XXI.
1. Lies nur die Schriften der Geschichtsschreiber S. 170 oder die Schriften der Philosophen und du wirst zum gleichen Urteil wie ich kommen, Euhemerus führt Personen auf, welche wegen der Verdienste ihrer Tapferkeit oder Wohltätigkeit für Götter gehalten wurden. Er zählt ihren Geburtstag, ihre Heimat, ihre Grabstätte auf und weist sie in den verschiedenen Provinzen nach, so vom Diktäischen Jupiter, vom Delphischen Apollo, von der Pharischen Isis und der Eleusinischen Ceres. Prodikus erklärt, es seien diejenigen zu Göttern gemacht worden, welche auf ihren Irrfahrten durch neu entdeckte Früchte sich den Menschen nützlich erwiesen haben. In derselben Richtung philosophiert auch Persaeus und führt außerdem noch die aufgefundenen Früchte und die Entdecker eben dieser Früchte mit den gleichen Namen an, ähnlich wie es ein Spruch der Komödie ist, Venus verkümmere ohne Liber und Ceres. 3. Der bekannte Mazedonier Alexander der Große berichtete in einem berühmten Schreiben an seine Mutter, aus Furcht vor seiner Macht habe ihm der Priester das Geheimnis betreffend die menschliche Natur der Götter verraten. Er macht darin Vulcan zum ersten aller Götter und an zweite Stelle setzt er das Geschlecht des Jupiter. 4. Den Saturn als Stammvater dieses Geschlechts und Schwarms haben denn auch alle alten griechischen und römischen Schriftsteller als Menschen dargestellt. Das S. 171 bezeugen Nepos und Cassius in ihrer Geschichte; auch Thallus und Diodorus reden davon. 5. Dieser Saturn hatte sich auf der Flucht von Kreta nach Italien begeben, aus Angst vor seinem wütenden Sohn. Dort ward er von Janus gastfreundlich aufgenommen. Er lehrte nun jene unwissenden und bäurischen Menschen als feingebildeter Grieche mancherlei: die Kunst des Schreibens, die Münzprägung und die Anfertigung von Werkzeugen 6. Sein Versteck wollte er, weil er dort sicher geborgen war, Latium genannt wissen und er hinterließ nach seinem Namen zum Gedächtnis für die Nachwelt die Stadt Saturnia ebenso wie Janus das Janiculum. 7. Jedenfalls also war es ein Mensch, welcher floh und sich ein Versteck suchte und sowohl eines Menschen Vater wie eines Menschen Sohn. Denn als Sohn der Erde oder des Himmels galt er nur deshalb, weil man bei den Italern seinen Namen nicht kannte. Wir sagen ja auch heutigentags noch von Leuten, die uns plötzlich in die Augen kommen, sie seien vom Himmel gefallen und nennen Menschen von niedriger und unbekannter Herkunft Erdensöhne. 8. Sein Sohn Jupiter regierte auf Kreta, nachdem er seinen Vater vertrieben, starb dort und hatte Söhne daselbst. Noch heute besucht man die Höhle des Jupiter und zeigt sein Grab. So erweist sich sein menschlicher Ursprung schon durch die Art seiner Heiligtümer.
9. Es ist überflüssig, die Götter einzeln durchzugehen und ihre ganze Geschlechtsfolge zu entwickeln; es ist ja die an den Ureltern nachgewiesene Sterblichkeit S. 172 schon durch die Erbschaftsordnung auf die übrigen übergegangen. Doch ihr sagt, sie seien erst nach dem Tode zu Göttern geworden, wie Romulus zu einem Gott wurde durch den falschen Eid des Proculus, und Juba Gott sei, weil es die Mauren wollten, und auch andere Könige vergöttert wurden. Aber sie erhalten religiöse Verehrung nicht zur Beglaubigung ihrer Gottheit, sondern nur zum ehrenden Andenken ihrer beendeten Regierung. 10. Kurz, man zwingt ihnen wider Willen diesen Titel auf: sie möchten gerne Menschen bleiben, fürchten sich davor, Götter zu werden und wollen dies auch als Greise nicht. 11. Also sind nicht aus Menschen Götter entstanden, weil ein Gott nicht sterben kann, noch aus Geborenen, weil alles stirbt, was geboren wird; göttlich aber ist das, was weder einen Anfang noch ein Ende hat, Warum werden denn nicht auch heute noch Götter geboren, wenn solche je geboren wurden? Aber Jupiter ist eben vielleicht altersschwach und Juno unfruchtbar geworden und Minerva ergraut, ehe sie geboren hat! Oder hörte etwa jene Zeugungskraft auf, weil derlei Märchen keinen Glauben mehr finden? 12. Wenn übrigens Götter ihr Geschlecht fortpflanzen, aber nicht sterben könnten, so wäre die Zahl der Götter größer, als die der Menschen in ihrer Gesamtheit. Der Himmel könnte sie nicht aufnehmen, die Luft nicht fassen und die Erde nicht tragen. Aus all dem geht klar hervor, daß jene vermeintlichen Götter nur Menschen gewesen sind, von deren Geburt wir lesen und von deren Tod wir wissen . . .1 (und von den Ähren der Isis zu der Schwalbe, der Klapper und zu dem Grabhügel deines Serapis oder Osiris, der infolge der Zerstreuung der Glieder leer steht) .
"Eine unheilbar verderbte Stelle" (Dombart); Waltzing hat sie ganz weggelassen. Nach Bönig und RAuschen, welche übrigens nach der Hs. despicis (nicht de-spicis) lasen, sind diese Worte aus Versehen an diesen Ort gekommen oder von einem andern Schriftsteller an den Rand gesetzt und später der folgenden Erzählung über Isis eingefügt worden. ↩
