10. Christi Todesfurcht.
S. 166 Bevor wir aus eben diesen Worten dartun, es habe ihn durchaus keine Schwachheit befallen, seinetwegen Furcht oder Schmerz zu empfinden, müssen wir vorerst fragen, was das heißen könne, er habe sich fürchten können, daß ihn die Angst befallen habe, den Schmerz nicht tragen zu können. Ich glaube, daß kein anderer Anlaß zum Erzeigen von Furcht vorgelegt wird als eben das Leiden und der Tod. Die so meinen, frage ich, ob es in vernünftiger Weise gelten könne, daß derjenige zu sterben sich gefürchtet habe, der alles Erschrecken vor dem Tode bei den Aposteln entschlossen beseitigt und sie zum ruhmvollen Bekenntnistod aufgerufen hat: „Wer nicht sein Kreuz annimmt und mir folgt, der ist meiner nicht wert; und wer seine Seele findet, der wird sie verlieren; und wer sie meinetwegen verloren hat, der wird sie finden.”1 Da es das Leben bedeutet, für ihn zu sterben,2 wie darf man glauben, er habe im Geheimnis seines Todes Schmerz gelitten, der doch denjenigen mit dem ewigen Leben vergilt, die für ihn sterben? Und wenn er mahnend lehrt, diejenigen seien nicht zu fürchten, die den Leib töten,3 da hat eben ihn der Tod zum Erschrecken vor dem gefürchteten körperlichen Leiden gebracht?