§ 3. Charakteristik und Inhalt der Vita.
Welche Leser Possidius im Auge hat, sagt er selbst am Schlusse des Buchs (c. 31, 11): „Praesentes et absentes praesentis temporis et futuri“. Er schreibt für die Christenheit aller Zeiten („fideles“) und nicht nur für Mönche und Kleriker. Und was er will, ist ebenfalls deutlich: Augustin soll als der durch die gratia dei erweckte treue Zeuge für den Glauben, die Hoffnung und die Liebe der Kirche erscheinen, und die wahre katholische Kirche soll durch den Bericht „De vita et moribus praedestinati et suo tempore praesentati sacerdotis optimi Augustini“ bzw. „de exortu et procursu et debito fine praedicti venerabilis viri“ erbaut werden, damit Gott gepriesen werde (Praef.). Immer wieder im Laufe der Erzähluug schiebt der Verfasser Angaben darüber ein, daß durch Augustin seine eigene Gemeinde, die afrikanische Kirche und auch die überseeischen Kirchen gestärkt und gewachsen seien und daß „der Friede“ für die Kirche sich durch ihn immer mehr konsolidiert habe. „ Friede“ aber hedeutet, daß die Kirche im Innern und Äußeren siegreich und immer mehr unbestritten alles das besitzt, was sie nötig hat, und sich in ihrer Organisation und ihrem Kultus und Leben so entwickelt, wie es ihr Wesen verlang.1
Die Durchführung dieses Hauptgedankens in bezug auf die Wirksamkeit Augustins geschieht so, daß alle Plusmacherei, Lobhudelei ,2 Wundersucht3 usw. ferngehalten wird.
S. 12 Possidius' Biographie ist die reinste und zuverlässigste, die wir aus dem kirchlichen Altertum besitzen. Wo wir ihn, diesen braven und nüchternen Menschen und Schriftsteller, zu kontrollieren vermögen — und das ist in großem Umfang der Fall, besteht er die Probe, und lernen wir stofflich auch nicht viel Neues durch Possidius, da wir Augustins Werke besitzen und die afrikanischen Synodalbeschlüsse kennen, so ist uns hier doch auch Neues mitgeteilt und wir lernen die Art des Einflusses Augustins auf seinen nächsten Schülerkreis kennen. Große Eigenschaften müssen aber auch als Influenzen studiert werden.
Hier nun aber scheint die „Vita“ des Possidius die empfindlichsten Mängel aufzuweisen: Sie scheint der eigenartigen Größe Augustins als philosophischen und geistlichen Denkers gegenüber völlig zu versagen, dazu noch speziell seine Sündenlehre zu verleugnen und ebenso seiner Lehre von der Kirche und dem Staate (von den beiden Reichen) verständnislos gegenüberzustehen. Wer kann aus der „Vita“ erkennen, daß sie dem größten christlichen Denker gilt? Wer sieht sich aus der „Vita“ an den Verfasser der „Konfessionen“ wirklich erinnert? Wer erschaut in ihr den Paulusschüler Augustin? Wer erkennt den Christen wieder, der das Wesen der Sünde und Erbsünde bestimmt hat, und der in der Überzeugung lebte: „An dir allein habe ich gesündigt“? Wer findet in der „Vita“ etwas über das Reich Gottes und das Reich des Bösen und über ihre Geschichte?
Wie ist das zu erklären? Man muß unterscheiden: daß Possidius alles das so gut wie ganz beiseitegelassen hat, was sich auf Sünde, Erbsünde, Tod und Verdammnis bezieht,4 läßt m. E. keine andere Erklärung zu als die, daß er für diesen Komplex des Augustinischen Christentums nicht aufgeschlossen gewesen ist. Wäre er es gewesen, so könnten unbewußte und bewußte Beziehungen auf ihn nicht fehlen — so wenig, wie Beziehungen auf die „gratia“ fehlen (s. o.). Man muß daher hier zur Erkenntnis kommen, daß Augustins Gnadenlehre auch auf solche Christen einen tiefen Eindruck gemacht hat, die seiner Sündenlehre innerlich nicht zu folgen vermochten. Was aber die Lehre von den beiden Reichen betrifft, so muß man erwägen, daß erstens diese Konzeption in ihrer Anwendung auf die konkrete Kirche und den konkreten Staat sich erst allmählich und später aus dem Werke entwickelt hat, und daß zweitens bei Possidius der stärkste Eindruck von der „Wahren Katholischen Kirche“ und ihrer absoluten Bedeutung als Ziel der Werke Gottes und als Seine Anstalt nachweisbar ist. Er hat das nicht ausgeführt, aber er hat es wiederholt an wichtigen Stellen aufs deutlichste markiert. Das genügt, um anzuerkennen, daß Augustin auch für Possidius nicht umsonst über die Kirche gepredigt und geschrieben hat.
Der Befund scheint doch noch übrigzubleiben, daß, um es kurz zu sagen, Possidius der Größe Augustins schlechterdings nicht gerecht geworden ist, daß er in seiner „Vita“ weit hinter ihr zurückbleibt und man von der Lektüre mit dem Urteil scheidet, daß hier ein kleiner Mann, nüchtern und eng, es gewagt hat, das Lebensbild eines Riesen auf dem Gebiete des Geistlichen und des Geistes zu entwerfen.5
S. 13 Dieses Urteil aber ist nur bedingt richtig, d. h. nur wenn man Augustin und seinen katholischen Biographen aus dem 5. Jahrhundert in die Neuzeit und aus dem Katholizismus in den Protestantismus versetzt. Hat sich denn Possidius damit begnügt, fort und fort zu wiederholen, Augustin sei ein außerordentlicher Christ, ohne anzugeben, worin diese Größe bestanden hat? Hat er ihn als einen „der Großen im Himmelreich“ bezeichnet (c. 31, 10) und „praecipuum dominici corporis membrum“ genannt (c. 18,6, s. o.), ohne diese Bezeichnung zu begründen? Ganz und gar nicht, vielmehr hat er sie Kapitel für Kapitel aufs kräftigste und deutlichste begründet durch zwei wiederholte Nachweise, erstlich, daß sich Augustin mit der Lehre der katholischen Kirche nicht nur stets im Einvernehmen befunden, sondern daß er diese Lehre und die Kirche se1bst eindrucksvol1 verkündet, gegen Häretiker und Schismatiker siegreich verteidigt und wirksam verbreitet hat. Zweitens, daß er die eigentliche und wahre Weise des christlichen Lebens, das mönchische „servire deo“, in seinem Bistum und in Afrika eingeführt und aufs kräftigste gepflegt hat. Augustin ist nach Possidius begnadeter Mitarbeiter Gottes und Christi durch diese Tätigkeit in Lehre und Leben gewesen und hat Gottes Werk ausgeführt als „praecipuum dominici corporis membrum“.6
Kann gegen diese Prädizierung eine andere aufkommen, und hat es noch ein Interesse, Augustins Geistesgaben, Dialektik, Philosophie und Theologie daneben besonders hervorzuhehen? Sie besagen wenig oder nichts gegenüber dem Ruhme, daß Augustin als vindex der wahren katholischen Kirche Gott zum Ruhm und zur Ehre gewirkt und daß er das apostelgleiche Leben in den Klerus eingeführt hat. Daß es auf beiden Gebieten geschehen ist, dem der Lehre und dem des mönchischen Lebens, stellt ihn nach Possidius an die Spitze aller Väter; denn weder von Cyprian noch von Ambrosius gilt das. Andere Heroen lagen aber nicht im Gesichtskreis der abendländischen Kirche.
Es wird nun offenbar sein, warum Possidius die menschliche Größe Augustins nicht beachtet hat, wobei vorbehalten bleiben mag, daß ihm gewisse Voraussetzungen dafür gefehlt haben: Er würde sie als überzeugter katholischer Christ beiseitegelassen oder nur gestreift haben, auch wenn er jene Voraussetzungen besessen hätte denn nicht den Ruhm Augustins wollte er verkündigen, sondern die Ehre Gottes und die Wahrheit seiner Kirche durch ihn. Für die katholische Kirche ist das das letzte und höchste Wort. Wir aber schätzen es noch höher, die Schöpfungcn und Offenbarungen Gottes in der Fülle und geist lichen Eigenart der Geister, seiner Kinder, zu schauen.
Ein kurzer Gang durch die „Vita“ soll diesen Abschnitt vollenden. Sie ist durchsichtig disponiert (vgl. WEISKOTTEN p. 20):7
(I) Augustins Leben bis zur Priesterweihe und der Einrichtung eines Klosters in kurzem Üherblick (c. 1 -5),
(II) Augustins Taten und ihre universal-kirchlichen Erfolge (c. 6- 18 ),
(III) Augustins Mores (c. 19-27)
(IV) Letzte Tage, Einbruch der Vandalen, Tod (c. 28-31).
Vorrede: Rechtfertigung der Abfassung der Biographie.
S. 14 Noch immer bedarf es (nach altchristlicher Anschauung) für die christliche Schriftstellerei der göttlichen Inspiration (s. v. 1 u. 2); denn sie ist ein kühnes und gefährliches Unternehmen. Der Hinweis auf ältere christliche Biographien soll das Unternehmen gegen den Vorwurf unstatthafter Kühnheit schützen; der Hinweis auf den Zweck der Erbauung soll den Argwohn abwehren, der Verfasser schreibe seines eigenen Ruhmes wegen; der Hinweis auf den langjährigen Umgang des Verfassers mit Augustin soll die besondere Berechtigung jenes, eine Biographie zu verfassen, dartun. Daß sich der Verfasser der Gefahren bewußt ist, als Schriftsteller gegen die göttliche Wahrheit zu verstoßen, bzw. auch gegen die brüderliche Liebe, bekennt er (v. 4) ausdrücklich. Endlich, der am Schluß angekündigte Verzicht, den Teil der Lebensgeschichte Augustins zu erzählen, den dieser selbst in den „Konfessionen“ erzählt hat, ist sehr verständlich, muß dem Verfasser aber doch hoch angerechnet werden. — Zitate: Im 4. v. Jakob. 1, 17, im 6. v. II. Kor. 12, 6 und Tob. 12, 7.
I (Cap. 1— 5): Schlußpunkt der kursorischen Darstellung ist die Priesterweihe und die Klostereinrichtung auf dem Kirchengrundstück in Hippo, nachdem schon vorher erzählt war, daß Augustin bereits als Laie in Mailand und Tagaste für sich und seine nächsten Freunde das mönchische Leben erwählt hatte. Das Mönchtum hat im Sinne des Possidius dem Augustin die geistliche Größe gegeben.8 Die in Cap. 3 als Vorbemerkung erzählte Geschichte soll dartun, daß Augustin durch göttliche Providenz nach Hippo gekommen ist. Der in Cap. 4 erzählte Vorgang der Wahl ist konventionell, aber nicht erfunden oder abgekartet (s. August., Sermo 355). Höchst frappierend ist in Cap. 5, 2 die Mitteilung, daß Valerius (man beachte den lateinischen Namen), der Bischof von Hippo, ein Grieche gewesen ist, dessen Latein nicht ausreichte, um die Gemeinde zu erbauen! Auch wenn die Angabe sich auf das Zeitalter Cyprians bezöge, würden wir uns wundern: für das Ende des 4. Jahrhunderts ist sie einfach unerhört. Es muß sich um einen ganz singulären Ausnahmefall in der Seestadt handeln; wie er zustande gekommen ist, bleibt rätselhaft. Interessant ist (Cap. 5, 3) der Unterschied des afrikanischen und orientalischen Brauchs in bezug auf das Predigtrecht der Presbyter in Anwesenheit des Bischofs. Die Worte (Cap. 5, 4): „Unde accensa et ardens levata super candelabrum lucerna omnibus qui in domo erant lucebat“, beschließen wirkungsvoll die kursorisch behandelte Vorgeschichte:9 Augustin, der Kirchenmann, beginnt nun seine universale Wirksamkeit. Zitate: Cap. 2, 1 Luk.12, 32 f. ; 2: 2 Matth. 19, 21 u. I. Kor. 3,12; 3,1 Psalm 1,2; 3,3 II. Tim. 2,21; 5,1 Act. 2, 44f. u. 4;35; 5; 4 Joh· 5, 35 u. Matth. 5,15 cum parall. Zu Valerius, Bischof von Hippo, s. August., ep. 21.
S. 15 II (Cap. 6— 18): In diesem Abschnitt, der von den Kämpfen Augustins für die Kirche handelt, stehen die Donatisten im Vordergrund (s. c. 9. 10. 12. 13. 14). Neben ihnen werden die Manichäer (c. 6. 15. 16), Arianer (c. 17) und Pelagianer (c. 18) bekämpft; der Kampf gegen die Heiden wird nur gestreift (c. 7). Dies entspricht der Lage der afrikanischen Kirche in jener Zeit: Augustin fand sie durch den Donatismus zersetzt und gespalten,10 und die größere Gefahr lag nicht in dem extremen linken Flügel der Donatisten, den Zirkumzellionen, sondern darin, daß die Gegner unter ihren Bischöfen auch verehrungswürdige Männer zählten. Daß Augustin es gewesen ist, dem die Kirche in erster Linie den Sieg über den Donatismus und den starken Rückgang der Bewegung verdankte, das zu versichern wird Possidius nicht müde, und höchstwahrscheinlich hat er recht. Die Ausführungen in c. 6—18 zeigen übrigens, daß Possidius die Manichäer, Donatisten, Arianer und Pelagianer als seinen Lesern hinreichend bekannt voraussetzt; daher charakterisiert er ihre Lehren nicht. (Bei den Zirkumzellionen dagegen [c. 10] ist es anders.) Man muß aber noch hinzufügen, daß, als Possidius die „Vita“ verfaßte, die Kämpfe mit dem Manichäismus, Donatismus und Pelagianismus teils beendigt, teils ganz in den Hintergrund gedrängt waren durch den Vandalen- und Goteneinbruch in Afrika und seine katastrophalen Folgen für die katholische Kirche.
Cap. 6. Die Diskussion mit dem Manichäer Fortunatus fand im Jahre 392 statt; c. 6, 2 ist bemerkenswert, daß auch Donatisten in Hippo Augustin gebeten haben, mit dem Häretiker zu disputieren. Das Protokoll liegt in den Acta c. Fortun. vor. Zitate: Cap. 6, 2 I. Pet. 3, 15 und Tit. 3, 15.
Cap. 7, 1. Man beachte den scharfen Unterschied „confecti libri“ und „repentini sermones“. Auch wir müssen nach den Sermonen urteilen, daß sie stets neben den Büchern zu nennen sind: vielleicht sind sie noch wirksamer gewesen als diese. Der Eindruck auf die Hörer kann nicht stärker ausgedrückt werden als durch „ineffabiliter admirantes et collaudantes, et hoc ipsum ubi poterant non tacentes et diffamantes“. Daß die Donatisten mit den Katholiken die antihäretischen Schriften und Predigten verbreitet haben, ist bei dem Verhältnis beider wunderbar (vgl. 9,2). Zitate: Cap. 7.4 Eph. 5, 2 u. I Kor. 12, 26.
Cap. 8, 1 f. Der Bischof Aurelius von Carthago war seitdem dem Augustin stets treu verbündet. Augustin wurde im Jahre 391 Mitbischof des Valerius. Daß Megalius, Primas von Numidien, zunächst Augustin nicht freundlich gesinnt war, brauchte Possidius — er wurde 6 Jahre darauf der Nachfolger des Megalius im Bistum — nicht zu berichten, da der Primas seinen Widerspruch gegen die Weihe Augustins nur kurze Zeit aufrechterhalten hat. -- - Cap. 8, 5: Der 8. Canon von Nicäa ist gemeint, sodann der 3. Canon des 3. Konzils von Carthago (vom Jahre 397).
Cap. 9,3 b. Dadurch kommt Augustin in die Nähe der Märtyrer (s. auch c. 10);11 es ist lehrreich, daß die Aussicht, daß man durch Mord aus Religion die Vergebung aller Sünden erlangen könne, schon in diesem Kirchenstreit eröffnet worden ist. Zitat: Cap. 9, 2 Philipp. 2,12.
Cap. 10. Die Schilderung der Zirkumzellionen ist nicht übertrieben, sondern wird durch die anderen Quellen bestätigt.
Cap. 11, 1 f. Hier sieht man, wie sich die Renaissance der afrikanischen Kirche von A’s Kloster aus entwickelt hat; c. 11,3 schon wurde man auch in Übersee aufmerksam. Die Übersetzung von Werken Augustins ins Griechische bedeutet außerordentlich viel; denn sie ist fast beispiellos. Die griechischen Christen blieben bei der Überzeugung ihrer S. 16 heidnischen Väter, daß man sich um Lateinisches nicht zu kümmern brauche. Zitate. Cap. II, 4 Psalm III, 10 u. 119, 7·
Cap. 12. Die erste Geschichte12 erzählt auch Augustin im Euchiridion c. 17, die zweite und den Bischof Crispinus erwähnt er öfters. Der „Verteidiger der Kirche“ (c. 12,5) ist Possidius selbst. Die Geschichte ist aus zwei Gründen erzählt, (1) um festzustellen, daß die Donatisten förmlich als Häretiker erklärt worden sind (nicht nur als Schismatiker), (2) um Augustins Milde und Menschenfreundlichkeit gegenüber seinem Gegner zu erweisen. Ganz klar ist übrigens die Geschichte von Possidius nicht erzählt. Zitate: Cap. 12,3 Psalm 68, 10 (Joh. 2, 17); 12, 6 I. Kor. 8, 9 (Röm. 14, 13).
Cap. 13. Es handelt sich um das große antidonatistische Konzil in Carthago vom Jahre 411; auch Marcellinus steht durch Augustin u. a. im Lichte der Geschichte. Zitate: Cap. 13, 1 II. Tim. 4, 8 und Act. 12, 24.
Cap. 14. Diese Geschichte hat den Schlußstein des antidonatistischen Kampfes gebildet (im Jahre 418) und ist durch Augustin bekannt, aber Possidius fugt neue Züge hinzu. Sie ist aber auch deshalb wichtig, weil der donatistische Partner, der Bischof Emeritus, ein „homo doctus, eloquens et praedicatus“ gewesen ist.
Cap. 15. Diese Geschichte ist sonst unbekannt. Possidius hat sie erzählt, um zu zeigen, daß Gott für sein wunderbares Walten zum Heile der Menschen auch den Augustin als Werkzeug gewürdigt hat (Cap. 15, 4: „admirantes et stupentes glorificavimus sanctum eius nomen et benediximus, qui cum voluerit et unde voluerit et quomodo voluerit et per scientes et nescientes salutem operatur animarum“.13 Zitat: Cap. 15, 4 Psalm 102, 1. Daß Firmus nach dem Erlebnis Mönch geworden ist, machte ihn dem Possidius besonders wertvoll.
Cap. 16. Ursus und eine Aktion von ihm gegen die Manichäer kennen wir aus Augustin — die Acta cum Felice, ebenfalls.
Cap. 17. Korrespondenz Augustins und Pascentius’ nach der Diskussion in Epp. August. 238 — 241 ; aber über die Debatte, deren Datum unbekannt, erfährt man dort nichts. Die Furcht des Pascentius vor der litera scripta (c. 17, 2) war sehr berechtigt; denn der Arianismus unterlag im römischen Reich damals den Strafgesetzen. Über die Diskussion mit Maximinus s. die Collatio cum Maximino (in Hippo ann. 428).
Cap. 18, 1 — 5. Die „neuen“ Häretiker, die Pelagianer, bilden den Beschluß des ersten Hauptteils, der die „Actiones“ Augustins umfaßt.14 C. 18, 1 die „ars subtilis“ gilt in erster Linie von Julian von Eklanum. Wie die „10 Jahre“ berechnet sind, ist nicht ganz sicher; WEISKOTTEN denkt wahrscheinlich mit Recht an 412—421. Daß unter den Aktionen gegen die Pelagianer nur die des Apostolischen Stuhls und des Kaisers genannt werden, zeigt, daß diese auch für Afrika die höchsten Autoritäten waren; das kurze Referat aber über die Stellung des Apostolischen Stuhls am Anfang des Streits ist ein diplomatisches Meisterstück; es zeigt übrigens, wie besorgt man in Afrika am Anfang des Streits in bezug auf die Haltung Roms (des „sanctus pater urbis“) gewesen ist.
Cap. 18, 6 9 krönt die Darstellung der „Actiones“ durch eine Zusammenfassung der lehrhaften Schriftstellerei Augustins. Hier erhält er (v. 6) den Ehrennahmen (s. o.) „praecipuum dominici corporis membrum“, der sich in dem Satze fortsetzt: „circa universalis ecclesiae utilitates sollicitus semper ac pervigil.“ Daß er selbst noch gesehen hat, wie S. 17 die Saat aufgegangen, die er gesät hat, wird gebührend hervorgehoben. Rasch wird im Vorübergehen noch bemerkt, daß Augustin auch „studiis favens“ war (v. 7) und daß ihn seine „pia et sancta tolerantia“ nicht verlassen hat. Da Possidius außerstande ist, in dieser „Vita“ auf alle Werke Augustins einzugehen oder sie zu charakterisieren, so entschädigt er seine Leser durch die Mitteilung, er habe einen „Indiculus“ derselben beigefügt und biete ihn ihnen dar, damit sie die Werke auswählen, die sie kaufen und lesen wollen. Darüber s. unten im Exkurs.
III (Cap. 19 — 27). Dieser Abschnitt ist der originellste des Werkes, denn eine solche Zusammenstellung („Mores“) besitzen wir nicht aus dieser und der älteren Zeit. Sie gewährt — wenn auch ein noch immer sehr unvollständiges — Bild von Augustins Verwaltungstätigkeit.
Cap. 19. Die richterlichen Pflichten füllten damals bereits einen großen Teil der bischöflichen Obliegenheiten aus und nahmen öfters den ganzen Tag in Anspruch (v. 3); Possidius berichtet, daß sie Augustin zwar als eine Last empfand (v. 6), daß er aber darauf bedacht war, die bürgerlichen Streitigkeiten der Diözesanen vor sein Forum zu ziehen, sie also den bürgerlichen Gerichten zu entziehen. Wie weit diese Entwicklung in Afrika schon vorgeschritten war, entzieht sich unserer Kenntnis. Für Possidius ist es die Hauptsache, daß Augustin auch in den richterlichen Aktionen sein Wirken als Seelsorger fortgesetzt hat und auch hier vor allem auf die Belehrung des Klerus bedacht gewesen ist (v. 4 f). Anhangsweise ist hier (v. 6) auch von Augustins Briefen an verschiedene in weltlichen Angelegenheiten die Rede. Zitate: Cap. 19, 1 I. Kor. 6,1 ff.; 19, 4 I. Tim. 5, 20; 19, 5 Ezech. 3, 17. II. Tim. 4. 2. II. Tim. 2, 2.
Cap. 20. An das richterliche Recht der Bischöfe schließt sich ihr Interzessionsrecht. Es ist bemerkenswert, daß Possidius mit der vorsichtigen Einschränkung beginnt, die hier Augustin geübt habe, und ihn sich hier wie c. 19, 2 auf die Aussprüche Profaner berufen läßt, die mehr weltklug als christlich sind. Aber die Bischöfe sind vermutlich mit Interzessionsgesuchen überhäuft worden und waren wirklich in steter Gefahr, durch Ausübung dieses Rechts ihre Stellung bzw. ihren Ruf zu gefährden und zugleich Repressalien seitens der weltlichen Obrigkeit herauszufordern. Daß Augustin das mit Klugheit zu vermeiden bestrebt gewesen ist, sagt der Bericht. Cap. 20, 3: Der Vikar Macedonius ist auch sonst bekannt (s. z. B. Augustins epp. 152—155; aus der 154. stammt unsre Stelle). Sein Zeugnis für die Klugheit und Autorität Augustins kann nicht glänzender sein.
Cap. 21. Dies Kapitel ist eingefügt, um festzustellen, daß der häufige Besuch Augustins von Synoden, (1) der Verteidigung des Kirchenglaubens gegolten hat, (2) der Reinerhaltung des Klerus durch Absolution und Exkommunikation, (3) der überlieferten Ordinationspraxis.15 Zitat: Philipp. 2, 21.
Cap. 22. Dieses Kapitel ist augenscheinlich eingeschoben, um Augustin gegen den Vorwurf zu verteidigen, in seiner klösterlichen Gemeinschaft herrsche nicht der strengste Geist der Bedürfnislosigkeit und Askese. Possidius gibt das zu, aber verteidigt Augustin wirksam durch den Nachweis, es herrsche „die rechte Mitte15 und zugleich in den Einrichtungen, im Essen und Trinken, der biblische Geist. Besonders ausführlich wird der Weingenuß verteidigt. Es gab in diesem Kloster täglich Wein (Näheres s. unten zu Cap. 23), Fleisch aber nur für Gäste (s. v. 2 u. 6) und Kranke. Bemerkenswert sind auch S. 18 die silbernen Löffel und ist die Hinzufügung, daß das Fehlen von silbernem Tischgerät sonst nicht auf Armut, sondern auf Ablehnung zurückzuführen sei. Was man sich gewöhnlich als altchristliches Klosterwesen vorstellt, sieht anders aus, und der Mönchbischof Possidius, der „die richtige Mitte“ verteidigt und sich mit dieser Verteidigung in voller Übereinstimmung mit Augustin (Confess, 10, 46 wird in extenso zitiert), befindet, ist vom Mönch Antonius weit entfernt. Erfährt man vollends, daß trotz der Bibellektüre und geistlicher Disputation bei Tisch schlimmes Geschwätz und böser Klatsch bekämpft werden mußten hin und her sogar mit einem Ultimatum —, so hat man den Eindruck, daß sich die Tafel nicht allzu stark von den bürgerlichen unterschieden hat und in dieser Sparte des Klosterlebens die persönliche Armut des Einzelnen gegenüber dem gemeinsamen Besitz nicht hervorgetreten ist. Ob der hübsche Vers, der für alle bei Tische Sitzenden als Warnungstafel angebracht war, von Augustin selbst herrührt oder übernommen ist, wissen wir nicht (22, 6, die Übersetzung stammt von Karl v. Zahn16). Zitate: Cap. 22, 1 Philipp. 2,2 1, Num. 20, 17; 22,2 1. Tim. 4,4 f.; 22,4 1. Tim. 5, 23; 22, 5, Philem. 1, 14.
Cap. 23. Possidius streift nun ein langes und jedem geistlich gerichteten Bischof von Anfang an bis heute leidiges Kapitel — die Verwaltung des kirchlichen Besitzes. Wir hören, daß Augustin ihn gerne ganz abgetan und alles aus den laufenden Oblationen der Gemeinde bestritten hätte, aber diese waren zu spärlich und die Laien zu geizig, um mehr zu geben. C. 23, 2 die Mißgunst („invidia“) der Kleriker wird sich darauf bezogen haben, daß sie meinten, der Bischof gebe den Armen zuviel und ihnen zuwenig. Daß die Armenkasse und die Kasse zur Bestreitung der Kosten der Kirche und des Klerus zusammenfielen, war ein böser Übelstand; jene Kasse war für ein mönchisch geleitetes Kirchenwesen die allein berechtigte. Zitat: Cap. 23, 2 Deut. 18.
Cap. 24, 1—6 zeigt, daß Augustin in der Verwaltung auf die Kontrolle nicht verzichtet hat, aber er verstand Sachverständige auszusuchen und ihnen zu vertrauen. Bei den vielen Takt und Menschenkenntnis verlangenden kirchlichen Erbschaftsfragen hebt Possidius hervor, daß Augustin nicht einseitig den Vorteil der Kirche im Auge gehabt, sondern sogar gegen die Testatoren das aequum et iustum im Interesse der Erben vertreten hat. War aber eine testamentarische Schenkung rechtskräftig der Kirche gemacht worden, so betrachtete er ihre nachträgliche Zurücknahme als eine schwere Sünde, ließ sich jedoch auf Kompromisse nicht ein, sondern gab alles zurück. In c. 24, 7—10 hat es Possidius in lebhafter Darlegung nochmals für notwendig erachtet zu konstatieren, daß das ganze wirtschaftliche Gebiet, auf dem sich Augustin mit so viel Klugheit und Menschenfreundlichkeit bewegte, ihm eine schwere Last gewesen ist und er in dieser Arbeit Tag um Tag sich bemühte, bald wieder zu seiner geistlichen Beschäftigung zurückzukehren. In einem Nachtrag c. 24, 11 —13 wird noch seine Stellung zur Aufführung von Kirchengebäuden besprochen, und er wird gegen die Vorwürfe, kirchliches Silber in Zeiten der Not verkauft und auf der Kanzel wirtschaftliche Bedürfnisse der Kirche vorgetragen zu haben, verteidigt. Seine Berufung auf Ambrosius scheint auch dem Possidius eine hinreichende Verteidigung zu sein. Zitat: Cap. 24, 10 Luk. 10, 39ff.
Cap. 25. Wir schauen hier in die Gefahren des täglichen Verkehrs der Genossen untereinander in der engen klösterlichen Gemeinschaft hinein, leichtsinniges Schwören, S. 19 Übertretungen der disziplinarischen Regeln, Unehrbarkeiten und Selbstentschuldigungen unter böser Verletzung des Gegners. Wieder wird bei allem Ernst die Toleranz Augustins hervorgehoben und daß es ihm vor allem um die Friedfertigkeit zu tun gewesen ist (weil er die caritas über alles schätzte). Frappierend ist und mutet fast komisch an, daß als Strafe für leichtfertiges Schwören eine Verkürzung der täglichen Weinration (s. v. 2 u. oben e. 22), die also genau bestimmt war, eintrat. Dieser eine Zug zeigt, daß die klösterliche Disziplin noch die elementare Erziehung zu besorgen hatte. Man darf übrigens wohl annehmen, daß die Verkürzung der Weinration als Strafe aus dem Statut irgendeines profanen Vereins übernommen ist. Es erhebt sich hier dann weiter die Frage, ob nicht auch sonst Bestimmungen der antiken Mönchsregeln diesen Ursprung haben. M. W. ist diese Frage bisher noch nicht behandelt worden. Zitate: Cap. 25, 2 Jakob. 5, 12 (liegt hier die auch sonst bezeugte Lesart εἰς ὑπόκρισιν zugrunde?); 25,3 Psalm 140, 4 ; Cap.25, 4; Matth. 5, 23f u. 18, 15ff.; Cap. 25, 6 Matth. 18, 2 1 f.
Cap. 26. Hier hat man in bezug auf das Verhältnis der beiden Geschlechter im Verkehr den Orient vor sich; ins Abendland ist das eingeschleppt. Für die Kleriker potenzierten sich die Verbote, und bei Augustin kam noch seine eigene sexuelle Empfindlichkeit hinzu. C. 26, 1, die Schwester Augustins leitete das erste afrikanische Nonnenkloster (in Hippo). Zitate: Cap. 26, 2. 3 I.Kor. 8, 9 u. Röm. 14, 13; Cap. 26, 2 I.Kor. 10, 13.
Cap. 27. Merkwürdig, daß der Bischof die Kranken nur auf Aufforderung hin besucht hat im Unterschied von den Witwen und Waisen. Die drei Grundsätze des Ambrosius (c. 27, 2. 3). die sich Augustin zu eigen gemacht hat, kommen hier so unerwartet, daß man an eine Unordnung im Ms. denken muß. Sie sind ein Beweis der Klugheit A’s und haben mit seiner Seelsorge nichts zu tun. Die Erzählung c. 27, 4. 5 bezieht sich auch auf Ambrosius; die hinzugefügte Erklärung Augustins ist wirklich „augustinisch“, d. h. sie ruft die Erinnerung an den Antipelagianer Augustin hervor, aber auch nicht mehr. Das C. 27., 6f. belobte Wort eines zum Sterben bereiten Mitbischofs und Freundes von geringer Bildung ist sonst nicht nachzuweisen, wohl aber besitzen wir noch die Schrift Cyprians, aus der das herbe Zitat (c. 27, 8) entnommen ist (De mortal. 19). Zitate: Cap. 27, 1 Jakob. 1, 27; 27, 5 Matth. 6, 12.
(Cap. 28 — 3.1). Der Schlußabschnitt. Es wird c. 28, 1—4 die Abfassung der beiden ungewöhnlichen Werke „Revision der Bücher“ (= „Retractationes“) und „Spekulum“ mitgeteilt; s. darüber unten den „Exkurs“. Wichtig ist, daß das „Spekulum“ vor allem einen Ersatz denjenigen bieten sollte, die die heiligen Schriften nicht in ihrem ganzen Umfang zu lesen fähig waren. C. 28, 5 —15 schildert den Vandaleneinfall und seine furchtbaren Folgen. Daß Augustin ihn von einer höheren Warte aus beurteilt hat als die anderen, ist Possidius nicht verborgen geblieben (v. 6 u. v. 12); A’s Schmerz war deshalb nicht geringer. Die Nachricht über den Untergang Hippos nur hier (v. 12); der „Weise“ (v. 13) ist unbekannt. Zitate: Cap. 28,6 Eccles. 1,18 Sprüche Sal. 25, 20 u. Psalm 41, 4 ; Cap. 28,14 Psalm. 118, 137 u. II. Kor. 1, 3.
Cap. 29, 4. Nur hier wird von Possidius dem Augustin etwas Außerordentliches, aber nichts Unerhörtes zugesprochen, die Kraft des Exorzisten und der Krankenheilung; aber aus v. 5 geht hervor, daß sich Augustin selbst Krankenheilungen nicht zugetraut hat. Das Eingangsgebet ist in diesem Kapitel die Hauptsache.
Cap. 30. Die Mitteilung des Briefes an Honoratus in seiner Bedeutung für den Zweck der „Vita“ ist oben gewürdigt worden. Die klerikalen Leser der „Vita“ erhielten am Schluß ein besonders zeitgemäßes Schreiben Augustins in extenso, um ihren Mut zu stärken. Aus dem Grabe läßt Possidius ihn predigen.
S. 20 Cap. 31. Dies Schlußkapitel hat Possidius reich ausgestattet. C. 31, 1. Dankenswert ist die genaue Zeitangabe für Augustins Leben, noch dankenswerter das, was v. 2 erzählt ist über Augustins Beichte auf dem Totenbett, über die Bußpsalmen Davids in diesem Zusammenhang (die „kürzesten“ sind Ps. 6. 31. 129. 142) und über die Ausschließlichkeit, in der der große Bischof in den letzten zehn Tagen seines Lebens mit seinem Gott allein sein wollte und das auch durchsetzte. C. 31,3 Augustins Krankheit war nach dieser Mitteilung eine akute; bevor sie ihn befiel, war er noch immer kräftig und frisch und vermochte namentlich so lebendig zu predigen wie immer.17 C. 31,5 Über das die Bibliothek Betreffende (vgl. auch v. 7) s. u. C. 31,6 Dies ist im Gegensatz zu der herrschenden Sitte erzählt, daß die Kleriker in erster Linie für ihre Verwandten sorgten, und augenscheinlich will Possidius eine Änderung im Sinne Augustins. C. 31, 7 Augustin ist der Vater und Patron des afrikanischen Mönchtums durch seine Stiftung in Hippo und durch seine Propaganda der „Regel“ in ganz Afrika — wie Athanasius der Patron des orientalischen Mönchtums durch seine „Vita Antonii“ geworden ist. Die durchschlagende Bedeutung dieser beiden großen Männer hat hier neben ihrer Arbeit für die Lehre der Kirche ihre zweite Wurzel. C. 31,8 Die Übersetzung der Verse stammt von KARL VON ZAHN. Es ist bemerkenswert, daß Possidius diese Verse eines unbekannten heidnischen Dichters unbefangen anführt, zumal da sie zu dem Bewußtsein Augustins in einem gewissen Gegensatz stehen, weil sie zwar nicht antireligiös, aber irreligiös sind; doch im folgenden hat das Possidius sofort wieder gutgemacht. Dieses Schlußwort (v. 918 u. 10) ist das Schönste, was er geschrieben hat: Man kann als Christ, Schüler und Freund kein höheres Lob spenden, und man kann es nicht würdiger ausdrücken, als hier geschieht. Deutlich leuchtet auch der Eindruck hervor: „Augustin, der Mensch, war durch Gottes Gnade und Kraft noch größer und herzlicher als der Kirchenvater und Prediger.“ Die Bitte am Schluß (v. 11) stellt an Würde dieser Ausführung nicht nach. Zitate: Cap. 31, 3 III. Reg. 2, 10. 1. Chron. 29, 28. Cap. 31, 10 Matth. 13, 52. 46. Jakob. 2, 12. Matth. 5, 19.
Daß diese Darlegung der herrlichen Folgen der Wirksamkeit Augustins am Schluß durch den Bericht über den Vandaleneinfall und seine Folgen für die afrikanische Kirche aufs schlimmste durchkreuzt wird, muß jeder Leser empfinden. Welche Tragik! Aber die Stimmung des Verfassers ist mitten in dem Zusammenbruch, der nicht abgeschwächt wird, letztlich doch nicht tragisch. Offenbar war er der Überzeugung, daß das durch Gottes Gnade geschaffene Werk Augustins nicht untergehen könne. — Übrigens hat die „Vita“ noch einen Nebenzweck: Wenn Possidius in Cap. 30 den Brief Augustins an den Bischof Honoratus von Thiabe einschiebt, der so umfangreich ist, daß er ein Fünftel des ganzen Buchs füllt, also formell eine ungehörige Überlastung darstellt, so kann der Grund dafiir nur darin liegen, daß Possidius den afrikanischen Klerikern einschärfen wollte, sie dürften in der Verfolgung nicht fliehen, d. h. ihre Gemeinden nicbt verlassen, es sei denn in wenigen, streng umschriebenen Fällen. Davon allein nämlich handelt Augustins Schreiben, und es ist das einzige, das Possidius mitgeteilt hat. Der entschlafene große Bischof sollte aus dem Grabe den martyriumsscheuen Biscböfen und Klerikern ins Gewissen reden, und für Possidius ist die Sache des Martyriums so dringlich und ernst, daß er den universalen Zweck der „Vita" zurückschiebt und der priesterlichen Feigheit die Pflicht des Martyriums durch Augustins Beredsamkeit aufzwingt. — Man könnte geneigt sein, von hier aus zu schließen, die „Vita“ sei doch nicht für die „fideles“ überhaupt, sondern nur für die Kleriker bestimmt: allein dieser Schluß ist angesichts des ganzen Buchs nicht gerechtfertigt. ↩
Über das persönliche Verhältnis des Possidius zu Augustin s. o. Das „Soli deo gloria“ und seine angeborene Schüchternheit haben ihn vor jeder Übertreibung geschützt. Man kann sogar fragen, ob der Satz (c.31, 9): „In suis quidem scriptis ille deo acceptus et carus sacerdos, quantum lucente veritate videre conceditur, recte ac sane fidei, spei et caritatis catholicae ecclesiae vixisse manifestatur“ — nicht eine bewußte Einschränkung in bezug auf die Theologie Augustins bedeuten soll; aber m. E. ist ein solches Verständnis hier nicht statthaft. ↩
Augustin selbst ist wundersichtiger und wundergläubiger gewesen als sein Biograph, der sich mit schlichten Heilwundern und den geheimnisvollen Veranstaltnngen der göttlichen Providenz begnügt. ↩
Eine Stelle (c. 31,1 ) ist zu erwänhnen: Possidius erzäihlt, daß Augustin immer wieder „inter familiaria colloquia“ gesagt habe, „post perceptum baptismum etiarn laudatos Christianos et sacerdotes (!) absque digna et competenti_ poenintentia exire de corpore non debere“. Ein Rückschluß von hier aus auf die besondere Hochschätzung der Augustinischen Sündenlehre wäre aber doch gewagt. Daß Possidius für den Pelagianismus die schlimmsten Ausdrücke braucht (c. 18 „perfidia — abominanda et damnanda — destabilis error“) besagt auch nichts, ebensowenig c. 24, 6 („poenitentia humilitas“) und c. 25,3 („excusationes in paccatis“) Dagegen klingt die Erklärung c. 27,5 wirklich an den „Augustinismus“ an. ↩
Es gibt in der „Viat“ eine Stelle (auf c. 24,9) „interiora mentis et superiora“ darf man sich nicht berufen) an der Possidius andeutet, daß Augustin die gemeinchristlichen Urteile durch tiefes Nachdenken und höhere Spekulatiion hinter sich gelassen hat. Zum Vandaleneinfall schreibt er (28,6): „Hanc hostium grassationem et vastationem Augustinus non ut ceteri hominum sentiebat et cogitabat, sed altius ac profundius ea considerans et his animarum praecipue vel pericula vel mortes pervidens“ usw. Dazu 28,13: „Ut erat alte sapiens“. ↩
lm Sinne des Possidius und der katholischen Kirche wäre es daher eine Verkürzung und Depotenzierung der Bedeutung Augustins gewesen. wenn er als der Verkündiger der Gnadenlehre dargestellt worden wäre, so tief der Eindruck dieser Lehre bei Possidius gewesen ist (s. o.); denn gegenüber der ganzen Lehre der katholischen Kirche, die Augustin verteidigt hat, ist vom katholischen Standpunkt aus auch die Gnadenlehre nur ein Teilstück. — Übrigens rückt die am Schluß des Buchs ausgesprochene Bitte des Verfassers, es möge ihm vergönnt sein, „aemulator et imitator“ Augustins zu werden, diesen ganz nahe an Jesus heran. ↩
Vgl. das Schema Suetons in den „Kaiserbiographien“; dem Werk „De vir. ill.“ liegt ein anderes zugrunde. ↩
Dieses Urteil hat sein gutes Recht: denn Augustin hat ja nicht das Mönchtum des hl. Antonius und seiner Nachfolger auf sich genommen, sondern ein anderes und wertvolleres, das im Dienste eines tatkräftigen Wirkens für Gott (die Kirche) und den Nächsten stand (durch Predigt, Disputation und Unterricht zu Hause und auf Reisen, durch Dienstfertigkeit und Geduld in bezug auf jedermann — durch „caritas“). Dazu kommt, daß Augustin bei seinen Anlagen sich nur dann völlig von der Welt zu lösen vermochte, wenn er Distanz nahm, sich auf keine Weise mehr mit der Welt einließ und seinen Brüdern als Priester und als Mönch diente. Seine Bekehrung war also erst vollendet, als er, zum Priester geweiht, sich und seine Kollegen der mönchischen Regel unterstellte. Vom Standpunkt des hl. Antonius aber gesehen, war sie gar keine mönchische Regel, sondern eine Lebensordnung für den in der Welt stehenden Klerus. Augustins Schöpfung und Regel hat die bereits begonnene Verschiedenheit in der Entwicklung des abendländischen und des morgenländischen Klerus und Mönchtums außerordentlich befördert: Im Abendland wird auch der niedere Klerus durch den Zölibat und die vita communis (eines Teils) dem Mönchtum näher gerückt und die scharfe Scheidung von höherem und niederem Klerus, wie sie sich im Morgenland ausgebildet hat, vermieden. ↩
Es ist doch alles Lobes wert, was Possidius aus den Konfessionen bei größter Kürze herausgehoben hat, das chronologische Gerüst (auf die Chronologie hat er auch sonst Gewicht gelegt), die Verhältnisse im Elternhaus und in Tagaste, Monika, die Bildung, die Manichäer, Ambrosius, die Freunde und die vita nova. Welche inneren Kämpfe Augustin geführt hat, erfährt man aber nicht. ↩
Siehe dazu c. 7.2: „Ecclesia seducta et pressa et oppressa iacebat“. ↩
Donatisten haben Augustin, als „seductor et deceptor animarum“ („et privatim et publice“) verschrieen. Dasselbe taten auch Pelagianer ↩
Hier c. I 2,2 die schöne Formulierung: „Evenit dei quidem providentia, sed hominis errore“, die augustmisch ist und eine Geschichte hat. ↩
Das könnte Augustin geschrieben haben. ↩
Auch Augustin behandelt die Pelagianer als n e u e Häretiker; aber mindestens mit dem gleichen Recht kann man die augustinische Orthodoxie als „neu“ bezeichnen. ↩
Der „consensus maiorum“ kann sich nur auf die altüberlieferte Ordinationspraxis im Gegensatz zur donatistischen beziehen. Auch Punkt 2 ist antidonatistisch zu verstehen. ↩ ↩
Das Distichon lautet: „Quisquis amat dictis absentum rodere vitam, Hac mensa indignam noverit esse suam“. Zu „rodere“ ist Cicero, Balb. 26 („In conviviis rodunt“) u. Horat., Sat. 1, 4. 81 („absentem amicum“) zu vergleichen. Possidius nennt das böswillige Kritisieren der Abwesenden bei Gastmählern („pestilentiae humanae consuetudinis“) — er hat seine Erfahrungen in den Klöstern gemacht; denn andere convivia wird er selten besucht haben. Die Verse erinnern inhaltlich nicht an die Disticha des sog. Cato (s. die Ausgabe von BAEHRENS, Poet. lat. min., 3. T.); auch bestehen diese aus zwei Hexametern. ↩
Auch seine Schriftstellerei, die er bis zuletzt fortgesetzt hat, beweist seine Gesundheit. ↩
Die auffallende Konstruktion: „fidei, spei et caritatis vixisse“ wird man bestehen lassen müssen. ↩
