, der die Behauptung aufstellt, die Liebe, die nicht verkehrt handelt, wisse nicht, was sie tue? Wie also die Einsicht, wie auch die Liebe jenem Grundgedächtnis eigen ist, in dem wir gerüstet und zurückgelegt vorfinden, was wir im Denken erreichen können — auch jene beiden finden wir ja dort vor, wenn wir im Denken finden, daß wir etwas einsehen und lieben; beides vollzog sich dort auch schon, bevor wir daran dachten —, und wie das Gedächtnis, wie auch die Liebe dieser Einsicht eigen ist, die im Denken geformt wird — dieses wahre Wort sprechen wir ohne die Sprache irgendeines Volkes im Innern, wenn wir sprechen, was wir wissen; denn nur indem wir uns erinnern und nur indem wir lieben, müht sich der Blick unseres Denkens, zu einem Gegenstand zurückzukehren —: so würde nun die Liebe, welche die im Gedächtnis sich vollziehende Schau und die im Denken daraus geformte Schau wie Ursprung und Sproß eint, nicht wissen, was sie mit Recht lieben darf, wenn sie nicht um das zu Erstrebende wüßte, was wiederum nicht ohne Gedächtnis und Einsicht geschehen kann.
-
1 Kor. 13, 12. ↩