Kap. 16. Vor allem das Gebot der Feindesliebe können wir ohne sie unmöglich befolgen.
Und ferner ; daß du nicht schwörst1 und fluchst, daß du das dir Abgenommene nicht zurückforderst, daß du dem, der dich schlägt, auch die andere Wange darreichst, wenn du einen Backenstreich erhalten hast2 , daß du dem Bruder, der sich an dir versündigt, nicht nur siebzigmal siebenmal3 , sondern überhaupt alle seine Verfehlungen verzeihst, daß du deine Feinde liebst, daß du für deine Widersacher und Verfolger Fürbitte einlegst4 , wirst du all das über dich bringen können ohne zähe Geduld und Ausdauer? Das sehen wir aber erfüllt in Stephanus, der bei seinem gewaltsamen Tod durch die Steine der Juden nicht um Rache für sich, sondern um Verzeihung für seine Mörder flehte mit den Worten: „Herr, rechne ihnen nicht diese Sünde an!“5 So mußte der erste Märtyrer Christi sein, der den folgenden Märtyrern in ruhmvollem Tode vorauseilen und nicht nur das Leiden des Herrn laut verkündigen, sondern auch seine so geduldige Sanftmut nachahmen sollte. Was soll ich sagen von dem Zorn, von der Zwietracht, von der Streitsucht, lauter Lastern, die bei einem Christen nicht zu finden sein sollten? Lasset Geduld im Herzen wohnen: und all diese Eigenschaften können dort keinen Raum finden, oder selbst wenn sie sich einzuschleichen versuchen, so werden sie rasch abgewiesen und müssen abziehen, damit im Herzen die friedliche Wohnung weiterbesteht, wo der Gott des Friedens gerne weilt. So mahnt und lehrt auch der Apostel, indem er sagt: „Betrübet nicht den heiligen Geist Gottes, in dem ihr besiegelt seid auf den Tag der Erlösung! Alle Bitterkeit und Zorn und Unwillen und Geschrei und Lästerung sei ferne von euch!“6 Denn wenn der Christ den fleischlichen Leidenschaften und S. 304 Kämpfen wie Meeresstürmen entronnen und voll Ruhe und Sanftmut in dem Hafen Christi eingelaufen ist, so darf er weder dem Zorn noch der Zwietracht den Zugang zu seinem Herzen gewähren, da es ihm weder erlaubt ist, Böses mit Bösem zu vergelten7 , noch Haß zu hegen.
