54. Schon die zeitliche Geburt Christi ist unverstehbar.
Noch nicht will ich an das Geheimnis jener unzeitlichen Geburt mich wagen; an ihren Ort gehört diese Abhandlung.1 Vorerst steht mir das Geheimnis der Fleischannahme zur Rede.
Jetzt bitte ich jene Durchforscher der himmlischen Geheimnisse um Belehrung darüber, das Geheimnis der jungfräulichen Geburt Christi seinem Wesen nach auszusprechen. Woher werden sie sagen, daß der Jungfrau S. 210 die Empfängnis zuteil wurde? Woher der Jungfrau die Geburt? Was werden sie als den Grund dieser seiner eigentlichen Geburt ausgeben? Was hat sie in der Verborgenheit ihres mütterlichen Schoßes ernährt? Woher der Leib? Woher der Mensch? Vollends aber nach all dem: was heißt es, daß der Menschensohn vom Himmel herabgestiegen ist und im Himmel bleibt?2
Denn nach körpergemäßer Betrachtungsweise gehört es nicht demselben Gegenstand zu, herabzusteigen und zu bleiben, deren eines die Veränderung des Herabsteigens ist, deren anderes die Ungestörtheit des Bleibens. Das Kind wimmert, dennoch ist es im Himmel; der Knabe wächst heran, dennoch dauert er als Gott der Fülle3 fort. Vollends aber: wenn er hinaufsteigt, wo er vorher gewesen ist, und derjenige hinabsteigt, der bleibt ― mit welchem Sinn menschlicher Einsicht wird man das erfassen? Der Herr sagt nämlich: „Was aber, wenn ihr den Menschensohn dahin hinaufsteigen seht, wo er vorher gewesen ist?”4 Der Menschensohn steigt hinauf, wo er vorher gewesen ist; welcher Sinn wird das erfassen? Vom Himmel steigt der Menschensohn herab, der im Himmel ist; welche Vernunft wird das verständlich machen? „Das Wort ist Fleisch geworden;”5 welche Worte werden das aussprechen? Fleisch wird das Wort, das ist Mensch (wird) Gott; und wer Mensch ist, der ist im Himmel; und wer Gott ist, der ist vom Himmel. Hinaufsteigt, wer herabsteigt; aber wer herabsteigt, der steigt nicht herab. Es ist, der war; und was er ist, war er nicht.
Hin und her suchen wir die Gründe ab und werden von der Vernunft im Stich gelassen. Die Vernünftigkeit nehmen wir wahr, und die Gründe sehen wir nicht ein. Indem wir aber diese Einsicht über Christus Jesus haben, werden wir wissen; wenn wir glauben, mehr einsehen (zu können), werden wir nicht wissen.