Kap. 12. Wie armselig und qualvoll ist aller irdische Reichtum!
12. Aber auch die, welche du für reich hältst, welche Triften an Triften reihen und die armen Angrenzer aus ihrem Gebiet verdrängen, um so ihre unermeßlichen und endlosen Ländereien immer weiter auszudehnen1 , S. 52 welche Gold und Silber in Hülle und Fülle besitzen und gewaltige Summen in Haufen aufgeschichtet oder in Massen vergraben haben, auch sie zittern inmitten ihres Reichtums, und es quält sie der Gedanke der Unsicherheit und die Angst, es könnte ein Räuber sie berauben, ein Mörder sie überfallen oder der feindselige Neid irgendeines noch Reicheren durch ränkevolle Prozesse sie beunruhigen. Nicht einmal mit Ruhe essen oder schlafen kann ein solcher Mensch, seufzen muß er beim Mahle, mag er auch aus Gefäßen von Edelstein trinken, und wenn er seinen vom Schwelgen entnervten Körper tief in die Kissen des weichen Lagers vergraben hat, dann liegt der Bedauernswerte wach auf den Daunen, ohne jedoch einzusehen, daß das alles nur glänzende Martern für ihn sind, daß ihn das Gold in Fesseln hält und daß der Reichtum mehr über ihn Herr ist als er über den Reichtum. Und — welch fluchwürdige Verblendung des Geistes, welch tiefe Nacht wahnwitziger Gier! — obwohl er sich von der schweren Last frei und ledig machen könnte, fährt er fort, nur noch mehr die ihn quälenden Schätze zu hüten, fährt er fort, mit größter Hartnäckigkeit an den ihn peinigenden Haufen zu hängen. Da wird nichts davon den Klienten gespendet, nichts unter die Armen verteilt, und sie nennen es i h r Geld, was sie wie fremdes Eigentum zu Hause verschlossen halten und mit ängstlicher Sorge bewachen und wovon sie weder ihren Freunden noch ihren Kindern oder auch nur sich selbst etwas gönnen. Sie besitzen alles nur zu dem Zwecke, damit es ja kein anderer besitzen kann, und — welch verkehrte Bezeichnungen! — "Güter" heißen sie das, was ihnen nur zum Bösen dient.
Gegen die Gier der Reichen und die Auswüchse der Latifundienwirtschaft wendet sich schon Horaz [vgl. bes. die 15. Ode des 2. Buches]. ↩
