XXV.
1. Aber eben dieser Aberglaube, sagt man, hat den Römern ihre Herrschaft verschafft, vermehrt und begründet; sie haben sich nicht so sehr durch Tapferkeit als durch Religiosität und Frömmigkeit hervorgetan. Ja wahrhaftig! Die berühmte und weltbekannte Gerechtigkeitsliebe der Römer hat schon begonnen, als das werdende Reich in der Wiege lag. 2. Sind sie nicht bei ihrem Eintritt in die Weltgeschichte durch Verbrechen zusammengeführt worden und unter dem Schutz ihrer grauenerregenden Unmenschlichkeit herangewachsen. In einem Asyl hat sich ja der erste Kern des S. 179 Volkes versammelt. Es waren Taugenichtse, Verbrecher, Blutschänder, Meuchelmörder, Verräter zusammengeströmt, und Romulus selbst beging einen Brudermord, um als Herr und Gebieter sein Volk im Verbrecherhandwerk zu überbieten. Das sind die ersten Anfänge dieses religiösen Staatswesens. 3. Bald darauf raubten, mißhandelten und entehrten diese Leute -- ein beispielloses Verfahren -- fremde Jungfrauen, die schon verlobt, schon Bräute waren, ja auch Ehefrauen, und begannen mit deren Vätern, also mit ihren eigenen Schwiegervätern, Krieg und vergossen das Blut von Verwandten. Was wäre gottloser gewesen, was frecher, was gewährte soviel Sicherheit gerade wegen der Dreistigkeit dieses Frevels? 4. Sodann die Nachbarn aus ihren Gebieten zu verjagen, die nächstgelegenen Städte samt Tempeln und Altären zu zerstören, die Gefangenen zusammenzutreiben, durch fremden Verlust und eigenes Verbrechen emporzukommen, das ist die Politik, welche die folgenden Könige und späteren Feldherrn mit Romulus teilen. 5. So ist alles, was die Römer haben, pflegen und besitzen, ein Lohn für ihre Keckheit. Alle Tempel stammen vom Ertrag ihrer Beute, das heißt aus zerstörten Städten, geplündertem Eigentum der Götter und von ermordeten Priestern. 6. Spott und Hohn ist es, besiegten Göttern zu huldigen, sie zu Gefangenen zu machen und sie dann nach dem Triumph anzubeten. Denn Erbeutetes anbeten heißt einen Tempelraub heilig halten, nicht Gottheiten. Ebenso oft also haben die Römer gefrevelt, als sie triumphiert, soviel Raub an den Göttern verübt, als sie den Völkern Siegeszeichen abnahmen, 7. Nicht ihrer Religiosität also verdanken die Römer ihre Größe, sondern ungestraftem Gottesraub. Konnten sie doch gerade in ihren Kämpfen an den Göttern keine Hilfe haben, gegen welche sie die Waffen ergriffen. Doch die, welche sie niedergekämpft, haben sie zu verehren angefangen, nachdem sie über dieselben Meister geworden. Wie aber können solche Götter für die Römer etwas tun, welche für die Ihrigen gegen deren Waffen nichts vermocht haben?
8. Wir kennen ja die einheimischen Götter. Es sind S. 180 das die Götter Romulus, Picus, Tiberinus, Consus, Pilumnus und Volumnus. Die Cloacina erfand und verehrte Tatius, die Gottheiten Pavor und Pallor Hostilius; später wurde, ich weiß nicht von wem, Febris zur Göttin geweiht. Das ist der Aberglaube, welcher diese Stadt großgezogen; Krankheiten und Schwächezustände. Sind ja auch Acca Larentia und Flora, zwei ausgeschämte Dirnen, unter die Krankheiten und Gottheiten der Römer zu zählen. 9. Diese Götter natürlich haben den andern gegenüber, welche bei den verschiedenen Völkern verehrt wurden, ihre Herrschaft ausgedehnt. Denn der thracische Mars oder der Jupiter von Kreta oder Juno von Argos oder Samos oder Karthago oder Diana von Tauris oder die Göttermutter vom Ida oder jene ägyptischen Ungeheuer -- Gottheiten kann man sie nicht nennen -- haben doch nicht zu Roms Gunsten gegen ihre eigenen Verehrer Partei ergriffen.
10. Doch vielleicht ist bei den Römern die Keuschheit der Jungfrauen größer oder die Frömmigkeit der Priester reiner gewesen? Aber fast die Mehrzahl der Jungfrauen wurde, freilich ohne daß es Vesta wußte, wegen Unzucht bestraft; die übrigen blieben ungestraft, nicht weil sie die Keuschheit sorgfältiger bewahrt, sondern weil sie bei ihrer Unzucht mehr vom Glück begünstigt waren. 11. Wo aber werden mehr Buhlerinnen feilgeboten, Kuppeleien getrieben, Ehebrüche ausgesonnen, als von den Priestern zwischen Altären und Tempeln? Öfter sogar als selbst in den Bordellen wird in den Zellen der Tempelwächter glühender Leidenschaft gefrönt.
S. 181 12. Übrigens hatten nach göttlicher Anordnung schon lange vor den Römern Weltreiche die Assyrer, Meder, Perser, Griechen und Ägypter, obwohl sie keine Pontifices, Arvalen, Salier, Vestalinnen und Auguren hatten und keine in einen Käfig gesperrten Hühner, um nach deren Lust oder Unlust zum Fressen die hohe Staatspolitik zu betreiben.
